Mit dem Körper schreiben

Zum Tod des Tänzers und Choreographen, des Autors und Dramaturgen Raimund Hoghe

Das Tanzen auf der Bühne - was für ein unbarmherziger Beruf - ist ein Knochenjob. Harte körperliche Arbeit erfordert eine solche Bühnenlaufbahn, der man die Verwandtschaft zum Sport sehr anmerkt. Und schnell werden Tänzerinnen und Tänzer aussortiert, wenn das Alter vermeintlich nicht mehr stimmt. Der zeitgenössische Tanz hat diese Unart - sieht man von prominenten Ausnahmen ab - vom Ballett übernommen. Warum eigentlich? Ein merkwürdiges Leistungsdenken, das der Kunst nicht gut zu Gesicht steht, und ein überkommenes Schönheitsideal dürften der Grund dafür sein.

Raimund Hoghe hat, wie es sich für eine Künstlerpersönlichkeit gehört, so einiges anders gemacht. Er hatte bereits sein vierzigstes Lebensjahr hinter sich, als er, dem performativen Jugendwahn zum Trotz, spielend und tanzend die Bühne betrat. Dem vorausgegangen waren andere Betätigungsfelder, die im Rückblick wie leise, aber zielstrebige Schritte zu der künstlerischen Arbeit wirken, mit der er später berühmt geworden ist.

1949 in Wuppertal geboren, näherte sich Raimund Hoghe seit Ende der 70er Jahre schreibend der Welt. Als Journalist, vorrangig tätig für die Wochenzeitung »Die Zeit«, machte er sich vor allem mit Porträts und Reportagen einen Namen. Bei der Lektüre seiner Texte, auch heute noch einen Blick wert, fällt auf, dass das Interesse des Autors schon damals den darstellenden Künsten galt, etwa dem japanischen Butoh-Tänzer Kazuo Ohno oder der Ausdruckstanzpionierin Gret Palucca. Den Gegenständen seines Schreibens hat sich Hoghe höchst gefühlvoll gewidmet - und sich selbst als empathischen Beobachter in seine Artikel mit eingeschrieben. Neben den Künstlerporträts stehen gleichberechtigt jene Texte von Hoghe, die die Ausgestoßenen und Vergessenen vors Auge des Lesers führen: KZ-Überlebende, die er in einem jüdischen Altenheim aufsuchte, ein sterbender Aids-Kranker, eine Prostituierte.

Die journalistische Arbeit musste immer stärker einer bedeutsamen künstlerischen Kollaboration Platz machen, nämlich der mit der Tanzikone Pina Bausch. Von 1980 bis 1990 begleitete er ihre Produktionen, die weltweit gezeigt wurden, als Dramaturg. Bausch war, um es kurz zu machen, die herausragende und prägende Gestalt des Tanztheaters im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert - mit Nachwirkungen bis heute. Der Einfluss auf Hoghe, der an dieser Arbeit teilhaben konnte und der über die Ausnahmegestalt Bausch ein Buch mit dem schönen Titel »Tanztheatergeschichten« veröffentlicht hat, muss ungeheuer groß gewesen sein.

Der fast zwingende nächste Schritt im Leben Raimund Hoghes bestand ab 1989 in der Entwicklung eigener Theaterarbeiten, für die er gleichermaßen Schauspieler und Tänzer in Szene setzte. Die Zusammenarbeit mit Bausch führte nicht zur Nachahmung: Hoghes Stücke hatten ihre ganz eigene Form.

Sein Solostück »Meinwärts« von 1994 bedeutete dann endlich den Schritt hervor aus dem Schatten und selbst auf die Bühne. Nicht frei von Pathos stellte er sich selbst aus und seinen Körper nicht nur als Werkzeug in den Dienst einer szenischen Anordnung, sondern er machte ihn explizit zum Thema, wenn nicht gar zum Politikum. Hoghe schreckte nicht davor zurück, sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken. In seinem als Selbstporträt bezeichneten Film »Der Buckel« von 1997 - auch als Dokumentarfilmer versuchte er sich - zeigte der Künstler sich schonungslos und sparte dabei die eigene körperliche Behinderung, eine Rückgratverkrümmung, nicht aus, sondern ließ sie zentral werden. Es folgten unzählige Produktionen an der Schnittstelle von Tanz und Performance. Hoghe wurde zu einem international gefragten Choreographen. Zahlreiche Gastspiele und Preise geben eine Vorstellung von seiner Bedeutung für die Theaterwelt.

Heiner Müller sah in Pina Bauschs Tanztheater vor allem die Rettung der Tragödie in die Gegenwart. Die emotionale Wucht hat Hoghe von seiner Wegbegleiterin Bausch übernommen, aber er versah die eigenen Arbeiten mit einem weitaus stärkeren politischen Charakter. Wo die Kraft der Bewegung und der Musik zu abstrakt bleiben, hat Hoghe nicht davor zurückgeschreckt, gesprochene Texte in seine Stücke zu integrieren.

»Als ich an meinen ersten Tanzstücken arbeitete, wollte ich mit dem Körper ausdrücken, was ich mit Worten nicht ausdrücken kann - wenn ich es mit Worten sagen könnte, würde ich es tun«, hielt Hoghe in einem Text fest und verhehlte doch nicht seine Leidenschaft für den tänzerischen Ausdruck: »Viele Jahre habe ich mit Worten geschrieben. Der Körper hinter den Worten war nicht sichtbar. Jetzt schreibe ich mit Körpern - mit meinem Körper und den Körpern von Tänzern.«

Neben dem Bruchteil seiner umfassenden Arbeit, den ich sehen konnte, durfte ich Raimund Hoghe auch als freundlichen telefonischen Gesprächspartner erleben. Der Eindruck, der sich während der Telefonate ergab, deckt sich mit dem des Autors und des Bühnenkünstlers: Hoghe war ein zugewandter und aufmerksamer Mensch, auch fordernd und bestimmt, zugleich ausgestattet mit einer einnehmenden Neugier. Am vergangenen Freitag ist Raimund Hoghe zwei Tage nach seinem 72. Geburtstag in Düsseldorf gestorben.

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