Der Taxibranche geht die Luft aus

Teil 1 unserer Serie über Menschen in Berufen, die die Coronakrise besonders trifft

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit 1999 fährt Hayrettin Şimşek in Berlin Taxi. Eigentlich wollte er damit nur die Zeit bis zum Beginn seines BWL-Studiums überbrücken. Doch er hat sich in den Job verliebt. Seit dem Jahr 2000 ist er selbstständig. Er ist auch Redakteur der Branchenzeitschrift »Taxi Times«.
Seit 1999 fährt Hayrettin Şimşek in Berlin Taxi. Eigentlich wollte er damit nur die Zeit bis zum Beginn seines BWL-Studiums überbrücken. Doch er hat sich in den Job verliebt. Seit dem Jahr 2000 ist er selbstständig. Er ist auch Redakteur der Branchenzeitschrift »Taxi Times«.

Hayrettin Şimşek steht mit seinem Taxi am Berliner Hauptbahnhof. Der kalte Wind bläst an diesem Mittwochvormittag die ersten Schneeflocken in die Gesichter der wenigen Passanten. Ein Taxi will trotzdem fast niemand. In einer Viertelstunde verlassen gerade mal zwei den Halteplatz. »Ich bin Simi«, stellt sich der 44-jährige Fahrer vor, der hier auf dem Weg zum Bundeswirtschaftsministerium nur einen Stopp eingelegt hat.

Um 5 vor 12 wird demonstriert, einige Taxis fahren ums Karree des Invalidenparks. Dabei kommen sie praktischerweise auch am gegenüberliegenden Bundesverkehrsministerium vorbei. Simi hat sich auf dem Weg dahin noch schwarzen Trauerflor besorgt, den er an der Antenne seines Autos befestigt hat. Denn der Branche geht es mit Corona dreckig, ihm geht es dreckig. »Wir drehen jeden Cent inzwischen dreimal um«, sagt Simi. Wir - das sind er, seine Frau sowie die zwei Kinder, ein elfjähriger Junge und ein neunjähriges Mädchen. »Die Kinder verstehen unsere Lage, die wissen, was ist«, berichtet er. »Wenn sie sich etwas wünschen, will ich ihnen das nicht antun, auch noch sagen zu müssen, dass wir uns das nicht leisten können.« Früher seien sie einmal pro Woche Essen gegangen oder hätten sich etwas nach Hause bestellt. Das geht gerade nicht.

Şimşek ist selbstständig, hat zwei Taxis nebst Konzessionen. Der angestellte Fahrer ist inzwischen abgesprungen, macht eine Umschulung zum Busfahrer. Über 1000 Taxikonzessionen sind seit Februar in Berlin zurückgegeben worden, nun gibt es noch etwa 7000.

Simi fährt noch - und seine Frau. »Sie ist etwa 20 Stunden pro Monat unterwegs, es lohnt sich fast gar nicht«, berichtet Şimşek. Er ist nahezu täglich auf Achse, gern auch mal zwölf Stunden. »Für vielleicht 50, 60 Euro Umsatz, das deckt manchmal nicht mal die Betriebskosten«, sagt Simi.Vor Corona waren durchschnittlich 130 Umsatz Euro pro Acht-Stunden-Schicht drin. »Nichts zum reich werden, aber um die Rechnungen zu bezahlen.« Keine Messen, kaum Geschäftsreisen, Tourismus sowieso nicht. »Mein Umsatz lag gestern bei 12,60 Euro«, berichtet ein Kollege. Die meisten haben derzeit trotz 40, 60 oder mehr Wochenstunden Einnahmen auf Minijob-Niveau. Krankenversicherung, Altersvorsorge, Finanzierungsraten für das Auto, das zahlen sie aus ihren Rücklagen. Die sind inzwischen oft aufgebraucht. Und bei den Corona-Unterstützungsleistungen fällt die Branche fast immer durchs Raster.

»Gleichzeitig werden die Regelverstöße der Konkurrenz, der Mietwagenfirmen, nicht unterbunden«, so Simi. Etwa die Rückkehrpflicht an den Betriebsstandort nach einem Auftrag. Rund 5000 Mietwagenkonzessionen wurden in Berlin inzwischen erteilt. »Ich glaube, wir sollen an die Wand gefahren werden«, sagt Şimşek. Er will das nicht hinnehmen und hat seine Kollegen zum gemeinsamen Protest aufgerufen. Sie schreiben Briefe an Minister und Senatoren - und fahren eben auch bei den Ministerien vor.

Die Taxibranche ist hochreguliert. Mit Beförderungspflicht und Betriebspflicht zum Beispiel. Jedes Taxi muss an 180 Tagen pro Kalenderjahr mindestens sechs Stunden im Dienst sein. Fiskaltaxameter unterbinden Betrügereien. Die Tarife sind staatlich festgesetzt. Simi findet das gut. »Wer eine Rose liebt muss die Dornen vertragen können. Aber inzwischen zerstechen sie unsere ganzen Körper. Wir könnten daran verbluten.«

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