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»Private Weltkriege«
Zum 100. Geburtstag der Schriftstellerin Patricia Highsmith
Das Unheil bricht nicht herein. Es sickert. Das hat diese Literatur vom Blut gelernt, das den Menschen verlässt. Wie alles andere, das ihn am Leben halten könnte. Wollten diese Romane Märchen sein - sie erzählten, wie die Großmutter den Wolf frisst.
Das Werk der Patricia Highsmith (»Der Stümper«, »Der Schrei der Eule«) schildert höllische Begegnungen mit jenem Januskopf, den wir alle vor der Welt verstecken. So wie Blaubart seine Geheimniskammer hat, so haben wir solche Kammern in uns. Die Fantasien ungelebter Gewaltträume. In denen wir lustvolle Verräter werden an den Regeln der Sittlichkeit. Schrecken, das ist nur ein anderes Wort für Seele.
Eine frühe Geschichte erzählt von einem Mädchen, das als Findelkind von Nonnen als Mädchen aufgezogen wird und deren Kloster in die Luft jagt - um endlich ein Junge sein zu können. Sätze wie die Dämonie selber: »Ein Junge ist das, was passiert, wenn ein Kind kein Mädchen ist.«
Die US-Amerikanerin Highsmith, 1921 im texanischen Fort Worth geboren, hatte lange zwischen ihren Talenten abzuwägen versucht. Malerin wäre sie gern geworden; aber der Drang zur Literatur erwies sich als stärker. England, Griechenland, Mexiko wurden zu Stationen »eines Lebens, das mir alles abforderte, aber auch alles an Freiheit gab«, ehe sie sich mit ihren Katzen in ein französisches Dorf und schließlich ins schweizerische Tessin zurückzog, wo sie 1995 starb.
Die irre, irritierende Horror-Welt eines Edgar Allan Poe, in der die Gehenkten im Winde baumeln - bei Highsmith ist diese grausige Welt zum Alltag geworden (»Der Geschichtenerzähler«, »Die gläserne Zelle«). Alles geht vornehm zu, die silbernen Messer werden gut abgewischt. Die Verstörung sitzt schon mit am Frühstückstisch.
Die Bestseller-Autorin hat vor allem eine Kunstfigur geschaffen, die Furore machte: Tom Ripley. »Der talentierte Mr. Ripley«, »Ripley Under Ground«, »Ripleys Game«, »Der Junge, der Ripley folgte« sind Romane, die einen Gentleman-Verbrecher zu einem Helden der modernen Weltliteratur erhoben. Alain Delon spielte fürs Kino mit grandios frostblauem Gemüt diesen perfekten Don Juan des Mordes, »dessen Kunst darin besteht, auch ein blutbeflecktes Leben lebenswert zu finden - wie es viele dieser Leute ja auch in der Realität gibt«, so die Autorin.
Gibt es etwas Langweiligeres und Gekünstelteres als die Gerechtigkeit? So fragt die Highsmith mit charmant-hexischer Unverfrorenheit. Man liest sie mit eingezogenem Kopf. Und verfällt ihr. Peter Handke schreibt, diese Autorin spiele Horror wie Yehudi Menuhin Geige. Alle Welt sagt in diesen Büchern freundlich »Guten Morgen« und hält gleichzeitig den Schraubenschlüssel hinterm Rücken - zum Schlag bereit. Highsmith lächelt und teilte mit leiser Stimme nur immer wieder gern mit, ihr Lieblingsvogel sei das Rotkehlchen, das passe so trefflich zu ihrem Lieblingskomponisten Mozart.
Gleich ihr erster Roman war zwei Großen aufgefallen: Alfred Hitchcock verfilmte »Zwei Fremde im Zug« 1951, Raymond Chandler schrieb das Drehbuch. Auch deutsche Regisseure (Geissendörfer, Wenders) wandten sich immer wieder dieser Meisterin der schwarzen Mörderkunst zu. Auch Pollack, Clement, Chabrol.
Die Schriftstellerin ist oft umgezogen, immer auf der Suche nach mehr Sonne, nach einer neuen Schale, »ähnlich einem Einsiedlerkrebs, der die verlassenen Gehäuse fremder Tiere als Wohnung benutzt ...« Sie streichelte ihre Katzen und fütterte ihre Schnecken, die zu Titelgebern einer ihrer Bände mit mysteriösen Kurzgeschichten wurden: »Der Schneckenforscher«.
Sie kämpfte mit ihrer Homosexualität und blieb »misanthropische Junggesellin«. Sie habe sich » kurz vor der Hochzeit wieder entlobt. Ich fürchtete mich davor, Mutter zu sein; ich hätte nicht die Geduld gehabt, Kinder großzuziehen.« Sie hatte ein Faible für Freunde und Weltläufigkeit und hat beides gnadenlos unterdrückt. Denn beides hielt auf verheerende Weise von der Arbeit ab. Die bestand aus Schreiben; täglich acht, neun Seiten, ein Leben lang auf einer alten, aber immerhin elektrischen Schreibmaschine.
