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Ein Abbild von Amerika
Die Demokratin Dana Balter will bei der Wahl zum Repräsentantenhaus am Dienstag den Wahlkreis New York 24 gewinnen. Die Anti-Trump-Stimmung könnte ihr helfen
Außerhalb der 140 000-Einwohnerstadt Syracuse ist der Wahlkreis New York 24 (NY-24) eher ländlich. Eine einzelne Black-Lives-Matter-Fahne - mittlerweile ein unter Demokraten verbreitetes antirassistisches Bekenntnis - weht an einem Haus, während ein paar Meter weiter ein blau-schwarzes Schild Unterstützung für »unsere Polizei« und »Law und Order« verkündet. Der Wahlkreis ist ein echter Wechselwählerbezirk, traditionell keine linke Hochburg. Und doch hat sich in den Vorwahlen der Demokraten die progressive Kandidatin Dana Balter gegen konservative Konkurrenten durchgesetzt.
Jede Woche analysieren Max Böhnel und Moritz Wichmann im Gespräch mit Oliver Kern den US-Wahlkampf. Am 2. November um 18 Uhr schauen "Max und Moritz" in einem Live-Podcast auf die letzten Umfragen und erläutern aus der linken Perspektive, worauf man in der Wahlnacht und in den Tagen danach achten sollte.
Deswegen steht sie jetzt hier an einem kalten Herbstmorgen an einer Straßenkreuzung vor dem South West Community Center in Syracuse, wo Wähler schon ab zehn Tagen vor der Wahl per »Early Voting« abstimmen können. Am 3. November steht nicht nur die Präsidentschaftswahl an, sondern auch die zum Repräsentantenhaus und dem Senat. Balter will ins Repräsentantenhaus einziehen.
»Unser Wahlbezirk ist ein Abbild von Amerika«, sagt Balter dem »nd«. Die Nachbarschaft um das South West Community Center ist afroamerikanisch geprägt und etwas ärmer als der Bezirksdurchschnitt. Syracuse, eine Universitätsstadt, wird, wie viele urbanere Gegenden in den USA, mehrheitlich Demokratisch abstimmen. Den Wahlzettel - auf dem über verschiedene Ämter vom Präsidenten über das Repräsentantenhaus bis zu lokalen Richtern abgestimmt wird - rauf und runter, »up and down the ballot«, wie mehrere von der Anti-Trump-Stimmung motivierte Wähler in der Schlange vor der Community Center betonen.
In der Vergangenheit wurde hier mal ein Demokrat ins Repräsentantenhaus gewählt, mal ein Republikaner, wie zuletzt der Abgeordnete John Katko. Der präsentiert sich eher als moderat und ist im immer schärfer polarisierten Land ein Überbleibsel einer längst vergangenen Ära parteiübergreifender Zusammenarbeit. Er ist einer von nur drei Republikanern, die noch einen Wahlkreis vertreten, der bei den Präsidentschaftswahlen 2016 mehrheitlich für Hillary Clinton gestimmt hat. Bei den Zwischenwahlen 2018 hat Balter schon einmal versucht, ihm sein Mandat abzunehmen, sie verlor knapp mit 5,2 Prozent Rückstand, Katko gewann mit nur 14 000 Stimmen Vorsprung.
Die Demokraten werden langsam progressiver
Vor zwei Jahren gewannen die Demokraten auf einer Anti-Trump-Welle reitend 42 Sitze im Repräsentantenhaus dazu, stellten anschließen mit 235 Abgeordneten die Mehrheit. Die meisten Zugewinne in den Wechselwählerbezirken kamen von Demokraten mit moderaten politischen Positionen. Solche »Swing Districts« könne man mit einer progressiven Agenda nicht gewinnen, fühlte sich das Demokraten-Establishment um Repräsentantenhaussprecherin Nancy Pelosi damit erneut bestätigt. Es ist ein Mantra, das seit den demütigenden Wahlniederlagen der Reagan-Jahre in den 80ern für einen Rechtsruck und eine Hinwendung zu neoliberaler Dritte-Weg-Politik gesorgt hat.
Doch die Trump-Ära hat einen schon vorher beginnenden Linksschwenk der Partei, die langsam in Richtung sozialdemokratischer Partei driftet, verstärkt. Auch moderate Demokraten sind heute weniger konservativ, vertreten etwa die Einführung der staatlichen »Public Option«-Krankenversicherung, die progressive Demokraten noch vor zehn Jahren im Zuge der Einführung von Obamacare in der Fraktion nicht durchsetzen konnten. Und: Die Zahl der progressiven Demokraten im Parlament hat sich stetig erhöht. Seit 2018 gehören der in den 90er Jahren von Bernie Sanders gegründeten Parteilinken-Vereinigung »Congressional Progressive Caucus« (CPC) 95 »House«-Abgeordnete an, rund 40 Prozent der Demokraten-Fraktion.
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Zum größten Teil dafür verantwortlich ist die Tatsache, dass die älteren demokratischen Amtsinhaber zwar eher konservativ sind. Und wer einmal ins Repräsentantenhaus gewählt wird, hat damit in der Regel ein Mandat auf Lebenszeit sicher. Das zeigen Wiederwahlraten von über 90 Prozent in den meisten Legislaturperioden. Nur selten schaffen es linke »Insurgents«, wie die 2018 nach einem Vorwahlsieg gewählte Alexandria Ocasio-Cortez, sich gegen die Amtsinhaber durchzusetzen. Doch dort, wo sich die älteren Platzhirsche in den Ruhestand verabschieden, werden bei Vorwahlen vermehrt progressive Demokraten gewählt.
