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Musikalisches Aufatmen
Nach drei coronabedingten Verschiebungen fand in Neuruppin wieder das Aequinox-Festival statt
Sage noch jemand, die Coronakrise habe neben allem Leid und allen Belastungen nicht auch ein paar überraschend positive Wirkungen. Not macht bekanntlich erfinderisch; Kreativität und Improvisationskunst waren in den letzten anderthalb Jahren oft genug herausgefordert – auch bei den Machern des Aequinox-Festivals in Neuruppin, das am Wochenende endlich wieder stattfinden konnte, zum elften Mal. Und das mit Premieren: Noch nie hatte es Open-Air-Konzerte gegeben, denn zum angestammten Termin, der Tagundnachtgleiche im März, ist es dafür zu kalt. Noch nie auch wurde bei diesem Festival für Alte Musik eine Oper mit Bühnenbild aufgeführt. Und die musikalischen Besetzungen der Konzerte waren teils so weit reduziert, dass sie den Corona-Bedingungen entsprechen – was manche Werke in einem ganz neuen Klangbild erscheinen lässt.
Dreimal musste diese elfte Ausgabe des Festivals verschoben werden, vor fast zweieinhalb Jahren fand es zum letzten Mal statt. Was die Organisatoren um die kulturbegeisterte Hotelbetreiberin Gabriele Lettow und den künstlerischen Kopf der Lautten Compagney, Wolfgang Katschner, vor erhebliche Probleme stellte. Glaubten sie anfangs noch, das ausgefallene Programm einfach ein Jahr später nachholen zu können, so zerschlug sich die Hoffnung zumindest teilweise. Denn nicht alle Künstler und Ensembles stehen ohne Weiteres wieder zur Verfügung, es gibt neue Verpflichtungen, und mancher Musiker musste sich in der schier endlosen Corona-Pause nach anderen Möglichkeiten umsehen, seinen Lebensunterhalt zu sichern. Man hörte aus der gebeutelten Musikerszene sogar von Fällen, in denen Künstler sich genötigt sahen, ihre Instrumente zu verkaufen.
Nun aber ein Neuanfang, bei dem die Lücken des ursprünglichen Programms aus dem Repertoire der enorm produktiven Lautten Compagney gefüllt wurden. Das Ensemble hat in der Coronazeit immer weitergemacht, Programme entwickelt, neue Formate ausprobiert, regelmäßig aus dem pittoresken einstigen Berliner Kino »Delphi« Konzerte gestreamt, neue junge Musiker einbezogen.
Aequinox in Neuruppin: ein musikalisches Aufatmen. Ob bei Opern von Henry Purcell und Joseph Haydn, bei Musik von Johann Sebastian Bach unter dem fast schon beschwörenden Motto »Auferstehung« oder bei der faszinierenden Begegnung des frühbarocken Tarquinio Merula mit der Minimal Music von Philip Glass – man merkte Künstlern und Publikum die Freude darüber an, dass es nach langer Pause wieder kulturelle Lichtblicke gibt. Wobei die Aequinox-Macher sich über zehn Jahre eine Fangemeinde erarbeitet haben, die in der langen Pause nicht vergessen hat, was sie an diesem außergewöhnlichen Ereignis hat.
Geht man in diesen Wochen durch die Fontanestadt Neuruppin, eine Autostunde nördlich von Berlin, dann kann man sich vor kulturellen Angeboten kaum retten. Der Konzertkalender ist gut gefüllt, im nahen Rheinsberg sieht es ähnlich aus, wie auch in anderen Orten in der Region; in Netzeband wird wieder das fantasievolle Freilufttheater gespielt. Dennoch weiß niemand, wie es weitergeht im Herbst und Winter. Vieles hängt davon ab, ob und wie uns eine vierte Welle ereilt. Noch immer sind Veranstalter verunsichert, noch immer sind kulturelle Ereignisse nicht wieder die Selbstverständlichkeit, die sie vor Corona einmal waren.
Die bange Frage ist, wie lange es dauert, bis sich die Menschen an ein Leben ohne Theater, Konzert und Ausstellungen gewöhnt haben, allenfalls vielleicht mit Kinobesuchen. Man kann Kultur-Enthusiasten wie Gabriele Lettow und der Lautten Compagney nur wünschen, dass sie durchhalten. Und dass sie dabei genügend Unterstützung finden. Es steht viel auf dem Spiel.
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