Niemand soll sich beim Klimaschutz rauskaufen

Die Linke beschließt ein ambitioniertes Programm für Klimaschutz. Der Jugendverband vermisst allerdings antikapitalistische Schärfe

Es klang etwas besorgt, als ein Mitglied der Antragskommission am Samstagabend ans Mikrofon trat. Beim jetzigen Tempo könnten die Beratungen über das Wahlprogramm der Linken noch elf Stunden dauern. Dabei habe man mit dem Klimakapitel den härtesten Brocken noch vor sich: Es gebe 60 Änderungsanträge. Zwei Stunden später war der Brocken geschafft. Die Delegierten waren in Fragen des Klimaschutzes weitestgehend dem Programmentwurf des Parteivorstands gefolgt.

Dabei gab es durchaus interessante Änderungsanträge. Einzelne Gliederungen der Partei hatten sich im Vorfeld mit Aktiven aus der Klimagerechtigkeitsbewegung zusammengesetzt und mit ihnen darüber gesprochen, was ins Wahlprogramm gehörte, damit es den Forderungen aus der Bewegung entspricht. Hanna Wanke aus dem Kreisverband Erlangen etwa forderte, dass die Kritik an einer »imperialistischen Produktionsweise« in der Einleitung des Klimakapitels genannt wird. Dies wurde abgelehnt.

Auch die Linksjugend Solid stellte ihre Anträge nicht nur für sich, sie kamen zum Teil direkt aus der Fridays-for-Future-Bewegung. Ein Mitglied des Jugendverbandes beklagte auch, dass die junge Bewegung kein Rederecht auf dem Parteitag bekommen hatte. Auch mit eigenen Anträgen scheiterte die Linksjugend daran, dass die Mehrheit der Delegierten am Samstagabend wenig Freude an Detaildiskussionen hatte.

Michael Neuhaus, Stadtrat in Leipzig und einer der Bundessprecher des Jugendverbandes, zog nach Abschluss der Klimadebatte ein gemischtes Fazit. »Statt einer sozialistischen Vision setzt das Wahlprogramm, und allen voran der Klimateil, auf Gemeinwohlökonomie und ein neues Wohlstandskonzept, um die ökologische Krise zu überwinden.« Das ist aus Sicht von Neuhaus verkehrt, weil Konzepte, die sich am Gemeinwohl orientieren, von Klassenunterschieden ablenken. Selbst Konservative und Liberale könnten sich dem anschließen, weil sie Gemeinwohl mit dem Wohl der Wirtschaft in eins setzten, sagte Neuhaus dem »nd«. Aus Sicht der Linksjugend wäre es besser gewesen klarzumachen, warum »nicht alle im selben Boot sitzen und nicht alle dieselben Interessen haben«, so Neuhaus. Die Ursachen der Klimazerstörung lägen eben nicht in einer »falschen Prioritätensetzung« der Bundesregierung, sondern im Kapitalismus, der alle Lebensbereiche durchdringe. Ein einfacher Regierungswechsel reiche da nicht aus. Anliegen der Linksjugend sei es gewesen, das Programm »antikapitalistisch und sozialistisch nachzuschärfen«. Unzufrieden ist Neuhaus trotzdem nicht. Bei realpolitischen Anträgen, etwa zum Ausstieg aus dem Erdgas, habe man »gute Einigungen« erzielt.

Ziemlich zufrieden zeigte sich auch Lorenz Gösta Beutin. Der Bundestagsabgeordnete war im Bundesvorstand Hauptverantwortlicher für die klimapolitischen Inhalte des Wahlprogramms. Es habe »zahlreiche sehr gute Anträge« gegeben, die in den Tagen vor dem Parteitag noch in den Programmentwurf eingearbeitet worden seien, sagte Beutin am Sonntag gegenüber »nd«. So hätten Forderungen wie die nach Einführung eines Straftatbestandes »Ökozid« oder der Pflicht zur Installation von Photovoltaikanlagen auf Neubauten das Programm noch einmal »nachgeschärft«. Es unterscheide sich von den Programmen der anderen Parteien, die auf »marktkonforme Instrumente« setzten.

Beutin hebt insbesondere die Forderung nach dem Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2030 hervor oder das Ziel, Kurzstreckenflüge unter 500 Kilometern »auf die Bahn« bringen zu wollen. Auch will die Linke »fossile Subventionen« verbieten und die Industrie »sozial und ökologisch« umbauen. Die Energiewende soll »in der Hand der Bürger*innen, nicht der Konzerne« liegen. Die Linke wolle bezahlbares Wohnen und Klimaschutz zusammenbringen, betont der energie- und klimapolitische Sprecher der Linksfraktion. Die letzten Jahre hätten gezeigt, dass das Konzept »mehr Markt« bei der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad versagt habe, so Beutin. Die Linke mache in ihrem Programm deutlich, wie »Klimagerechtigkeit konkret« gehe. Statt wie etwa die Grünen auf Preispolitik, setze sie auf klare Regeln, aus denen sich »niemand rauskaufen« kann.

Dass die klimapolitischen Debatten der Linken von Menschen aus der Bewegung solidarisch, aber auch kritisch begleitet werden, zeigten Grußworte, die Klima- und Flüchtlingsaktivistin Carola Rackete und Pauline Brünger von Fridays for Future am Sonntag an die Delegierten richteten. Brünger kritisierte, dass es auch in der Linken Politiker gebe, die Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit nur als Gegensätze denken und »gegeneinander ausspielen«. Die Mehrheit in der Partei sehe das aber zum Glück nicht so.
Rackete betonte, die ökologischen Probleme seien auch Ausdruck sozialer Ungerechtigkeit. Die Hauptverursacher litten unter ihnen weit weniger als jene im globalen Süden, die kaum zur Erderwärmung beitrügen. Klimaschutz sei daher nicht nur etwas für künftige Generationen, sondern für jene, die heute schon massiv betroffen seien. Die Linke müsse dafür kämpfen, dass »ökologische Schulden« bezahlt werden und »Menschen auf der ganzen Welt in Sicherheit leben können«. Notwendig sei eine »echte sozial-ökologische Transformation statt einer Begrünung des Kapitalismus«, forderte Rackete, die als Kapitänin der »Sea-Watch 3« bekannt wurde, die im Mittelmeer Geflüchtete rettete.

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