Immerhin drei Vorwahl-Niederlagen von Establishment-Demokraten, die von linken Herausforderern besiegt wurden, gab es dieses Jahr. In »Open Races« ohne einen Amtsinhaber, der zur Wiederwahl antritt, setzten sich mehr Progressive durch. Insgesamt gibt es 48 progressive Newcomer-Kandidaten für das »House«, die von Organisationen auf der Parteilinken wie Our Revolution, Justice Democrats sowie dem CPC unterstützt werden oder für die die Klimakrise-Aktivisten von Sunrise Movement und die linksbürgerliche Gruppe Indivisible Wahlkampf machen. Die meisten der Newcomer-Progressiven treten jedoch in republikanisch geprägten Wahlkreisen an, haben kaum Siegchancen. Das zeigt eine Analyse des Autors für die Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Balter dagegen schon. Sie hat über eine Millionen Dollar an Kleinspenden eingesammelt. Sie will höhere Steuern für Reiche und Unternehmen, einen 15-Dollar-Mindestlohn und gebührenfreie öffentliche Universitäten. Zu einer Sozialistin macht sie das noch nicht, was ihr Gegner Katko in seinen Fernsehanzeigen allerdings behauptet. Das größte Problem von Balter: Die meisten Wähler vor dem Wahllokal in Syracuse erklären auf Nachfrage, sie nicht zu kennen. Eine Umfrage bestätigt diesen Eindruck: Rund einem Viertel der Wähler ist sie unbekannt.
»Die Menschen wollen überall eigentlich die selben Dinge, fragen sich, ob sie es sich leisten können, zum Arzt zu gehen oder ihre Medizin zu kaufen«, sagt sie auf die Frage, ob man als progressive Demokratin auch ländliche Wähler und einen »Swing District« gewinnen könne. Sie verweist darauf, dass sie vor zwei Jahren 16 Prozent zugelegt habe in ländlichen Teilen des Wahlkreises. Sie rattert dann, in einem Echo linker Rhetorik, wie man sie etwa von Bernie Sanders, aber auch den linken Umfrageforschern von Data For Progress kennt, herunter, wie populär zentrale linke Politikvorschläge im Land sind. Die Einführung der staatlichen Krankenversicherung Medicare For All, freier Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen, das große Geld aus der Politik verbannen - für all das gebe es »absolute Mehrheiten«.
Ob sich progressive Demokraten wie Balter auch in Wechselwählerbezirken wie NY-24 durchsetzen werden und können, wird auch darüber entscheiden, wie »mutig« die Demokraten im US-Kongress ab 2021 gesetzgeberisch sein werden. Die Partei ist nicht mehr die selbe als noch 2009, zum Beginn von Obamas Präsidentschaft. Konservative Demokraten etwa gibt es kaum noch. Vielleicht könnte auch John Katko - trotz Inszenierung als moderater Republikaner - der Anti-Trump-Stimmung zum Opfer fallen und Dana Balter im Schlepptau von Joe Biden gewählt werden, um dann die Parteilinke in Washington zu verstärken.
Stärkere Gewerkschaften und mehr Corona-Hilfen
In zwei aktuellen Umfragen liegt die Parteilinke drei Prozentpunkte vorne. Eine Republikaner-Befragung sieht dagegen Katko mit acht Prozent in Führung. Doch selbst wenn Balter nicht gewinnt: Schon im aktuellen Parlament haben die Demokraten mehrere Gesetzesprojekte verabschiedet, die zeigen, dass von der Partei unter einer möglichen Biden-Administration vielleicht keine »Revolution« zu erwarten ist, wie sie Bernie Sanders in der Vorwahl versprach, aber eben doch deutlich progressivere Politik als noch vor zehn Jahren. Über 400 Gesetze wurden bereits im Repräsentantenhaus beschlossen und warten auf eine Mehrheit im US-Senat und einen demokratischen Präsidenten: eines zur stufenweisen Anhebung des Mindestlohns auf 15 Dollar, eines, das es Beschäftigten ermöglichen soll, sich einfacher in Gewerkschaften zu organisieren und ein umfangreiches Hilfspaket zur Coronavirus-Pandemie, das unter anderem Hilfen für Unternehmen, weitere Arbeitslosenhilfe und Mieterhilfe umfasst.
Der CPC - der wie viele andere Organisationen der Parteilinken und Gewerkschaften Balter unterstützt und 75 000 Dollar für Fernsehanzeigen bereitgestellt hat - hat übrigens angekündigt, in Zukunft mit neuen Regeln mehr Abstimmungsdisziplin unter den eigenen Mitgliedern durchsetzen zu wollen. Damit hätte die Parteilinkenvereinigung mehr Verhandlungsmacht gegenüber Parteiführung und Establishment sowie mehr Einfluss auf Gesetzesprojekte. Wenn es gut läuft, könnte der linke Parteiflügel bei diesen Wahlen zum Repräsentantenhaus Verstärkung erhalten - von Balter und fünf bis einem Dutzend weiteren neu gewählten Progressiven. Dann würde der Progressive Caucus »gleichziehen« mit der bisher größten politischen Fraktion in der Partei, den »wirtschaftsfreundlichen« New Democrats. Aktuell gehören dieser Gruppe 103 Abgeordnete an.
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