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Wir sind noch nicht hart genug
«Der Dichter und der Neonazi»: Die Briefe zwischen Erich Fried und Michael Kühnen
Zu den Steinen hat einer gesagt: seid menschlich. / Die Steine haben gesagt: wir sind noch nicht hart genug«. Dieses Gedicht von Erich Fried heißt »Antwort«. Es durfte 1978 nicht in einem bayerischen Schulbuch veröffentlicht werden. Die CSU sah darin die Unterstützung von linker Gewalt. Man könnte es aber auch auf rechte Gewalt anwenden, wenn man das neue Buch »Der Dichter und der Neonazi« von Thomas Wagner gelesen hat. Darin wird die Korrespondenz zwischen Erich Fried (1921-1988) und Michael Kühnen (1955-1991) beschrieben, als »eine deutsche Freundschaft«, wie es im Untertitel heißt.
In den 70er Jahren war Erich Fried in der Bundesrepublik zum bekanntesten linken Dichter geworden und Michael Kühnen zum bekanntesten Faschisten. Kühnen flog wegen NS-Propaganda als Leutnant aus der Bundeswehr und wurde mehrfach zu Haftstrafen verurteilt. 1977 gründete er die »Aktionsfront Nationaler Sozialisten«. 1978 zog diese Gruppe durch die Hamburger Innenstadt mit selbstgebastelten Eselsmasken und Schildern, auf denen stand: »Ich Esel glaube, dass in deutschen KZs Juden vergast wurden«. Erich Fried war ein Überlebender des Holocaust. 1938 war er mit seiner Mutter aus Wien nach London geflüchtet, nachdem die Gestapo seinen Vater totgeschlagen hatte. Seine halbe jüdische Familie starb unter den Nazis. Auch seine Großmutter, die in Wien zurückblieb und 1943 in Auschwitz umgebracht wurde.
Über sie schreibt Fried an den Holocaustleugner Kühnen ins Gefängnis: »Versetze dich mal in meine Lage, da du deine Großmutter doch auch besonders gern hattest, ist das doch nicht ganz so unmöglich, und Michael, glaube mir, das Beweismaterial ist unumstößlich«. Kühnen antwortet, dass er Fried glaube, dass seine Großmutter in Auschwitz ermordet wurde. Das finde er »schlimm«, doch den industriellen Massenmord will er nicht wahrhaben. Er schreibt Fried, »dass ich die ›Endlösung‹ selbstverständlich ablehnen würde, wenn sie sich - wie behauptet - abgespielt hätte. Das bedeutet aber nicht, dass ich daran glaube.«
In diesen absurden Briefwechseln ist der Antifaschist Fried immer der Verlierer - und Kühnen der Faschist, der - und sei es nur symbolisch - über Leben und Tod entscheiden will. Einmal schickt er Fried ein kitschiges Gedicht zum Muttertag, mit der Pointe, dass es von Adolf Hitler verfasst wurde: »Ist ein Mann ›böse‹ der so schreiben und fühlen kann?!« Denn Kühnen glaubt an das Gute in Hitler. Und Fried glaubt an das Gute in Kühnen, zu dem er sich in ein Vater-Sohn-Verhältnis setzen möchte, um ihn durch »Feindesliebe« moralisch, wenn nicht gar politisch zu läutern.
Aber alles, was Kühnen gegenüber Fried einräumt, ist strategische Manipulation und Instrumentalisierung. Er verspüre persönlich keinerlei Hass auf Ausländer, schreibt er Fried, und er glaube auch nicht an die »Verschiedenwertigkeit« der Menschen, doch »als politische Strömung versuchen wir, diese Energie für uns zu nutzen«. Wenn er sich dabei nicht wohl fühle, sei das egal. Aber, meint er, wenn nicht die Nazis die Ausländerfeindlichkeit nutzen, dann würden Einzelne zu spontanen Ausschreitungen schreiten und das wäre »noch viel gemeiner«.
