Ein Endzeitpanorama aus Berlin

Wie wird die Online-Berlinale?

Am heutigen Montag beginnen die 71. Internationalen Filmfestspiele, was ein ebenso schlichter wie verstörender Satz ist, denn eigentlich beginnen sie nicht wirklich, also irgendwie schon, aber... Sie bemerken die leichte Verstörung des Kritikers, der, wie viele seiner Kollegen, nicht recht weiß, wie diese Berlinale zu packen ist. Denn alle Filme, über die in den nächsten Tagen zu berichten sein wird, sind lediglich einer kleinen Schar von Filmindustrie- und Pressevertretern vorbehalten, und auch diese dürfen die Filme nur online am heimischen Computer sichten. Persönliche Begegnungen fallen in diesem Jahr komplett aus, und alles, worüber wir Journalisten sonst so berichten, wenn Berlinale ist, also über die Begegnungen am Roten Teppich, welcher Star wem zugezwinkert hat, und welcher Prominente wo gesichtet wurde - das alles fällt komplett aus.

Bleiben die Filme, die Sie, verehrte Leser, allerdings erst im Juni sehen dürfen, wenn das Festival zum Sommer-Special ruft - vorausgesetzt, die Pandemielage lässt solches zu. Wir werden Filme rezensieren, die Sie bestenfalls im Hinterkopf abspeichern können, um sich ihrer zu gegebener Zeit wieder zu erinnern. Das birgt freilich die Gefahr, dass manch Sehenswertes unter den Tisch fällt, bevor es die Zuschauer erreicht, dabei ist der aktuelle Jahrgang durchaus vielversprechend. Insgesamt ist die Anzahl der Filme in den einzelnen Sektionen gesunken, eine sicherlich sinnvolle Korrektur des ewigen Wachstums und des Überangebots, die den Einzelnen stets überforderten.

Im Wettbewerb konkurrieren in diesem Jahr 15 Filme um die diversen Bären. »Dieser Wettbewerb ist weniger umfangreich, aber inhaltlich und formal sehr dicht«, wie Carlo Chatrian, der Künstlerische Leiter der Berlinale, die Auswahl kommentierte. Die Mehrzahl der eingeladenen Filme sind eine Wiederbegegnung mit vertrauten Namen, von Regisseuren, die schon in der Vergangenheit beim Festival reüssierten. Und, besonders bemerkenswert: Gleich vier deutsche Beiträge sind vertreten. Zusammen mit den drei deutschen Filmen in der Sektion Berlinale Specials, die ja eine Art Ergänzung des Wettbewerbs ist, ist der deutsche Film geradezu omnipräsent. Das hat nicht einmal Dieter Kosslick geschafft, der in seiner Ära als Festivalleiter als der große Förderer des einheimischen Filmschaffens galt. Ein Glanzstück dürfte die Erich-Kästner-Verfilmung »Fabian oder der Gang vor die Hunde« von Dominik Graf werden - mit Tom Schilling und Albrecht Schuch. Graf, seit Jahrzehnten einer der profiliertesten und begabtesten deutschen Regisseure, liefert mit diesem Endzeitpanorama aus dem Berlin der späten 1920er Jahre hoffentlich den lang erwarteten Gegenentwurf zur eher folkloreorientierten »Babylon Berlin«-Saga.

Ebenfalls bemerkenswert ist die Tatsache, dass kein US-amerikanischer Film, weder aus Hollywood noch dem Independent-Bereich, den Weg ins Wettbewerbsprogramm gefunden hat. Das Duo Chatrian/Rissenbeek macht also Ernst mit seinem verkündeten Anspruch, dem europäischen Film mehr Geltung zu verschaffen. Ob dieser die Erwartungen erfüllen kann, werden wir in den nächsten Tagen sehen.

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