Die Kursrakete

Die Corona-Pandemie wütet, die Börsen feiern Rekorde. Wie kann das sein?

Die Corona-Pandemie beschert der globalen Wirtschaft die schärfste Krise seit Jahrzehnten. An einigen Stellen jedoch geht es aufwärts: Aufgrund der Kontaktbeschränkungen wird der globale Umsatz mit Haustieren dieses Jahr erstmals über 260 Milliarden Dollar steigen. Und auch an den Börsen herrscht Rekordstimmung: Mit einem Plus von 15 Prozent war der November der beste Monat, den der deutsche Deutsche Aktienindex je erlebt hat. Für die Börsen weltweit war es immerhin der beste Monat seit 40 Jahren. Und das mitten in der Pandemie.

In Deutschland wartet man noch auf die Trendwende bei den Corona-Neuinfektionen. In den USA liegen die Todesfälle im Zusammenhang mit der Pandemie inzwischen über den April-Werten. Die Wirtschaft steht »vor einem harten Winterhalbjahr«, so das Ifo-Institut. 15 Prozent der deutschen Unternehmen sehen sich in ihrer Existenz gefährdet. Dennoch sind die Weltbörsen nicht zu halten. Ihr Boom verdankt sich der Politik: Sie hat der Aktienkurs-Rakete die Startrampe gebaut, sie liefert den Treibstoff und den Zündfunken. Die Gewinne des Börsenbooms verteilen sich allerdings sehr unterschiedlich.

Die Startrampe

Dass die Weltwirtschaft im Zuge der Pandemie nicht zusammengebrochen ist, ist das Verdienst der Regierungen. Sie haben die Einnahmeausfälle im Privatsektor durch staatliche Gelder zum großen Teil ersetzt. Mit Schulden. Allein in Deutschland muss laut Deutscher Bank ein Drittel des Bundeshaushalts über Kredite finanziert werden. In der Gruppe der Industrieländer steigt die Summe der Staatsschulden dieses Jahr von 120 in Richtung 140 Prozent der Wirtschaftsleistung. Und es geht weiter: Der Bund plant 180 Milliarden Euro Neukredite für 2021, in den USA wird über ein neues Konjunkturpaket über 900 Milliarden Dollar diskutiert.

Um die Wirtschaft zu stützen, haben die Regierungen nicht nur hohe Schulden aufgenommen. Sie haben die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auch so konstruiert, dass die Unternehmen möglichst geringe Geschäftseinbußen erleiden. Fabriken und Büros blieben vielfach geöffnet. In Deutschland führt dies dazu, dass sich laut gewerkschaftsnahem Institut WSI jeder dritte Beschäftigte Sorgen macht, sich bei der Arbeit oder auf dem Weg zur Arbeit mit dem Coronavirus zu infizieren. Die Wirtschaft dagegen profitiert: Die Commerzbank sieht »Hinweise darauf, dass zumindest die Industrie bisher durch die gestiegenen Infektionszahlen und die neuerlichen Corona-Einschränkungen nicht spürbar beeinträchtigt wurde«. All das legt die Basis für das Börsenhoch.

Der Treibstoff

Angetrieben werden die Börsenkurse durch die Massen an Finanzkapital, das nach Rendite sucht. Trotz der wachsenden Zahl an Pandemieopfern verteuern sich Aktien, denn »es gibt nichts anderes zu kaufen«, erklärt Gene Goldman vom US-Vermögensverwalter Cetera Financial Group, »die Leute haben diesen Überfluss an Geld und steigen einfach ein«.

Der Staat befeuert diesen Aktienboom auf zwei Wegen: Zum einen halten die Zentralbanken die Zinsen extrem niedrig. Festverzinsliche Papiere bringen daher kaum noch Rendite, was Aktien im Vergleich attraktiv macht. Zum anderen kaufen die Zentralbanken der Welt Anleihen über Billionen Dollar auf. Ende 2020 wird die Europäische Zentralbank allein 2900 Milliarden Euro an Staatsanleihen erworben haben. Nächste Woche dürfte sie eine Erhöhung ihrer Anleihekäufe über 500 Milliarden beschließen. Ihr US-Gegenstück hat allein in den vergangenen Monaten ihren Bestand an Schuldscheinen von 4000 auf fast 7000 Milliarden Dollar aufgestockt.

