- Politik
- Rainer Börner
Der Erste
Zum Tode von Rainer Börner, der sich 1990 als erster DDR-Politiker zu seinen MfS-Kontakten bekannte
Er war eine Ausnahmeerscheinung, schon rein äußerlich: Lange Haare, Bart, Jeans - so einen hätte man eher bei den Bürgerrechtlern vom Neuen Forum vermutet als bei der SED-PDS. Rainer Börner, damals Mitte 30, gehörte zu den Jungen und Ungeduldigen, manchmal auch Unduldsamen in der sich wandelnden Staatspartei, als er für diese Ende 1989, Anfang 1990 am Zentralen Runden Tisch verhandelte. Die stundenlangen Diskussionen wurden live im Fernsehen übertragen, mit exorbitanten Zuschauerquoten. Börner wurde eine bekannte Figur des politischen und medialen Lebens, einer, der für die Erneuerung der Partei stand.
Nahezu folgerichtig wurde er am 18. März in die letzte Volkskammer gewählt, wurde dort Zeuge und Mitgestalter all jener Auseinandersetzungen, die in kürzester Zeit zur deutschen Einheit führten. Auch jener Debatten, die sich um Schuld und Verantwortung aus Vorwendezeiten drehten. Was er vorerst niemandem anvertraute: dass er jahrelang Kontakt zum Ministerium für Staatssicherheit gehabt hatte. Während seines Studiums an der Hochschule für Ökonomie in Berlin wurde er hauptamtlicher Funktionär des Jugendverbands FDJ, wechselte dann in die FDJ-Bezirksleitung Berlin, avancierte dort zum Sekretär für Kultur. Seit Mitte der 80er Jahre hatte er Kontakt zu vielen Bands und Liedermachern, auch zu unangepassten, ebenso zu Künstlern aus dem Westen. Er war daran beteiligt, große Konzerte und Festivals zu organisieren, kümmerte sich auch um Auftrittsmöglichkeiten für kleine Bands in Jugendklubs. Oft genug hin und her gerissen zwischen der Begeisterung für die Musik, der Sympathie für Künstler, den Aufgaben und Überzeugungen als politischer Funktionär und den ideologischen Verkrustungen.
Kein Wunder, dass er von der Staatssicherheit gefragt wurde. Nach Einschätzungen von Künstlern, Debatten in der Musikerszene. Einen Auslandseinsatz für das MfS hatte er abgelehnt, aber dennoch eine Erklärung zur Zusammenarbeit unterschrieben; die Gespräche über seine Künstlerkontakte waren für ihn Teil der Arbeit.
In der Wendezeit lernte er Bürgerrechtler unter anderem vom Neuen Forum näher kennen. Deren Forderung nach Aufdeckung von Stasikontakten nahm er ganz persönlich; am 20. September 1990 bekannte er sich in der Volkskammer öffentlich dazu. Als erster Politiker, seinem Gewissen folgend, ohne Druck, denn so gut wie nichts über seine Kontakte ist bislang aktenkundig nachgewiesen. Die Offenlegung ging zunächst in den letzten wilden Gefechten über die deutsche Einheit fast unter, es war dennoch eine beeindruckende, wichtige Wortmeldung. »Überprüft bitte«, schrieb er in einem Brief an Bürgerrechtler um Bärbel Bohley, »ob Ihr es richtig finden könnt, dass nicht Ihr, also zum Teil die Opfer des Systems, es allein sein dürft, die nun als Richter über die Glaubwürdigkeit bestimmter subjektiver Veränderungsprozesse zu entscheiden haben.« Er wolle »keinen Freispruch, sondern ... meine eigene Geschichte annehmen«.
Börner fand damit Anerkennung bei Bürgerrechtlern, suchte Bündnisse mit anderen Linken und trieb die Beschäftigung in der PDS mit der eigenen Geschichte an. 1991/92 verließ er die politische Bühne und die PDS, arbeitete später beim Rio-Reiser-Archiv. »Wie gehen wir in Zukunft miteinander um?«, fragte er am Ende seines Briefs. »Genau so«, antwortete Bärbel Bohley, »offen und ehrlich.« Am Montag starb Rainer Börner, fast 65, in Berlin an Herzversagen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.