Kein Strategiewechsel bei Nachverfolgung

Berliner Senat beschließt fünf Tage Quarantäne bei Kontakt an Schulen und Kitas mit positiv getesteten Mitschülern und Kindergartenkindern

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit einem Kompromiss und versöhnlichen, an die Adresse der Amtsärzte gerichteten Worten hat der Senat am Dienstag die Auseinandersetzung um die Quarantäneregeln an Berlins Kitas und Schulen vorerst beigelegt. Künftig müssen Kinder und Jugendliche an den Schulen sowie Kitakinder nur noch fünf Tage in Quarantäne, wenn sie in ihren Einrichtungen Kontakt mit positiv PCR-getesteten Altersgenossen hatten. Darüber informierte Gesundheitsministerin Dilek Kalayci (SPD) nach der turnusmäßigen Senatssitzung am Dienstag im Roten Rathaus.

Am Wochenende hatte ein Vorstoß der Berliner Amtsärzte für große Aufregung in der Hauptstadt gesorgt. Diese hatten sich darauf geeinigt, auf die Kontaktverfolgung bei Corona-Fällen in Kitas und Schulen zu verzichten. Danach sollten Kinder und Jugendliche, auch wenn sie engen Kontakt zu einer mit Corona infizierten Person in Kita oder Schule hatten, nicht mehr in Quarantäne geschickt werden. Nur für Kinder und Jugendliche mit einem positiven PCR-Test sollten 14 Tage Quarantäne vorgeschrieben werden.

Die Amtsärzte seien mit dieser Entscheidung in sicher gut gemeinter Absicht ein wenig über das Ziel hinausgeschossen, sagte die Gesundheitssenatorin. »Wir sind mit den Amtsärzten noch im Gespräch. Es ist gut, dass sie Ideen haben«, sagte Kalayci am Dienstag vor Journalisten. »Aber die ganze Strategie auf den Kopf zu stellen, da haben sie sich überhoben, und das haben wir nun gerade gerückt.«

Die Strategie bei der Corona-Pandemiebekämpfung obliege der Senatsgesundheitsverwaltung, betonte die Senatorin. »Einen Strategiewechsel können Amtsärzte nicht einläuten, ihre Rolle und ihre Aufgaben sind klar gesetzlich definiert.« Amtsärzte oder Gesundheitsämter dürften lediglich im Einzelfall abweichende Entscheidungen treffen, der Regelfall aber sei die durch die Rechtsverordnung vorgeschriebene Art der Quarantäne, stellte sie klar. »Was die Amtsärztinnen und Amtsärzte gemacht haben und was wir rechtlich zweifelhaft finden, ist, das Regel-und-Ausnahme-Verhältnis komplett umzudrehen«, so Kalayci. »Wir müssen mit ihnen wieder zurückfinden zur Regelfall-Quarantäne.«

Die Infektionslage sei zurzeit sehr ernst, nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts (RKI) befinde sich Deutschland bereits in der vierten Corona-Welle. Man müsse das Infektionsgeschehen in der Stadt mit Blick auf den Herbst aufmerksam verfolgen. »Es gibt derzeit 1050 positiv getestete Schülerinnen und Schüler bei einer Gesamtzahl von 435 000 in Berlin, 3886 sind in Quarantäne«, so die Senatorin. Es sei schon heute die Ausnahme, dass ganze Gruppen in Quarantäne geschickt werden, wenn ein Kind infiziert ist. Praxis sei, dass man differenzierter hinschaut. Ganze Klassen abzusondern, sei nicht mehr zeitgemäß.

»Ein großer Anteil der Infektionen entsteht prozentual in den ersten fünf Tagen«, sagte Kalayci. »Es gibt dann immer noch ein Restrisiko, dass zwischen dem 6. und 14. Tag trotzdem eine Infektion stattfinden kann.« Der Senat halte dieses Restrisiko jedoch für vertretbar, weil in den Schulen Maskenpflicht gelte und regelmäßig getestet werde. Auf scharfen Widerspruch war das Votum der Amtsärzte bei der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus gestoßen. In einer Erklärung forderten Fraktionschef Carsten Schatz und die bildungspolitische Sprecherin Regina Kittler, der Senat müsse die Quarantäne-Vorgabe der Amtsärzte stoppen und deren Durchseuchungsstrategie an Schulen und Kitas verhindern. »Das Recht auf Bildung darf dem Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht entgegengestellt werden«, betonten sie.

Kritik war auch von der Bildungsgewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin gekommen. »Die neue Regelung sorgt für große Verunsicherung in der Kita- und Schulgemeinschaft«, erklärte der GEW-Landesvorsitzende Tom Erdmann am Montag. Berlin entferne sich damit von den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts und beschreite einen nur schwer nachvollziehbaren Sonderweg. »Die Quarantäne-Vorgaben aufzuheben, ohne den Kitas und Schulen andere Möglichkeiten zum Schutz an die Hand zu geben, ist unverantwortlich«, sagte Tom Erdmann.

Auch der Landeselternausschuss Kindertagesstätten Berlin hatte in einer Mitteilung Kritik an der Entscheidung geübt. »Wenn es keine Quarantäneverpflichtung gibt, befeuert dies nicht nur die Ansteckung unter den Kindern, sondern auch potenzielle Impfdurchbrüche sowie unabsehbare Risiken für chronisch kranke Menschen«, schrieb die Elternvertretung. Mit dpa

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