Thomas Wagner fällt in den Briefen der »vertrauliche, bisweilen warme und herzliche Ton« auf. Man könnte sie auch bizarr bis behämmert nennen. Etwa, wenn der Antisemit Kühnen, der »jüdisches Denken (Stichworte Paulus, Marx, Freud) für verhängnisvoll« hält, Fried schreibt: »Glaubst Du, ich misstraue Deinen Gedichten, weil sie von einem Juden kommen?! Ich spüre darin - soweit ich sie kenne, natürlich, und viel kenne ich leider nicht - Ehrlichkeit, und darum vertraue ich ihnen.« Später bekommt er das Gedicht »...um Klarheit...« gewidmet, dem Fried »für M.K.« voranstellt, allerdings nicht in allen Ausgaben seiner Gedichte.
Die Verbindung zwischen den beiden war bislang nur wenig bekannt, in biografischen Büchern über Fried wurde sie ausgespart, dank Wagner kann man sie nun eingehend betrachten. Sie kam im Januar 1983 zustande, als Kühnen in die Talkshow »III nach 9« von Radio Bremen eingeladen worden war, nach Protesten aber nicht auftreten durfte und wieder abreisen musste. In der Sendung war auch Fried zu Gast, der diese Ausladung dann live als »falsch und kleinkariert« verurteilte. Man dürfe nicht so tun, als ob Nazis keine Menschen wären - auch sie würden lachen und weinen. Manche Gedichte von Fried sind genauso schlicht gedacht und gemacht.
Kühnen aber war sehr angetan. Er rief direkt nach der Sendung bei Radio Bremen an, um mit Fried zu sprechen. Laut Wagner fanden die beiden »offenbar einen persönlichen Draht zueinander«. Am Ende soll es Fried gewesen sein, der das Gespräch fortsetzen wollte. Von einer daraus resultierenden Brieffreundschaft zu sprechen ist übertrieben, denn es liegen nur insgesamt 16 Schreiben vor, die Wagner im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien eingesehen hat.
Gleichwohl besuchte Fried mit einem Kamerateam Kühnen im Gefängnis, worüber der sich sichtlich freute. Auch wollte Fried vor Gericht für Kühnen aussagen, da ihm die Verfolgung von dessen Propaganda übertrieben vorkam. Denn Fried war für die Meinungsfreiheit. Das Gericht lehnte ab.
»Freiheit« und »Menschlichkeit« waren die großen Versprechen der Linken, in den 60er und 70er Jahren so etwas wie die Letztbegründungen ihres antikapitalistischen Kampfes. Ende der 70er gesellte sich auch noch die »Liebe« dazu, als allerletzte Hoffnung. Fried kam diesen Sehnsüchten mit seiner Lyrik sehr entgegen. Nachdem Kühnen ihm seine Propagandaschrift »Einführung in die NS-Lebensanschauung« geschickt hatte, spekulierte er, Kühnen habe in seinem Leben wohl »zu wenig Liebe und Wärme gehabt«, was der sich aber verbat, denn für das »Menschenbild des Nationalsozialismus« sei das ohne Belang, da gehe es um die »Höherentwicklung unserer Menschenart«.
Was hatte Fried von diesem Unsinn? Ihm, der laut Marcel Reich-Ranicki, »jede Zeitungsmeldung zu einem Gedicht verarbeiten« konnte, hat dieser Kontakt für sein Werk erkennbar nichts gebracht. Oder um es so auszudrücken, wie es Fried vielleicht in einem Gedicht getan hätte: Er kommunizierte mit einem Stein ohne selbst zum Stein werden zu können. Doch er glaubte, Kühnen habe sich so seinem Wahn stellen müssen. Ist das etwas anderes als das sagenumwobene »Schön, dass wir darüber geredet haben«?
Dann gibt es noch die berühmte Frage: Darf man mit Rechten und Nazis reden? Antwort: Das wird doch ununterbrochen praktiziert. Seitdem die AfD gegründet wurde, ist sie in den Medien.
Thomas Wagner: Der Dichter und der Neonazi. Klett-Cotta, 176 S., geb. 20 €.
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