- Kultur
- Europäischer Filmpreis 2020
Trinkende Männer, vergessene Frauen
Alkohol und Abstand: Die Europäischen Filmpreise 2020 wurden verliehen
Kann man mich hören?« - Dass eine Dankesrede so beginnt, ist mittlerweile nicht ungewöhnlich bei einer Online-Preisverleihung im Covid-Jahr. Auch künstlicher Applaus, etwa per Knopfdruck - wie Lachkonserven bei Sitcoms. So wurde auch am Samstagabend im Berliner Futurium Stimmung gemacht, wo die 33. Europäische Film-Preisverleihung, anders als ursprünglich in Reykjavik geplant, stattfand - in Anwesenheit der vier Mitglieder der Europäischen Filmakademie (EFA): Noch-Präsident Wim Wenders, die Geschäftsführerin Marion Döring, die polnische Regisseurin und neue EFA-Präsidentin Agnieszka Holland und der Vorsitzende des EFA-Vorstands Mike Downey.
Gemeinsam mit dem Moderator Steven Gätjen begrüßten sie 40 Filmemacher*innen, Schauspieler*innen und Drehbuchautor*innen, die sich dem Streamingevent per Video zugeschaltet haben. Und - wie zu sehen war - oft ihre eigenen Drinks bei sich hatten. Die wenigen physisch anwesenden Gäste im Studio, die vor allem eingeladen wurden, um die Gewinner*innen des Abends bekanntzugeben, wurden mit Ellenbogengruß empfangen; der obligatorische Abstand wurde eingehalten. Und es wurde zudem hier und da betont, dass alle - vor und hinter der Kamera - vorab negativ getestet worden sind. Also alles bereit für die Preisverleihung dieses »shitty year« (beschissenen Jahres), wie Gätjen es nennt.
Und passend zu solch einem Jahr gab es auch keinen richtigen Freudenrausch nach der Verkündung der Auszeichnungen, dafür aber Verzögerungen bei der Bildübertragung. Etwa als die Schauspielerin Paula Beer den Preis der besten Darstellerin für ihre Rolle im Liebesdrama »Undine« gewonnen hat. Während im Futurium lauter Soundeffekt-Jubel ertönte, starrte die Schauspielerin noch in die Kamera ohne jegliche Reaktion.
Dabei war »Der Rausch« eigentlich das Thema des Abends. Der Spielfilm des dänischen Regisseurs Thomas Vinterberg, »Another Round« (deutscher Titel: »Der Rausch«), wurde mit vier Europäischen Filmpreisen ausgezeichnet, darunter als der beste Europäische Film. Vinterberg erhielt zudem den Preis für die beste Regie und für das beste Drehbuch (zusammen mit Tobias Lindholm). Und Mads Mikkelsen, der die Hauptrolle in »Der Rausch« spielte, wurde als bester Darsteller ausgezeichnet.
In seiner Dankesrede sagte Vinterberg, dass er diesen Film »in der schwierigsten Zeit seines Lebens« gedreht habe. Sieben Jahre hat er an diesem Werk gearbeitet. 2019, kurz nach dem Beginn der Dreharbeiten, starb seine Tochter, die eigentlich auch für eine Rolle im Film vorgesehen war. Für sie habe er ihn vollendet, so Vinterberg. Auch die Besonderheit des europäischen Filmemachens hat er lobend hervorgehoben: »Der Rausch« handele von »vier heterosexuellen weißen Männern, die den Jüngeren Trinken beibringen. Es wäre außer in diesem Kontinent unmöglich gewesen, solch einen Film zu machen«.
Bei dieser Verleihung gab es einen neuen Preis - für die in diesem Jahr eingeführte Reihe »Innovatives Storytelling«. Die Auszeichnung gewann der Regisseur Mark Cousins für seine 14-stündige Dokumentation »Women Make Film«. In 40 Kapiteln werden die Geschichten von 183 internationalen, eher vergessenen Filmemacherinnen erzählt. Cousins kuratierte in den 90ern eine Serie über große Dokumentarfilme, später wurde er darauf aufmerksam, dass in dieser nur ein einziger Film von einer Frau vorkam. Dies führte dazu, dass er sich auf die Suche nach Regisseurinnen in der ganzen Welt und in verschieden Epochen machte, um diese dann sichtbar zu machen. Cousins hat sich sogar die Namen jener Filmemacherinnen tätowieren lassen, die ihn inspiriert haben. Etwa die iranische Regisseurin Samira Makhmalbaf oder die ukrainische Kira Muratova. Seine Tattoos zeigte er noch nach seiner Dankesrede. Auch dies mit zeitlicher Verzögerung.
Es gab dann noch eine kurze, überraschende Dankesrede - von einer Frau, die jedoch in keiner Kategorie nominiert war. Da Wim Wenders und Marion Döring, die seit 1988 bei dieser Preisverleihung dabei sind, Ende des Jahres ihre Ämter abgeben, dankte ihnen die Kanzlerin Angela Merkel mit einer Videobotschaft: »Ihr Abschied ist eine Zäsur, doch was bleibt, ist eine große Dankbarkeit für Ihre Verdienste um den Europäischen Film.«
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