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Versäumnisse in der Landwirtschaft
Die aktuelle Art der globalen Lebensmittelproduktion gefährdet die Erreichung der Pariser Klimaschutzziele. Zügiges Handeln ist gefragt.
Während sich im Energiesektor, in Industrie und Verkehr in den letzten Jahren einiges getan hat, um ihren Treibhausgasausstoß zu senken, bleibt der entscheidende Wandel im Bereich der Nahrungsmittelproduktion bislang aus. Dabei stellt das globale Ernährungssystem mit rund 30 Prozent der Gesamtemissionen einen der zentralen Verursacher des gegenwärtigen Klimawandels dar: Schätzungen zufolge betrug der Treibhausgasausstoß des Sektors im Zeitraum von 2012 bis 2017 insgesamt etwa 16 Milliarden Kohlendioxid-Äquivalente pro Jahr. Die größten Quellen sind dabei Rodungen und Landumnutzungen sowie Produktion und Einsatz von Stickstoffdünger und Agrochemikalien. Dabei werden neben Kohlendioxid (CO2) Lachgas (N2O) - ein etwa 300-mal so aktives Treibhausgas wie CO2 - und Methan (CH4) freigesetzt. Eine wichtige Quelle von Treibhausgasen stellt CH4 aus der Haltung von Wiederkäuern wie Rindern, Ziegen und Schafen dar.
Eine kürzlich in der Fachzeitschrift »Science« erschienene Studie hat nun die Bedeutung des Ernährungssektors für die Pariser Klimaschutzziele genauer untersucht. Dabei kommen die Autor*innen zu folgendem Ergebnis: Wenn sich der gegenwärtige Trend in der globalen Nahrungsmittelproduktion nicht umkehrt, werden wir selbst bei einem hypothetischen sofortigen Herunterfahren aller anderen Emissionen bereits zwischen 2051 und 2063 das 1,5-Grad-Ziel - und vor der Jahrhundertwende vermutlich auch das 2-Grad-Ziel überschreiten.
Für ihre Prognose gehen der Postdoktorant Michael Clark, der an der Oxford University zu den ökologischen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Auswirkungen des globalen Ernährungssystems forscht, und sein internationales Team davon aus, dass der Verzehr tierischer Produkte und die Nahrungsmenge um so mehr zunehmen, je wohlhabender Länder und ihre Einwohner*innen werden. In ihrer Berechnung wächst die Weltbevölkerung nach dem mittleren Szenario der UN. Treibhausgasintensität der Nahrungsmittelproduktion sowie die Rate der Lebensmittelvernichtung bleiben konstant. Emissionen aus Transport, Weiterverarbeitung, Verpackung, Einzelhandel und Zubereitung der Lebensmittel klammern die Autor*innen der Studie im Weiteren aus. Gemeinsam machen diese Posten, wie sie schreiben, rund 17 Prozent der Gesamtemissionen des Sektors aus.
Clark und Kolleg*innen benennen aber auch, wo die Stellschrauben dafür liegen, die globalen Nahrungsmittelsysteme innerhalb der nächsten 30 Jahre so umzugestalten, dass die Pariser Klimaschutzziele doch noch erreicht werden könnten - vorausgesetzt auch die anderen Sektoren ziehen mit: »Der wichtigste Punkt ist (dabei) die Umstellung auf eine pflanzendominierte Kost« mit nur moderatem Konsum von Fleisch, Eiern und Milchprodukten, so Clark. Wenn die ganze Weltbevölkerung ihre Ernährung dementsprechend umstelle, ließe sich der prognostizierte Treibhausgasausstoß der Landwirtschaft von 1356 Gigatonnen bis 2100 fast halbieren auf 708 Gigatonnen.
Deutliches Potenzial haben, laut Berechnungen der Autor*innen, auch Ansätze, die eine höhere Effizienz in der Nahrungsmittelherstellung garantieren wie ein präziserer Einsatz von Stickstoffdünger oder Futtermittelzusätzen für Wiederkäuer. Damit könnten 40 Prozent der Treibhausgase eingespart werden, bei einem niedrigeren Nahrungsmittelkonsum in den reicheren Ländern sind es immerhin 30 Prozent. Ähnlich hoch rangiert eine Halbierung der Nahrungsmittelverschwendung und -verluste. Einen weiteren Beitrag könnten Ertragssteigerungen durch verbessertes Saatgut und bessere landwirtschaftliche Praktiken leisten.
Wie die Autor*innen der Studie betonen, reiche die Umsetzung einer Maßnahme allein nicht aus. Würden alle genannten Maßnahmen zu 50 Prozent durchgeführt, reduziere das die Treibhausgasemissionen im Ernährungssektor um 63 Prozent im Vergleich zum Business-as-usual-Szenario. »Eine vollständige Anwendung aller fünf Strategien könnte zu einem Ernährungssystem mit leicht negativen Emissionen und Kohlenstofffixierung aufgrund verlassener landwirtschaftlicher Flächen führen«, heißt es in der Studie. Je länger der notwendige Wandel aber hinausgeschoben werde, desto drastischer müsse er sein.
Helmut Haberl von der Universität für Bodenkultur Wien (Boku) hält die in der Studie betrachteten Treibhausgas-Einsparungen aus naturwissenschaftlich-technischer Sicht durchaus für erreichbar. »Unsere eigenen Arbeiten kommen zu ähnlichen Schlussfolgerungen«, sagt er. »Die zentrale Frage ist aus meiner Sicht, ob es gelingt, die entsprechenden Änderungen in den Praktiken des täglichen Lebens - etwa in der Ernährung, aber auch in den landwirtschaftlichen Praktiken - umzusetzen.«
In Europa könnte dafür die Gemeinsame Agrarpolitik (Gap) ein wesentlicher Motor sein. Die jüngsten Beschlüsse reichen dafür jedoch bei Weitem nicht aus, wie auch die Expertin für landwirtschaftliche Emissionen am Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu), Susanne Köppen, feststellt. »So wird lediglich ein kleiner Teil der Finanzierung an die Umsetzung von Umweltmaßnahmen gekoppelt, von dem wiederum nur ein kleiner Teil dem Klimaschutz zugerechnet wird. Des Weiteren zielen die hier beschlossenen Maßnahmen lediglich auf technischen Klimaschutz in der Landwirtschaft ab, also lediglich eine der fünf in der Studie behandelten Strategien«, kritisiert sie.
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