- Politik
- Verfassungsschutz beobachtet "Querdenken"
Im Land der Dichter und Querdenker
Die sogenannte «Querdenker»-Bewegung ist ein Fall für den Verfassungsschutz, wird aber im Allgemeinen als Versammlung von Normalbürgern erklärt. Was diese Gleichzeitigkeit über die hiesigen Verhältnisse aussagt - und über die Rolle der Linken darin
Wenn Linke durch Aktionen, Demonstrationen oder Kundgebungen öffentlich in Erscheinung treten, fragen Politiker*innen und Medien in der Regel nicht nach ihrer politischen Verortung, sondern beschreiben sie als «Chaoten» (oder Schlimmeres). Ist hingegen die Rede von den Verschwörungsideolog*innen, die seit Beginn der Corona-Pandemie 2020 als so genannte Querdenker in Erscheinung treten, so wird zumeist höflich diese Selbstbezeichnung verwendet. Man bezeichnet sie also nicht als das, was sie der Tendenz nach sind: Faschist*innen - ob nun organisiert in AfD oder Wehrsportgruppe, ob Esoteriker, Evangelikale oder «Reichsbürgerin». Faschismus ist nämlich, zumal wenn nicht voll entfaltet, kein abgeschlossenes Phänomen, sondern ein Spektrum, ein gleitender Übergang aus der bürgerlich-demokratischen Normalität.
Auch der gern genutzte Begriff «Corona-Leugner*in» ist letztlich eher irreführend: Gänzlich bestritten wird die Existenz des Virus nur selten, es geht vielmehr um die Deutung von dessen Wirken in der Welt. Hier präsentieren die entsprechenden Milieus dann Variationen eines personifizierten und damit strukturell antisemitisches Kapitalismusverständnisses, gepaart mit einem radikalisierten bürgerlichen Freiheitsbegriff.
Dieser Text stammt aus unser Wochenendausgabe. nd.Die Woche nimmt Geschehnisse in Politik und Gesellschaft hintergründig unter die Lupe. Politische und wirtschaftliche Analysen, Interviews, Reportagen und Features, immer ab Samstag am Kiosk oder gleich mit einem Wochenendabo linken Journalismus unterstützen.
Als Begründungszusammenhang für die, trotz demonstrativer Empörung letztliche Verharmlosung der «Querdenker*innen» - die über den Gebrauch der Selbstbezeichnung übrigens weit hinaus geht, indem zum Beispiel Protagonist*innen der Bewegung interviewt oder gewalttätige Demonstrationen nicht aufgelöst werden - dient folgendes Konstrukt: Es handele sich im Großen und Ganzen um einen Zusammenschluss von Normalbürger*innen, der bloß von rechts unterwandert werde. Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete der Grünen Hans-Ulrich Sckerl etwa will erst seit Dezember 2020 eine «Radikalisierung» der Verschwörungsideolog*innen beobachten, in deren Zuge sich nun «einige Rechtsextremisten (…) an die Spitze der Bewegung» zu setzen trachteten.
Dabei steckt in der Figur «Querdenker als Normalbürger» durchaus Wahres - nur ganz anders, als es Grüne, «FAZ» und Konsorten meinen, nämlich sozusagen umgekehrt: Ihre Normalität macht die «Querdenker» gerade nicht weniger schlimm, sondern wirft ein umso schlimmeres Licht auf die Gesellschaft, der sie angehören. Sie entlarvt Ressentiments, Nationalismus und Individualismus als festen Bestandteil einer «Mitte der Gesellschaft» - was für Politiker*innen, die diese Personengruppe als Wahlvolk betrachten (müssen), wiederum Grund genug ist, diese nicht gegen sich aufzubringen.
Hilfloser Antifaschismus
Relevanter als die Kritik der Mär vom harmlosen Normalbürger ist für eine Gesellschaftsanalyse allerdings folgendes: Die menschenfeindlichen Überzeugungen, die auch die «Querdenker*innen charakterisieren, werden in ihren Grundprinzipien durch diese nicht »von unten« an die parlamentarische Politik herangetragen; sie bilden keineswegs deren ganz Anderes. Vielmehr ist es die staatliche Politik, die diese volatilen Ideen und Praxen in der Gesellschaft verankert: mit ihrem Standortnationalismus, durch die Einteilung von Menschen in In- und Ausländer, durch Abschiebungen und die Errichtung von Lagern und so weiter.
Bürgerliche Demokrat*innen und Faschist*innen verbinden kategoriale Gemeinsamkeiten, die dafür sorgen, dass der Kampf der Ersteren gegen Letztere lediglich ein »hilfloser Antifaschismus« sein kann. Ein Begriff, den der marxistische Politikwissenschaftler Wolfgang Fritz Haug 1968 aus einer vergleichenden Analyse jener Begründungszusammenhänge entwickelte, die die deutschen Professoren für ihr Nichtstun beziehungsweise Mittun im Nationalsozialismus der damaligen Studentenbewegung auftischten.
