- Kultur
- Meinungsfreiheit
Karikieren ohne Mohammed
Von der Freiheit, eine Meinung zu äußern
»Das Problem der Freiheit ist ihre Vieldeutigkeit«. Das wusste schon der Philosoph Ernst Bloch. Bis hin zur offensichtlichen Unfreiheit darf diese oder jene Freiheit ganz zwanglos ausgedehnt werden. Wenn es nicht anders geht, ist es auch eingeschränkt erlaubt. Pandemisch sind wir gerade Zeugen davon. So ist das mit der Meinungsfreiheit auch. Das kann man ihr ohne Zorn und Eifer guten Gewissens zubilligen. Denn Meinung selbst changiert gern hin zu Anmaßung oder Unterstellung - und ist dann nicht mehr ohne Weiteres zu akzeptieren.
Insofern ist es von einer großsprecherischen Politik zumindest fahrlässig, die im Übermaß verehrte Meinungsfreiheit gleich heiligzusprechen. Ihre ungeprüfte Unantastbarkeit wird zum Problem, wenn mörderische Schadensfälle bisher ungeahnten Ausmaßes ihren Weg säumen. Als 2015 das Massaker an der Redaktion der Satirezeitschrift »Charlie Hebdo« verübt wurde, gab es neben dem Aufschrei einer alarmierten Öffentlichkeit jede Menge fachkundig scheinender Erläuterungen und Ermahnungen. Die Situation des medialen Genres Karikatur schien plötzlich grell ausgeleuchtet aller Welt sichtbar zu sein. Geradezu laienhaft simpel wurden hier in unseren Demokratien heldenhafte und dort in ihren Diktaturen unterdrückte freche Spaßmacher ausgemacht.
Die grob verallgemeinernde Frage »Was darf die Satire?« hatte mal wieder mit der schnellen Antwort »Alles« Hochkonjunktur. Statt dass nun die wirklich gerechte Empörung die religiös garnierte Ideologie der Gewaltausübung attackiert hätte, bestand man ostentativ darauf, ganz legitim den Propheten Mohammed herabzusetzen. Die Toleranz den Glaubensbekenntnissen Andersgläubiger gegenüber außer Kraft zu setzen, wird da zum Problem. Eine imaginäre Vorschrift, wer lächerlich gemacht werden darf, suspendiert die heilige Meinungsfreiheit. Sie ist eine Errungenschaft, die wohlgemerkt allen aus der Diktatur eines anderen Systems Gekommenen wie mir besonders teuer ist.
Ich habe seitdem als Zeichner positive und negative Erfahrungen gemacht. Ich kann viele Einzelbeispiele von praktizierter Zivilcourage beim Karikieren aktueller Missstände oder Fehlentwicklungen aufführen, die meinem Selbstwertgefühl wieder enormen Auftrieb gegeben haben. Ich leide dabei nur darunter, dass zu wenig davon bewusst aufgenommen und rezipiert wird. Zu Zeiten der Diktatur traf unsereins auf eine ganz andere Erwartungshaltung. In ständiger Kritikbereitschaft lebende Leute nehmen angebotene Satire so oder so immer wahr. Und summa summarum konnte ich selbst mit vordergründig nur netten Zeichnungen wie den Porträts ständig ein kritisches Lebensgefühl befeuern.
Meinungsfreiheit funktioniert übrigens nur bei offenem Zugang zu allen Medien. Die Freiheit, unseren Alltag karikierend zu glossieren - wo ist sie zu finden? Da ist unsere visuelle Kultur arm dran. Überbordende Werbungsoffensiven sind von Bildwitz und Wortspiel entblößt. Die Presse zieht Fotos Zeichnungen vor. Mangelnde Nachfrage trocknet ein publizistisches Biotop schnell aus. Nachwuchs bleibt weg, wenn kundige Auftraggeber fehlen. Viele junge Zeichner meiden die tagespolitische Karikatur und flüchten in den Comic. Denn man kann nicht einfach zeichnen oder schreiben, wo man möchte. Prägnante Pointen im Netz? Sie verlieren sich schnell im digitalen Orkus - in dem oft das Unqualifizierbare überschwappt. Was fehlt dort? So etwas wie die Straßenverkehrsordnung. Sie regelte den Autoverkehr bald nach Erfindung des Automobils. Das Übermaß an verbalen Gewaltorgien genießt Freiheiten im Netz, die man intelligenteren und humaneren Sujets wünschen würde.
