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Solingen - nichts ist vorbei

Linke besuchen Verfassungsschutzchef und fordern Auflösung des Geheimdienstes

In der Nachbarschaft von Verfassungsschutzchef Haldenwang in Wuppertal wurde an die Verstrickung von V-Leuten in den Anschlag erinnert.
In der Nachbarschaft von Verfassungsschutzchef Haldenwang in Wuppertal wurde an die Verstrickung von V-Leuten in den Anschlag erinnert.

Eine Handvoll Menschen, sie tragen beigefarbene Trenchcoats, Sonnenbrillen, Schlapphüte und Ferngläser, steht am Samstagabend auf einem Bürgersteig im gut situierten Wuppertaler Vorort Dönberg. Es ist kein Zufall, dass sie hier stehen - und dass sie aussehen wie das Klischee von Geheimdienstlern. Denn sie protestieren gegen den Verfassungsschutz. Der Präsident des Bundesamtes, Thomas Haldenwang, wohnt in dem Stadtteil. Anlass der Aktion ist der 28. Jahrestag des rassistischen Brandanschlags von Solingen.

Schon lange ist bekannt, dass der Inlandsgeheimdienst tief in den Anschlag am 29. Mai 1993 verstrickt ist, bei dem fünf Menschen starben. Die Täter, junge Neonazis, kannten sich aus der Kampfsportschule Hak Pao, die von einem Spitzel des Verfassungsschutzes betrieben wurde. Was erst seit gut einem Jahr bekannt ist: Auch die linke Szene in Wuppertal und Solingen wurde von einem V-Mann des Nachrichtendienstes überwacht. Zu seinen Aufgaben gehörte es auch, die antifaschistische Aufklärung über den Solinger Brandanschlag zu sabotieren.

In Redebeiträgen führten die Spitzeldarsteller aus, wie der Verfassungsschutz agiert, mit welchen Methoden seine V-Leute arbeiten und welch tragische Folgen das immer wieder hatte, von Solingen 1993 über den NSU, in dessen Umfeld es mehrere Spitzel gab, bis zum islamistischen Anschlag am Berliner Breitscheidplatz. Haldenwang, der seit 2018 an der Spitze des Geheimdienstes steht, sei, auch wenn er sich in der Öffentlichkeit so präsentiere, eben kein »neuer Besen«, der bei dem Geheimdienst ausmistet, kritisierten die Aktivisten. Haldenwang war über Jahre Stellvertreter von Hans-Georg Maaßen, dessen rechte Ideologie seit seinem Ausscheiden aus dem Amt immer deutlicher würde, betonten sie. Die Demonstranten stellten fest, es gebe keine Aufklärung der Verstrickungen des Verfassungsschutzes in zahlreiche Verbrechen und damit sei auch nicht zu rechnen. Die Auflösung der Behörde sei lange überfällig, erklärten die Demonstranten.

Diese Forderung wurde am Samstagvormittag in Solingen gestellt. Am Tatort von 1993 hatten sich etwa 70 Menschen zu einer Gedenkveranstaltung zusammengefunden. Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach sprach von dem Anschlag als »dunkelstem Kapitel« in der Stadtgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Dietmar Gaida vom Solinger Appell, einem antirassistischen Netzwerk, das sich nach dem Anschlag gegründet hatte, sagte, es dürfe nicht mehr akzeptiert werden, wenn die AfD im öffentlich-rechtlichen Fernsehen rassistische Hetze verbreite. Genauso inakzeptabel sei es, wenn andere Parteien in Wahlkämpfen mit Rassismus auf Stimmenfang gingen. Alle neofaschistischen Parteien gehörten verboten, die Erinnerung an nationalistische Verbrechen müsste besser bewahrt werden.

Auf der Gedenkveranstaltung wurde auch an rassistische Verbrechen in der Türkei erinnert, so zum Beispiel an den Brandanschlag von Sivas, bei dem einen Monat nach der Tat von Solingen 37 Menschen, die an einem alevitischen Fest teilnahmen, getötet wurden. Der Filmemacher Kazım Gündoğan sprach über die Niederschlagung des kurdischen Aufstands von Dersim 1938, bei dem Zehntausende Menschen starben und umgesiedelt wurden. Als er sagte, er habe aus der »rassistischen und faschistischen« Türkei fliehen müssen, platzte einigen Anhängern der türkisch-nationalistischen ATIB der Kragen. Sie waren kurz zuvor angekommen, um einen Kranz niederzulegen. Sie gingen auf Gündoğan los, Ordnungsamt, Polizei und besonnene Kundgebungsteilnehmer verhinderten eine Eskalation. Sie verwiesen die türkischen Nationalisten der Veranstaltung.

Die zweite große Frage neben der nach dem Verfassungsschutz ist seit 1993 in Solingen immer wieder die, wem das Gedenken »gehört«. Türkischen Rechten wie auch der regierenden Partei AKP ist es wichtig, sich am Beispiel von Solingen als Schutzmacht der Deutschtürken darzustellen. Linke machen hingegen auf die Gemeinsamkeiten menschenfeindlicher Ideologien aufmerksam. In diesem Jahr, dem 28. nach dem Anschlag, gab es nur eine kleine Konfrontation. Spätestens zum 30. Jahrestag, wenn sich auch noch die Bundespolitik einschaltet, wird es wieder größere Debatten darüber geben, wie der Opfer angemessen gedacht werden kann.

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