Druck auf die Nachzügler

Zweites Corona-Serum wird in der EU zugelassen. Die deutsche Impfkampagne beschleunigt das nicht.

Eine gute Meldung aus Amsterdam: Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hat am Dienstag den Weg für die EU-weite Zulassung eines zweiten Corona-Impfstoffs freigemacht. Es handelt sich dabei um ein Produkt des US-Konzerns Moderna, wie beim bereits zugelassenen Serum des deutschen Unternehmens Biontech ein neuartiger mRNA-Impfstoff. Die EMA teilte nach Beratungen eines Expertengremiums via Twitter mit, es empfehle eine bedingte Zulassung »zur Prävention von Covid-19 bei Menschen ab 18 Jahren«. Die eigentliche Zulassung durch die EU-Kommission dürfte nur noch eine Formalie sein.

Ob sich damit das Problem in Deutschland und anderen Mitgliedsländern beseitigen lässt, dass die Impfkampagnen langsam vorankommen, ist aber unwahrscheinlich. Die EU hatte im Herbst 160 Millionen Dosen bei Moderna bestellt, nur etwa halb so viele wie bei Biontech/Pfizer. Größere Mengen sollen hingegen die Pharmakonzerne Johnson & Johnson sowie AstraZeneca beisteuern, die eher traditionelle Impfstoffe zu erheblich niedrigeren Preisen verkaufen wollen, sowie die deutsche Firma Curevac, bei der in der Coronakrise die Staatsbank KfW eingestiegen war. Alle diese Produkte sind noch weit von einer Zulassung entfernt. Kurzum: Es ist genug bestellt, aber es wird dauern. Mit den ersten Lieferungen des Moderna-Serums wird in Deutschland in der kommenden Woche gerechnet. Im ersten Quartal soll es zwei Millionen Dosen geben.

Der Pharmamarkt wird auf absehbare Zeit nicht genug Impfstoffe liefern können, um rasch das Ziel zu erfüllen, eine Herdenimmunität durch Impfen von etwa 60 Prozent der Bevölkerung zu erreichen. Doch angesichts laut werdender Kritik am schleppenden Start berieten einige Minister der Bundesregierung mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch darüber, wie man zumindest an etwas mehr Impfstoff kommen kann.

Das Ergebnis war wohl mehr als bescheiden: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bat im Anschluss die Bevölkerung um Geduld. Er verstehe das Bedürfnis nach Beschleunigung der Impfkampagne. Zunächst aber müssten die geschützt werden, die besonders verwundbar seien: »So viel Solidarität, so viel Geduld muss auch auf dem Weg raus aus dieser Pandemie sein«, so Spahn.

Aber in einigen Wochen soll es deutlich besser werden. Dazu verweist die Regierung auf die neue Produktionsstätte von Biontech, die Ende Februar, Anfang März im hessischen Marburg in Betrieb gehen soll. Das bei der Firma für Deutschland bestellte Kontingent soll dann schneller zur Verfügung stehen. Bislang waren nach Angaben des Robert-Koch-Instituts bis einschließlich Dienstag 367.331 Menschen gegen das Coronavirus geimpft. Darunter befinden sich nur etwa 150.000 Bewohner von Pflegeheimen - also die Risikogruppe, die für etwa die Hälfte der Covid-19-Toten hierzulande steht. In den meisten Bundesländern sollen alle Heimbewohner bis Ende Januar geimpft sein. Nun wird erheblicher Druck auf die Nachzügler ausgeübt: So heißt es im Beschluss der Länderministerpräsidenten und Bundeskanzlerin Merkel vom Dienstag, dass allen Pflegeheimbewohnern »bis spätestens Mitte Februar« ein Impfangebot gemacht werde.

Das weist auf das eigentliche Problem hin: Es sind nicht zu wenige Impfstoffmengen vorhanden, sondern es geht vor Ort offenbar höchst unterschiedlich schnell voran. Das liegt am Flickenteppich der Länderregelungen, dem Fehlen einer einheitlichen Organisation und Verteilstruktur und mancherorts an schlechter Vorbereitung. Täglich könnten nach offiziellen Angaben bis zu 300.000 Menschen geimpft werden, doch davon ist man weit entfernt. Aus diesem Grunde liefen auch die Beratungen der Regierung über größere Liefermengen jetzt ins Leere.

Das Treffen hatte wohl eher den Grund, sich intern die Meinung zu sagen: SPD-Politiker warfen zuletzt immer lautstärker Gesundheitsminister Spahn Versagen vor. Das Argument: Deutschland hätte nicht zentral über Brüssel, sondern eigenständig Impdosen bestellen sollen. Finanzminister Olaf Scholz schickte sogar einen Fragenkatalog an den Kollegen - ein ungewöhnlicher Vorgang.

Dabei ist Spahn die falsche Adresse. Das zentrale Beschaffen der Impfstoffe war einst zwischen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Kanzlerin Merkel ausgehandelt worden. Letztere müsste also in der Kritik stehen. Im Vorwahlkampf scheint ein Politiker, der auch in der nächsten Legislaturperiode eine wichtige Rolle spielen sollte, aber ein geeigneterer Angriffspunkt zu sein.

Die parteipolitischen Spiele sind gerade jetzt problematisch, da sie die Verunsicherung der Bevölkerung noch verstärken, was der Impfkampagne nur schadet. Daher forderte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, auch mehr Zurückhaltung im Streit um die Corona-Impfungen. »Es entsteht ein Eindruck, als sei etwas gescheitert, was noch nicht mal richtig angefangen hat«, so die Medizinethikerin.

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