Widerstand gegen die unheilige Allianz
Zwei Buchautoren haben eine Initiative gegen die Fußball-WM 2022 in Katar gegründet. Von Christoph Ruf
Selten hat es jemand geschafft, sich in so kurzer Zeit unmöglich zu machen wie der ehemalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann während seiner dreimonatigen Trainerschaft bei Hertha BSC, die im Februar endete. Fast in Vergessenheit geraten ist, dass er schon ein paar Monate zuvor Zweifel an seinem Allgemeinzustand zugelassen hatte, als er sich als glühender Befürworter der Fußball-WM in Katar outete: »Man muss dem Land die Chance geben, sich zu zeigen und zu präsentieren«, forderte Klinsmann im Oktober 2019. »Ich kann es wirklich kaum erwarten, ich denke, es wird ein wundervolles Ereignis.«
Derlei Aussagen haben Bernd Beyer und Dietrich Schulze-Marmeling in den vergangenen Jahren immer wieder gehört. Irgendwann beschlossen die beiden Autoren zahlreicher Fußballbücher eine Initiative namens »Boycott Qatar« (BQ) zu gründen: »Wir wollten den Stein ins Wasser werfen«, so Beyer. »Unser Eindruck war, dass so gut wie jeder gegen dieses Turnier ist, dass es aber niemanden gibt, der den Protest koordiniert.« Sie selbst wollen das auch gar nicht sein. »Wir haben aber in den vergangenen Wochen von vielen Fangruppen und Initiativen gehört, dass sie, sobald das Turnier naht, aktiv werden wollen.«
Warum? Da wäre zum einen die Tatsache, dass Katar terroristische Gruppen wie den »Islamischen Staat« unterstützt. Die im Emirat selbst vorherrschende wahhabistische Strömung des Islam gilt als extrem reaktionär. Dementsprechend steht es um die Menschenrechte in einem Land, das keine Gleichberechtigung der Geschlechter und keine freie Religionsausübung kennt. Auch die Bedingungen unter denen die weitgehend rechtlosen Arbeitsmigranten die Infrastruktur für das Turnier errichteten, seien ein Skandal, so Beyer. »Die Fifa verstößt mit der Vergabe des Turniers an Katar gegen ihre eigenen Verlautbarungen in Sachen Menschenrechte.«
Von ungefähr komme diese unheilige Allianz allerdings nicht, so die Organisatoren des Boykottaufrufs. Während die Weltverband im arabischen Raum weitere Absatzmärkte für den Fußball erschließen wolle, ergebe sich für Katar ebenfalls eine vorteilhafte Situation. Der Wüstenstaat, dem der französische Verein Paris St. Germain gehört und der zahlreiche europäische Klubs wie den FC Bayern unterstützt, erhoffe sich einen weiteren Imagegewinn. Für Beyer stehen dann auch nicht zuletzt die Fifa und andere Sportweltverbände am Pranger: »Wir beobachten ja nicht erst seit gestern, dass große Turniere verstärkt an autoritäre und diktatorische Regime vergeben werden. Demokratien weigern sich ja auch zunehmend, die strengen Auflagen der Verbände zu erfüllen, die für ein paar Wochen ihre eigenen Regeln installieren.«
Dass das Turnier noch gestoppt werden kann, glauben die beiden Organisatoren indes nicht. Doch sie sind guter Dinge, dass sie mit ihrer Initiative einen kleinen Impuls dafür geben können, dass es ein Rohrkrepierer wird: »Wir fordern die Fußballfans dazu auf, dieses Turnier einfach zu ignorieren. Am besten, sie lassen auch alle Produkte der Webepartner des Weltverbandes für 2022 im Regal stehen.« Das werde vielen auch nicht schwerfallen: »Wir kennen wirklich viele Menschen, die sich als Fußballfans bezeichnen«, sagt Beyer. »Auf das Turnier in Katar freut sich nicht einer davon.« Doch selbst wenn die WM nicht mehr verhindert werden kann - vergeblich, davon sind die beiden überzeugt, kann der Boykottaufruf gar nicht sein. Auch die WM 1978 in Argentinien fand schließlich statt. Doch die massiven Proteste brachten die Menschenrechtsverletzungen erst ins Bewusstsein einer Weltöffentlichkeit.
Schon damals hinkte der offizielle Fußball vielen seiner Fans meilenweit hinterher. Der spätere Bundestrainer Berti Vogts war nach dem Turnier voll des Lobes: »Argentinien ist ein Land, in dem Ordnung herrscht«, sagte der Verteidiger damals: »Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen.« 35 Jahre gab ein noch prominenterer Exponent des deutschen Fußballs fast wortgleich ähnliche Wahrnehmungsschwierigkeiten zu Protokoll: »Also ich hab noch keinen einzigen Sklaven dort gesehen«, sagte Franz Beckenbauer: »Die laufen alle frei rum.« Der »Kaiser« war gerade aus Katar zurückgekommen.
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