Ein gegenwärtiges Beispiel für dieses Phänomen: Wenn der »Tagesspiegel« im Mai 2021 beklagt, dass die so genannten Querdenker*innen »die Ursache der Krise nicht beim Virus« suchen würden, eint ihn mit der Bewegung die Weigerung, die wirklichen Missstände zu benennen. Diese sind nämlich weder ausschließlich durch das Virus selbst hervorgebracht, noch ist Covid-19 eine Erfindung der Eliten. Vielmehr sind es die vielfältigen Verheerungen der kapitalistischen Wirtschaftsweise in ihrer letztlich unpersönlichen Normalität.
Abschaffen wollen die meisten Querdenker*innen den Kapitalismus aber eben gar nicht; in ihren Augen greift nur der Staat auf der einen Seite zu stark ein, wenn er individuelle Freiheit (zu Lohnerwerb, Unternehmertum oder auch der Verbreitung von Krankheiten) einschränkt. Auf der anderen Seite greift er ihnen zu wenig ein, wenn es um die Durchsetzung ihrer Interessen als Deutsche geht; etwa sei der staatliche Umgang mit Ausländer*innen oder Leuten, die als solche wahrgenommen werden, noch viel zu freundlich. Auch Schwurbler*innen haben ihre Meinungen also nicht zufällig, sondern entwickeln sie aus Grundprinzipien, auf die eine kapitalistisch organisierte Gesellschaft angewiesen ist. (Wer hier an die EU als Beispiel für ein Staatengebilde denkt, das ohne Grenzen auskommt, muss ignorieren, dass die EU eben deshalb zu einer Festung gemacht wurde.) Widersprechen denn aber die - zunehmend militanten - Aktivitäten der Verschwörungsideolog*innen nicht immerhin der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) der Bundesrepublik? Die stellt nämlich, wie die »FAZ« korrekt betont, zwar »auch das Leugnen von Offensichtlichem, das Ausmalen von Verschwörungen und Spinnereien (…) unter Schutz«, denn die Wahrheit habe schließlich »niemand gepachtet«.
Wer derartigen Wahnsinn allerdings praktisch werden lässt, sagen wir mal, indem er zu Pandemiezeiten in Menschenansammlungen keine Maske trägt, und damit irgendwie auch ausdrückt, dass er die Wahrheit eben doch gepachtet zu haben meint, ist nicht mehr durch die FDGO »geschützt«. Er müsste entsprechend durch die staatliche Ordnungsmacht davon abgehalten werden, maskenlos seine Mitmenschen zu gefährden - um bei diesem sogar vergleichsweise harmlosen Beispiel rechter Gewalt zu bleiben. Dennoch wurde eine solche Einhegung zumeist nur ausgesprochen halbherzig versucht: Im Gegenteil akzeptierte die Polizei sogar Demonstrationen mit 20.000 Menschen ohne Masken und Mindestabstand, mit der - für Linke mit Demo-Erfahrung schlicht grotesken - Begründung, sie hätte sonst möglicherweise »Gewalt anwenden müssen.«
Rechtsgrundlage »Staatsdelegitimation«
In der dritten Aprilwoche 2021 teilte das Bundesamt für Verfassungsschutz (VS) nun allerdings mit, dass es bestimmte »Corona-Leugner*innen« mit sofortiger Wirkung unter Beobachtung stellt. Wohl um die Mehrheit der Verschwörungsideolog*innen nicht allzu sehr vor den Kopf zu stoßen, betonte der VS-Präsident Thomas Haldenwang in seinem Statement zugleich beschwichtigend, das Interesse der Behörde gelte »nicht etwa einer kritischen Haltung von Protestteilnehmern gegenüber den staatlichen Maßnahmen (…), sondern den Angriffen auf unsere Demokratie«. Was dabei im Vordergrund steht, ist in der »Zeit« zu erfahren: Nicht antisemitische Verschwörungstheorien, Angriffe auf Journalist*innen oder sonstiger menschenfeindlicher Wahnwitz, sondern insbesondere »Vergleiche der Bundesrepublik mit Diktaturen, etwa mit dem NS-Regime oder der Staatsführung der DDR, hatten die Verfassungsschützer alarmiert.« Hier hört der Spaß für den Staat auf - und mittlerweile doch auch angesichts der verstärkten Nichtbeachtung des staatlichen Gewaltmonopols auf den Demonstrationen der »Querdenker*innen«.
Der Begriff »Rechtsextremismus« sei zur Beschreibung dieser rechten Milieus allerdings ungeeignet, ließ das Bundesinnenministerium verlauten. Stattdessen bildet künftig eine eigens erfundene, verdächtig vage gehaltene Kategorie die Rechtsgrundlage für Überwachung: »Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates«.
Und ist all dies nun eigentlich Grund zur Freude? Linken Aktivist*innen, die einmal ins Visier des Verfassungsschutzes geraten sind, wird die Überwachung der »Querdenker*innen«-Milieus kaum ein müdes Lächeln abringen. Eine staatliche Institution, deren Angehörige bis in die Chefetage für ihre rechte Gesinnung bekannt sind, wird den Verschwörungsfans ebenso wenig anhaben wollen wie seit 1998 dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Eher bleibt zu beobachten, ob sich die Verfassungsschützer*innen auf der Suche nach »staatsdelegitimierenden Aktivitäten« nicht wieder vor allem in der Linken umschauen werden ...
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