Wie Gott im Himmel lässt sie Mörder triumphieren und Wohlmeinende mit Schrecken untergehen. Auf dem Weg vom Wort zur Tat wird alles hoffnungslos. Weder die liebenswürdige, von Spinnennetzen umgarnte Betulichkeit der Agatha Christie noch die whiskyriechende zynische Hemdsärmligkeit Raymond Chandlers, weder die fallkalte Nüchternheit von Ross MacDonald noch das Spürnäselnde von Dashiell Hammett decken nur annähernd, was die Werke der Highsmith ausmacht. Die Beweggründe des Verbrechens liegen im Versuch ihrer Gestalten, sich einem anderen Menschen zu nähern. Alle Liebe nur eine Stammesgeschichte der Vortäuschungen? »Distanz oder ich morde!« sagt Ingeborg Bachmann.
Die Hauptpersonen vieler Romane, sei es Howard Ingham aus dem »Zittern des Fälschers«, Ed Garrett aus »Venedig kann sehr kalt sein« oder Rydal Keener aus »Die zwei Gesichter des Januar«, schließlich auch die Schreiberin von »Ediths Tagebuch« - es sind Menschen, deren Leben in einer nicht greifbaren Krise steckt. In einer Wirklichkeit, in der jedem alles geschehen kann, ist nicht der Mord das Entscheidende, sondern die quälend hinausgezögerte Konsequenz solcher Katastrophen. In einer Literatur, in der alles Böse eingemeindet ist in Strukturen einer grundsätzlich gefälschten Existenz, schwindet die klare Kennzeichnung, wer Täter wird, wer Opfer. Es muss überhaupt nichts mehr geschehen, die schlimmstmögliche Wendung ist immer schon da, und so tendieren die Romane mehr und mehr zu dem, was Flaubert seinen literarischen Traum nannte: »ein Buch über nichts« zu schreiben. Das Wirkliche ist nicht mehr verhandelbar, weil es sich der Einflussnahme durch Moral entzieht. »Die stille Mitte der Welt« ist der bezeichnende Titel sehr früher Stories.
Nie ist sie geistig, immer stofflich. Nie interpretierend, immer entschlackt »aufzählend«. Erzähltes und Erzählung streben nach Deckungsgleichheit. Nichts soll durch literarische Technik künstlich unter Spannung gesetzt werden. Gebrochene Willen, langsam fließende Sprache. Hier liegt der Zauber, den ein Dichter wie Peter Handke an Highsmith entdeckte. Er nennt ihre Geschichten »private Weltkriege«. Schon nach wenigen Seiten wähnt man sich in einem Geheimnis verfangen, das um so größer wird, je weniger Worte es für seine immer stärker klaffenden Abgründe benötigt. »Geschichten wie Rauchschwaden«, schreibt sie selbst. Die Morde spät, die Kommissare blass.
Im Herbst erscheinen im Diogenes Verlag Tagebücher aus dem Nachlass. Tausende Blätter fand man nach ihrem Tod in einem Wäscheschrank. Der Ort als Signal: Vorsicht, schmutzige Wäsche. Denn es sind auch Zeugnisse des Antisemitischen, des Hasses, der unverhüllten Finsternis. Zeugnisse eines Lebens, das allen schöpferischen, ja überhaupt den Wert der Persönlichen im Werk zurückließ und sich ganz an das verlor, was im gelebten Dasein nicht vorzeigbar war. Highsmith hat das immer gewusst und schon 1940 geschrieben: »Kein Schriftsteller würde sein verborgenes Leben preisgeben.«
Aber nun wird veröffentlicht und gelesen werden, und zur kritischen Analyse wird - dies offenbaren Vorberichte - auch wieder jenes »Kränkungsmanagement der Identitätspolitik« (Bernd Stegemann) kommen, das sich inzwischen routiniert mit Aufmerksamkeit versorgt. Und das alles Wirkliche gern von Ambivalenzen »befreit«.
Die Lehre der Patricia Highsmith: Unser Boden schwankt, aber das führt zur Neuerfindung dunkel glänzender Wege. Ihr Werk porträtiert die Unmöglichkeit, eine Idee vom Leben mit der Realität des Lebens in Übereinstimmung zu bringen. Indem man sich selber im Hässlichen verfängt, beginnt das schwerste, schönste aller Spiele: nichts mehr für unabänderlich zu halten, sich auf nichts mehr zu berufen, allen angeblichen Verlässlichkeiten zu misstrauen.
Ein Spiel, für das wir uns überwinden müssen. Denn jenen vielen Zufälligkeiten, die uns im Leben zu Erwachsenen, Liebenden, Vernünftigen, vermeintlichen Weltdurchschauern machen, möchten wir allzu gern den Adel einer Logik verleihen - deren Gesetzgeber wir selber sind. Wir sind es nicht. Es gibt kein Dasein, das frei und sicher zugleich macht.
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