Damit halten die Zentralbanken die Zinsen niedrig, um eine globale Pleitewelle der Schuldner zu verhindern. Gleichzeitig pumpen sie über ihre Anleihekäufe Geld in das Finanzsystem. In der Eurozone wurde »eine Versechsfachung der Zentralbankgeldmenge gegenüber dem Beginn der Eurokrise beschlossen«, meldet das Ifo-Institut. So werden Covid-Schulden zu Covid-Geld, das teilweise seinen Weg an die Börsen findet. »Die Aussicht auf eine längerfristig sehr expansive Finanz- und Geldpolitik wird in den kommenden beiden Jahren dazu führen, dass die Finanzmärkte im Euroraum völlig abgekoppelt von den Fundamentaldaten bleiben«, so die Commerzbank.

Der Zündfunke

Auslöser für die neuen Kursrekorde ist die Aussicht auf einen Corona-Impfstoff. Die Entwicklung von Impfstoffen dauert normalerweise zehn bis 15 Jahre, dieses Mal werden es zwölf bis 18 Monate sein. Dass es beim Corona-Vakzin so schnell ging, gilt als Erfolg der Wissenschaft. »Wissenschaft war immer der Ausweg aus dieser furchtbaren Pandemie«, frohlockte diese Woche Jeremy Farrar, Berater der britischen Regierung. »Und dieses Mal war die Wissenschaft global.«

Entscheidend für die Schnelligkeit war allerdings etwas anderes: das Geld. Regierungen haben erstens die Entwicklung des Impfstoffs mit Milliarden gefördert. Zweitens, und wichtiger, haben sie »den Pharmakonzernen durch Abnahmegarantien einen großen Teil des finanziellen Risikos abgenommen«, erklärt die Bank ABN Amro. Daher konnten einige Konzerne »mit der Produktion des Impfstoffs beginnen, bevor sie wussten, ob ihr Produkt wirksam und sicher ist«. Auf diese Weise haben die Regierungen der Pharmaindustrie quasi eine Gelddruckmaschine in Aussicht gestellt. Möglich ist dies allerdings nur reichen Ländern. In Südafrika hingegen, das unter den afrikanischen Ländern am härtesten von Corona betroffen ist, hat die Regierung noch immer keinen Plan, wie sie an Impfstoffe in ausreichender Menge kommen soll.

Doch die Pandemie in armen Ländern kümmert die Finanzmärkte wenig. Wichtig aus ökonomischer Perspektive sind allein die Heimatländer des Kapitals. Und auch dort zählt nicht jeder einzelne Mensch. Aus Sicht der Märkte muss das Coronavirus nicht ausgerottet, sondern nur seine Verbreitung unter Kontrolle gebracht werden. Denn nur bei »unkontrollierter Ausbreitung des Virus«, so Ifo-Chef Clemens Fuest, »ist eine positive wirtschaftliche Entwicklung nicht möglich«. Diese Kontrolle scheint bei Corona nun in greifbarer Nähe - anders als bei Krankheiten in armen Ländern. »Was geschähe, wenn die Welt Malaria mit der gleichen Energie bekämpfen würde wie Corona?«, fragte Francine Ntoumi im Magazin »Nature«. An Malaria sterben jährlich 2,5 Millionen Menschen, 90 Prozent davon in Afrika.

Die Passagiere

Vom Aktienboom haben die meisten Menschen wenig. Denn für ihre Spargroschen und ihre private Altersvorsorge hängen sie vom Zinsniveau ab. Und das ist niedrig. So sollen deutsche Lebensversicherer ihren Kunden von 2022 an maximal noch eine Verzinsung von 0,25 Prozent auf neue Policen versprechen dürfen.

Profiteure des Börsenhochs sind vielmehr die reichsten zehn Prozent der Haushalte, denn ihnen gehört der größte Teil des globalen Aktienreichtums. Zu ihnen gehört Jeff Bezos, Chef von Amazon, das wegen Lohndrückerei und Corona-Infektionen in seinen Lagern kritisiert wird. Bezos’ Vermögen hat sich laut Finanzagentur Bloomberg im laufenden Jahr um 74 Milliarden auf 188 Milliarden Dollar vergrößert. Zweitreichster Mensch der Erde ist seit kurzem Tesla-Gründer Elon Musk, der mit der IG Metall im Clinch liegt, weil er in seiner neuen Fabrik nahe Berlin den Beschäftigten keine vernünftigen Verträge geben will. Musk ist dieses Jahr um 115 Milliarden Dollar reicher geworden.

Musk, Bezos und mit ihnen die Finanzmärkte hoffen darauf, dass der Impfstoff den Weg zur ökonomischen »Normalität« wieder frei macht. Diese Normalität dürfte jedoch sehr unterschiedlich ausfallen. Denn in der Krise haben vor allem die Geringverdienenden Jobs und Geld verloren. Mit deutlichen Lohnzuwächsen ist kaum zu rechnen. »Dafür spricht die krisenbedingt hohe Unterbeschäftigung, die die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften schwächt«, so die Commerzbank.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.