Läuft das wiederum unter dem Leitmotiv Privatinitiative? Das ist ein ähnliches Zauberwort wie Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit. All diese Begriffe markieren Grundpfeiler unserer demokratischen Ordnung. Und sind als solche ständig in Gefahr, vom Turbokapitalismus ausgehöhlt zu werden. Ideale sind schnell verletzbar. Der Sozialismus, der zum Stalinismus wurde. Und so manche Religion verliert vor unseren Augen unter der kruden Handhabung ihrer Verfechter ihr ehrwürdiges Gesicht, ob nun evangelikal oder islamistisch. Das pure Gegenteil einer tröstlichen Erbauung findet sie dann leider nur noch in fundamentalistischer Zurichtung.
Ja, dieses Stichwort Privatinitiative. Der Zwang zur globalen Gewinnmaximierung verzerrt ein achtbares privates Engagement zur Gierattacke. Da ist oft genug im Zuge krimineller Praktiken die gleichfalls hehre Rechtsstaatlichkeit in Gefahr. Privatisiert ist immer schnell - aber mit welchem Ergebnis? Exakte Informationen dienen der ideellen Grundversorgung genauso wie ihre kluge Kommentierung. Die öffentlich-rechtlichen Medien in Radio und Fernsehen können da immer noch ein Beispiel geben.
Wieso interessieren die in Frankreich so populären Mohammed-Karikaturen hierzulande wesentlich weniger? Offenbar brennen den Zeichnern die Fragen der Existenz ihres Genres überhaupt auf den Nägeln. Der Beruf des Karikaturisten, in der Diktatur in vielen Spielarten geradezu von legendärer Bedeutung, erfreut sich in der Demokratie nur geringer Beachtung. In letzter Zeit gab es mit Vorwürfen wegen diagnostiziertem Rassismus mehr Bezichtigungen als Belobigungen.
Der mit über hundert Mitgliedern repräsentative Berufsverband »Cartoon-Lobby« steht vor verschlossenen Türen, nachdem für seine Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit die zehnjährige Laufzeit eines Mietverhältnisses in Luckau, Brandenburg, abgelaufen ist. Zwar gibt es die Caricatura in Kassel und Frankfurt/Main - aber da fehlt nach wie vor die Ost-West-Komponente. Das kesse Erbe des Ostens ist zu bewahren und fortzusetzen. Das dafür vorgesehene Satiricum in Greiz zeigt diese Bestände zu selten und wenn in individueller Auswahl. Zurzeit zum 70. von Andres J. Mueller, Leipzig. Junge Impulse? Auch hier Fehlanzeige auf der ganzen Linie.
In der Medienlandschaft einer in Rudimenten vorhandenen aufgeklärten Gesellschaft gibt es kabarettistische Aktivitäten, die träge Geister ganz anders aufmöbeln als das Nischenprodukt Karikatur. Ist die gezeichneten Witz und aufklärerischen Geist geradezu in Erbpacht nehmende Medienhauptstadt Berlin inzwischen Vergangenheit? Es kann doch nicht wahr sein, dass ausgerechnet hier das Virus verbohrter Ernsthaftigkeit zusätzlich zur grassierenden Pandemie Hand und Auge für den gezeichneten Bildwitz verkümmern lässt.
Harald Kretzschmar ist Karikaturist und Grafiker; von 1990 bis 2019 erschienen im »nd« regelmäßig Arbeiten von ihm als Karikatur des Tages.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.