- Kultur
- Medialer Umgang mit transgender Themen
»Wir müssen das unseren Leser*innen erklären«
JEJA NERVT: Die »Einführung in Transgender« in den Medien missbilligt die Interessen von Trans*personen
Medien im deutschsprachigen Raum haben sich seit einigen Jahren einer ehrwürdigen Tätigkeit verschrieben: sie erklären ihrem Publikum maximal niedrigschwellig Begrifflichkeiten und Zusammenhänge aus der verrückten Welt transgeschlechtlicher Menschen. Kaum ein Beitrag kann erscheinen, ohne dass in einer Infobox oder gleich im Fließtext noch mal erklärt wird, dass »Transsexuelle« ihr Geschlecht ändern wollten. Wobei man nicht mehr »Transsexuelle« sagt. Doch wie so oft, wenn etwas gut gemeint ist: Die Pose der Volksaufklärung, in die sich Medien regelmäßig werfen, schadet transgeschlechtlichen Menschen, statt ihnen zu nutzen.
Ein Beispiel: Als der Tübinger Oberzampano Boris Palmer im vergangenen Jahr mal wieder gegen zu freche Minderheiten austeilte, legte sich eine weitere grüne Kollegin mit ihm an. Palmer wusste aus Parteikreisen, dass die Frau transgeschlechtlich ist - und demonstrierte sein vermeintliches Recht, sich nicht mit den Lebensrealitäten Marginalisierter beschäftigen zu müssen, offensiv. Er misgenderte sie öffentlich, tat so, als würde er nachfragen, wie man die Frau korrekt anspreche und benutzte dann noch ihren abgelegten Geburtsnamen. Als es Kritik hagelte, kokettierte er mit seinem angeblichen Noch-nicht-Wissen, aus dem heraus er gar nichts falsch gemacht haben könne.
Palmer brachte theatralisch zur Aufführung, was in unserer Kultur in zumeist subtileren Mischungsverhältnissen ganz normal ist. Eine Norm richtet automatisch an die, die von ihr abweichen, den Anspruch, sich zu erklären. Warum tauchst du auf einmal auf und bist anders, und was hat das, verdammt noch mal, mit mir zu tun? Doch Transgeschlechtliche waren, nach allem, was man weiß, schon immer da. Sie wurden nur für die meiste Zeit (und in verschiedenen Kulturen unterschiedlich stark) unterdrückt, in eine Rolle gedrängt, ausgegrenzt, totgeschwiegen, ermordet. Habe ich das Privileg, einer Norm zu entsprechen, dann trägt meine Weltsicht die Spuren dieser Gewalt in sich, ob ich will oder nicht.
Erscheinen in Medien stets nur Beiträge, die einen einführenden Charakter aufweisen, sendet das verheerende Signale: Bei Lesenden, auch bei solchen mit rudimentärem Grundverständnis, entsteht dadurch der Eindruck, dass sie selber mit ihrem Wissen und ihrer »Sensibilisierung« völlig ausreichend, genügend seien. Die Idee, eine breite Masse an Menschen hätte von transgeschlechtlichen Personen noch nie wirklich etwas gehört, rechtfertigt so das Stehenbleiben an einer sehr komfortablen Position: besser als der Pöbel, muss man sich weder etwas vorwerfen, noch sich mit den wirklichen Anliegen von Marginalisierten befassen. Allein der gute Wille zählt.
Doch mit der ständigen »Einführung in Transgender« wird wieder ein Bevölkerungsteil davon ausgeschlossen, dass seine Themen in Medien verhandelt werden (Ich will übrigens auch, dass sich behinderte Menschen in der FAZ streiten können). Ich brauche schlicht das sechzigste Porträt des harten Weges einer 45-Jährigen aus Wismar nicht. Ich würde gerne mal lesen, wieso die Journalist*innen der Taz neuerdings darauf gekommen sind, das Sternchen durch einen Doppelpunkt zu ersetzen, oder wie eine Historikerin erklärt, dass in den 1950er und 1960er Jahren geschlechtsangleichende Operationen in den USA im Zuge des Antikommunismus verboten wurden - wodurch Leute ihrer Tätigkeit beraubt, deren Institut in Berlin gestürmt und deren Werke verbrannt worden waren. So etwas lese ich aber nur in aufopferungsvoll geführten Blogs und in Büchern von Fachverlagen, zumeist in englischer Sprache.
An der oft unglaublichen Qualität der »einführenden« Beiträge lässt sich obendrein auch erkennen, dass nicht zuerst die Leser*innenschaft deutscher Medien »Nachhilfe in Transgender« nötig hätte. Handreichungen für Journalist*innen stehen bereit, jedes Fettnäpfchen ist mit riesigen Diskurs-Warnschildern versehen. Viele meiner Kolleg*innen müssten sich charakterlich erst mal selbst bewegen, ehe sie anderen ihre viel zu oft glitschigen Manieren beibringen.
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