Dies ist nicht Amerika

USA verehren und verabscheuen: Ressentiments im Deutschrap

  • Ralf Fischer
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen wird auch in der deutschen Rapszene mit Spannung verfolgt. Doch der Blick über den Großen Teich ist getrübt von antiamerikanischen Ressentiments. »Trump is halt unberechenbar. Kann alles passieren. Krieg wird’s sicher geben«, war sich der Rapper Basti von Trailerpark vor vier Jahren sicher (Quelle: Twitter), während sich der Manager Hadi El-Dor damals freute, dass »diese Kriegstreiberin verloren« hat. Gemeint war Hillary Clinton. Versehen war der Tweet von El-Dor mit den Hashtags Lobbynutte und keinekriegedurchdieusa. Dass es wohl niemals ein Kandidat den Sprechgesangsinterpreten recht machen kann, beweist Favorite in seinem letzten Song »Fotze, Ratte, ich mein’ Obama«.

Das große Paradoxon der Deutsch-Rap-Szene ist, dass man seinen US-Vorbildern vielfach mit antiamerikanischen Vorurteilen begegnet. Allgemein werden die USA verehrt und verabscheut. Das sind die zwei Gesichter des Januskopfes. Es waren die Absoluten Beginner um Jan Delay, die 1993 auf ihrer ersten EP, einer der ersten Deutschrap-EPs überhaupt, noch gänzlich independent produziert und vertrieben, die ideologische Marschroute der gesamten deutschsprachigem Rapszene mit der Punchline »Dies ist nicht Amerika« prägnant zusammenfassten.

Rund zehn Jahre später formulierte Ferris MC, früher bei F.A.B., später bei Deichkind, in einem Interview mit »Backspin« die in der Deutschrapszene virulenten Ressentiments deutlicher. Auf die Frage, warum er nur noch elektronische Musik produziere, antwortete der Ex-Rapper: »Die Leute sind nicht so eingeschränkt und das finde ich geil. Außerdem ist es was eigenes Deutsches. Seit Kraftwerk setzen wir Maßstäbe in der elektronischen Musik. Ich bin stolz darauf, dass ich dazugehören darf und nicht zu einer Richtung, die immer nur der Mode aus Amerika nachrennt.«

Die »Mode aus Amerika« revolutionierte seit den 50er Jahren weltweit den Kulturkonsum und die Kulturindustrie und auch die Formen subkultureller Gegenbewegungen, von Rock’n’Roll bis Hip-Hop und House. Diese »Mode« ist die Matrix der Popkultur. Die besonders drastische Abgrenzung davon artikuliert einen merkwürdigen Selbsthass, auf die bösen Kulturtechniken der Amis hereingefallen zu sein und versucht, eine eigene deutsche bzw. europäische Identität in Abgrenzung zu den USA zu konstruieren. Dabei wird ein deutsch-europäischer Idealismus gegen den US-amerikanischen Materialismus in Szene gesetzt: Der schöne Geist, der angeblich kein Geld verdienen will und alles nur für »die Sache« tut oder »die Familie« oder »die Straße« oder »die Freunde«.

Hierbei ist die Bildsprache von Bedeutung. Der 1967 in Bolivien ermordete Che Guevara auf T-Shirts ist ikonische Pflicht, sozusagen eine Leihgabe der antiimperialistischen Linken. Auf den Konzerten und in den Videos knüpfte man mit der Zurschaustellung des Palästinensertuches ebenfalls an die Symbolik des Kampfes gegen den US-Imperialismus an. Vielleicht erinnert sich ja der ein oder andere noch an Jan Delays peinlichen Auftritt 2001, als er mit Palästinensertuch und Plastikkalaschnikow bewaffnet auf dem Kölner Karneval herumtanzend im Musikfernsehen zu sehen war. Hinzu kommt die Rede von »Babylon« als Chiffre für die Verderbnis der »westlichen Zivilisation«, eine Leihgabe aus der Rastafari-Religion und des davon beeinflussten Reggae. So rappte Mellow Mark 2002 in seinem Song »Revolution« vom Staat als »Babylon«, und 2004 warnte der bekannteste Sohn Mannheims vor dem »Babylon System«: »Denn jeder Staat außer dem Ameisenstaat ist mein Feind. Hier ist jeder gemeint: Kommunisten-, Nationalisten-, Kapitalistenschwein.«

