Seine Bilder waren einmal aus Blut

Nick Cave öffnet sein Archiv mit Krims-und-Krams-Konvoluten

  • frank Willmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Nick Cave, der australische Ausnahmekünstler und große Weltleidende, steckt mitten im 64. Lebensjahr. Er hat eine harte Drogenzeit in den 90ern überlebt und den schmerzlichen Unfalltod seines Sohns Arthur 2015. Er turtelte mit Kylie Minogue, salbaderte mit Blixa Bargeld und ist heute ein fast mythisch verehrter Alter vom Berge des Popfirnaments.

Seit er Christus samt christlichen Rattenschwanz für sich entdeckte, ist er mir ein wenig entfleucht, weil ich diesem Part seiner Schaffensdynamisierung nicht folgen mag. Denn Gott ist tot, teilte uns schon Nietzsche mit und Märchen gehören in die blaue Stunde, wenn halbdemente Alte unseren Kindern die Angst vorm bösen Wolf unter die Bettdecke hexen.

Selige Jugendzeit. Ich erlebte Cave samt Musikanten erstmals in einem Westberliner Club 1985. Seine düstere Musik passte gut in die 80er und 90er, die Szene trug schwarze Stoffe und litt an Weltschmerz. Männer wie Frauen schworen auf den Kajalstift, draußen war das böse Leben, doch wir hatten unsere Räucherhöhlen wie das Ex’n’Pop, das Kumpelnest 3000, das caféM, die Oranbar, in denen wir uns vor der Welt verstecken konnten. Cave tauchte immer wieder in diesen sakralen Kaschemmen der Todeslust auf, meist mit großer Entourage, einer lärmenden, drogenverseuchten Truppe herrlich arroganter Teufelinnen und Teufel.

Wer König Heroin entflieht, braucht eine neue Lebensstütze. Insofern hat Caves Gottessuche für ihn Sinn. Keiner konnte trauriger schauen als er, dieser zerbrechliche Mann mit seinen transzendenten Botschaften. Zugegeben, heute ist er ein braver Held am Indiehimmel.

Um all das besser zu verstehen, stürze ich mich auf die 270 Katalogseiten, die mit Typoskripten, bemalten Fotos, handschriftlichen Notizen, religiösen Zeichnungen, Krims-und-Krams-Konvoluten einen Eindruck von Caves Künstlerhölle vermitteln. Es beginnt mit Schnappschüssen aus der Kindheit und dem Brief eines Schulleiters in Australien, der in Cave einen respektlosen Rüpel entdeckt. Schließlich muss er sich als einsamer Wolf in einer feindlichen Provinzumwelt den Weg freiboxen. Leider fehlen Fotos und Dokumente zu Birthday Party, seiner wichtigen, ersten und schwarzromantischen Band. Aus Gründen, die nur Cave kennt (aber nicht übermittelt), fehlen auch diverse Heldinnen, die einst an seiner Seite standen. Dafür bekommt eine einstige Ehefrau (Anita Lane) die Krone des Pop aufgesetzt.

Als Bühnenkünstler war und ist er genial, wenn es auch heute etwas schwerer fällt, ihm die ganzen Posen abzunehmen. Man muss nicht jeden Text wörtlich nehmen, zumal seine Konzerte auch immer sehr stimmungsvolle Opferrituale waren. Die Texte im Katalog sind naturgemäß voller Anspielungen auf die Bibel, die Bilder oft verstörend. Cave malte in den 80ern auch schon mal mit dem eigenen Blut, als er noch voll auf Droge war und jeden Abend die Englein hörte, die ihm seinen baldigen Tod verkündeten.

Cave malte gern nackte Frauen, sammelte zwanghaft Erinnerungen an die Liebe. Eine Nähe zu den gefallenen Engeln war immer vorhanden, ob in den Mörderballaden oder anderen Songs des herrlich durchgedrehten Reverend Cave. Liebe, Schuld, Vergebung, die guten alten Zutaten. »Nick Caves Werk erreicht die Wiederverzauberung der Welt. Es erinnert uns, dass unsere Sehnsucht nach Gott real ist, wobei unsere Hauptaufgabe darin besteht, uns gegenseitig Zeugnis abzulegen, zu dienen und zu lieben«, schreibt Darcey Steinke in ihrem Essay in »Stranger Than Kindness«.

Außenseiter Cave als Grandmaster des Christentums? Fans werden es mögen, alle anderen Interessenten blättern weiter und erfreuen sich an der Selbststilisierung als ultracooler Künstler und supersexy Weltleidender. Heureka, wie wunderbar ironiefrei er sich über die Schulter gucken kann! Seine Pose stellt den Wert der Werke zweifellos in den Schatten. Gehen wir einfach davon aus, das wäre eine Dauerperformance, und erfreuen wir uns an Caves Fetzen und Farben.

Nick Cave: Stranger Than Kindness.

A. d. Engl. v. Christian Lux. Kiepenheuer & Witsch, 276 S., br,. 29 €.

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