Live ins Nichts

Zwischen abgesagten Konzerten und der nächsten Mietzahlung: Wie ein Bluesmusiker durch den Corona-Lockdown kommt

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit März vergangenen Jahres weist die Website des Münchner Musikers Rusty Stone eine gewisse Beständigkeit auf: »!!!Corona-Absage!!!« ist dort häufig zu lesen, ob am 22. Januar diesen Jahres im »Cafe Mathilda« in Burghausen oder am 13. März in der »Bierfabrik« in Pockau-Lengefeld. Rusty Stone spielt gern und oft den Blues auf einer seiner vielen Gitarren, jetzt aber sagt er: »Auf diesen Corona-Blues kann ich verzichten.« Und ja, die abgesagten Auftritte gehen an die wirtschaftliche Existenz. Aber es gibt auch noch eine andere Seite des Lockdowns für Künstler: Der Kontakt mit dem Publikum ist lebenswichtig. »Ich nehme Medikamente, schlafe aber trotzdem sehr schlecht«, sagt der Musiker.

Eine Erdgeschosswohnung im Münchner Westen, ein ruhiges Wohnviertel. Hier lebt Rusty Stone zusammen mit seinen Gitarren, die auf drei Zimmern verteilt sind. Im Flur hängen Plakate mit Größen wie Miles Davis, Johnny Cash oder Stevie Ray Vaughan. Die Bücherregale sind voll mit Noten zu Songs und Literatur: Biografien, Geschichten vom Erfolg und vom Niedergang auf den Bühnen. In den Zimmerecken steht das Equipment für die Auftritte: Verstärker, Mikrofonhalter, Kabel. Damit ist der Musiker seit vielen Jahren unterwegs zwischen Saarbrücken und Burghausen, zwischen Bremerhaven und Chur in der Schweiz. Entweder bei Soloauftritten oder zusammen mit seiner Band, im Trio touren sie dann mit einem roten VW-Bus durch die Lande.

Damit ist es nun seit dem erneuten Lockdown wieder vorbei. Der letzte Auftritt von Rusty Stone war im November - online. Das Ganze lief live über den YouTube-Kanal der Volkshochschule Ismaning, einem Ort im Norden von München. Da stand er dann alleine da mit seiner Gitarre, vor ihm die Leere des Saales, irgendwo hinten im Dunkeln die Kamera und der Kameramann. Zwei Stunden lang live in das Nichts hineinzuspielen, das sei »sehr, sehr ungewohnt« gewesen, sagt Stone. Weil: »Mit dieser Art von Musik hängt man vom Publikum ab.« Man müsse die Gesichter sehen, die Augen, ob die Leute mitgehen, mitwippen, mitsingen. Eines seiner Vorbilder ist der Bluesmusiker John Lee Hooker. Rusty Stone spielt vieles, seit 1984 erzählt er mit seinen eigenen Kompositionen »kleine Geschichten, die das Leben« schreibt. Gepresst sind sie auf CDs, deren Titel selbst eine Geschichte erzählen: von »Struggle« (Kampf) über »Rough Times« (Harte Zeiten) bis zu »Farewell« (Lebewohl).

Der letzte Liveauftritt mit Band vor anwesendem Publikum war im Februar 2020 im thüringischen Hildburghausen. Nach dem Online-Konzert bei der VHS Ismaning konnte man auf seiner Website lesen: »Durch die anhaltenden Corona-Maßnahmen bis vermutlich weit in das Jahr 2021 hinein wird dieses Konzert für die nächste Zeit mein letztes sein.« Jetzt, im Januar 2021, sitzt Stone in seinem vollgestellten Wohnzimmer, das zugleich Übungsraum ist, und hält eine National-Resonator-Gitarre in den Händen - mit ihr kann man lauter spielen, was wichtig ist für die Bluessänger auf der Straße. Beide Unterarme sind tätowiert, auf dem linken ist zu lesen: »Blues was my first Love«. Blues ist für ihn auch eine Art Lebenselixier, genauso wie die Kontakte auf der Bühne. Dass er, dass Kunst nun nicht mehr »systemrelevant« sei, das macht müde, zermürbt. Der Lockdown als eingefrorene Zeit, in der nichts passiert. »Ich bin keine 35 Jahre mehr«, sagt der Musiker, »mir läuft doch die Zeit davon.«

Als Einnahmequelle bleibt noch der Gitarrenunterricht, was aber online schwierig bis unmöglich ist. Wegen der »Latenz«, also der Zeitverschiebung im Millisekundenbereich, wodurch kein gemeinsames Spielen möglich ist. Gut, es gibt die finanziellen Corona-Hilfen und sie helfen, diese Zeit zu überbrücken. Aber bis wann? »Ich glaube, das geht bis Ostern oder noch länger«, sagt der Musiker. Er legt die Gitarre zurück und greift sich eine 12-saitige Taylor. Klar, er hat auch einen Corona-Song geschrieben: Aber nichts Tieftrauriges, eher optimistisch singt er auf Englisch: »Corona hier, Corona da …. Aber ich bin noch am Leben und spiele meinen Blues«. So oszilliert die Stimmung zwischen eher dunklen Stunden und dem Aufkeimen von Humor. Dazwischen bleibt der soziale Überlebenskampf, um zwischen abgesagten Konzerten und der nächsten Mietzahlung über die Runden zu kommen.

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