In den neutestamentarischen Offenbarungen des Johannes wird Babylon als »die große Hure« bezeichnet, die die »Mutter aller Greuel auf Erden« sei (Offb. 17). Bei den Offenbarungen des Apostels Johannes handelt sich um den Schlüsseltext christlicher Apokalyptik, also jener Vorstellungen vom Endkampf zwischen »Gut« und »Böse«, bevor das Tausendjährige Reich Gottes anbricht - und damit das Ende der Zeit. In der Lesart der Rastafaris steht dieser Endkampf unmittelbar bevor. Die Nationalsozialisten spielten auf dieses christliche Motiv an, als sie das »Tausendjährige Reich« ausriefen.

Deutschrapper betonen gern ihre Ironiefähigkeit, meinen es aber meistens ernst. Und wenn mal jemand das Phänomen des Antiamerikanismus ironisiert, wird das von den Konsumenten nicht wahrgenommen. So behauptete 2001 die Münchener Rapcombo Blumentopf im Lied »Liebe und Hass«, dass sie zwar gern an das »Mic steppen und Whack- MCs mit Punchlines dissen«, aber »Standardbattlephrasen und Anglizismen« ablehnen würden. 2014 entblödeten sie sich dann nicht, patriotisch gefärbte »Raportagen« in der ARD zur Unterstützung der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-WM zu kreieren. Das wurde als Ironie verstanden, war aber ernst gemeint.

Die USA bleiben böse. In den Nullerjahren gab es kaum einen Deutschrapper, der nicht die USA für die Terroranschläge am 11. September 2001 verantwortlich machte, oder in seinen Liedern die eigene klammheimliche Freude über diesen mörderischen Angriff auf Zivilisten zum Ausdruck brachte. »Junge ich kotz, denn Amerika gefällt euch. Für mich gibt’s nur eine Zahl und die is 11-9«, rappte Bushido fünf Jahre nach dem Anschlag, Azad schloss sich 2009 direkt an: »Der 11. September, nur ein Mittel zum Zweck. Über drei tausend Tote für ein dreckiges Geschäft. Amerika, Land der unbegrenzten Möglichkeiten opfert seine Menschen um Feinde zu beseitigen.«

Der akademische Teil der Szene formulierte seinen Hass nicht ganz so deutlich. Prinz Pi sah sich selbst als Retter der alten europäischen Kultur gegenüber jenen Mächten, für die Musik nur unter kommerziellen Gesichtspunkten interessant ist, dies gipfelte 2006 in dem Vers: »Aus Dichtern und Denkern wurden Kiffer und Banker.« Die US-Gesellschaft als kulturlos zu betrachten und den Vorwurf zu erheben, in diesem Land würde sich alles einzig und allein um den Profit drehen, während es in Europa - ganz besonders in Deutschland - niemals derart schlicht zugehen würde, das ist eines der ältesten antiamerikanischen Ressentiments.

Die bei rappenden Männern artikulierte Kränkung, dass trotz der moralischen Überlegenheit Rap aus den USA mehr Swag hat, zieht sich durch alle Generationen. Die Altersgruppe um Jan Delay ist mit ihrem Versuch, lyrisch den künstlerischen Selbstverlust durch moralisierenden Antiamerikanismus auszugleichen, genauso gescheitert wie all ihre Nachfolger. Ein wenig Mitleid könnte man zumindest mit den frühen Protagonisten haben, schließlich hatten sie es in ihrer Kindheit mit dem Popper Thomas Gottschalk als early adopter zu tun. Der rappte 1980 erstmals in deutscher Sprache vor einem Millionenpublikum. Mit zwei Radiokollegen performte der erklärte Freund der USA eine Coverversion von »Rapper’s delight« im ZDF. Der Klassiker der Sugarhill Gang war damals ein Jahr alt. Die Coverversion von Thomas Gottschalk, Frank Laufenberg und Manfred Sexauer war eine Liebeserklärung an die angloamerikanische Kultur von Rock’n’Roll bis New Wave.

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