Abwehrwunder oder Mogelpackung?

Vitamin C ist gut aus frischen Nahrungsmitteln aufzunehmen, auch wenn Werbung anderes suggeriert

  • Anke Nussbücker
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Zuge der Pandemie griffen viele Menschen zu Nahrungsergänzungsmitteln mit Vitaminen und anderen Mikronährstoffen - in der Annahme, ihr Immunsystem auf diesem Wege gegen das neuartige Virus besser zu wappnen. Allein in Apotheken werden pro Jahr über zwei Milliarden Euro für Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente ausgegeben. Hinzu kommen Nahrungsergänzungsmittel aus Drogerien und über den Onlineversand. Letzterer hat in Deutschland einen Marktanteil von etwa 25 Prozent bei jenen Präparaten, welche etwa Mangelerkrankungen vorbeugen oder das Immunsystem stärken sollen.

Im vergangenen Jahr erhöhten sich die Umsätze mit Nahrungsergänzungsmitteln nochmals um circa acht Prozent, vor allem wurden Produkte mit Vitamin C und Zink häufiger nachgefragt. Für beide gibt es Risiken, es stellt sich bei beiden die Sinnfrage, ob man zur Haupterntezeit sein Geld nicht besser für gute Qualität bei Obst und Gemüse der Saison oder für tierische Erzeugnisse aus ökologischer Haltung ausgibt.

Welchen Sinn macht eine Vitamin-C-Tablette mit der zehnfachen Menge des Tagesbedarfs, die prophylaktisch über mehrere Monate täglich eingenommen wird? Kritische Verbraucher fragen sich zu Recht: Halten die Produkte, was sie versprechen? Gibt es die Gefahr einer Überdosierung? Werden hier Bedürfnisse suggeriert, damit satte Gewinne eingefahren werden können?

Zunächst sei festgehalten: Vitamin C erfüllt als lebensnotwendiger Stoff für Menschen, Menschenaffen und einige andere Tierarten wichtige Funktionen im Organismus. Es wird zur Kollagenbildung und damit für Haut und Knorpel gebraucht. Außerdem dient es der Produktion von Hormonen wie Adrenalin.

Am bekanntesten ist die Rolle von Vitamin C als Antioxidans. Auf dieser Basis schützt es die Membran sogenannter Fresszellen (auch Phagozyten, Bestandteile des Immunsystems) vor oxidativer Selbstzerstörung. Die gängige Hypothese geht davon aus, dass bei einer Infektion mehr Vitamin C verbraucht wird als sonst. Einige Studien konnten positive Wirkungen von Vitamin C bei Infekten der oberen Luftwege und bei Lungenentzündungen belegen. So verringerte sich die beobachtete Erkrankungsdauer in den Teilnehmergruppen, die das Vitamin erhielten.

Die Europäische Gesellschaft für klinische Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN) betont in einer aktuellen Expertenerklärung, wie wichtig ein allgemein guter Ernährungszustand ist, bevor man sich mit einem Virus ansteckt. Das umfasst unter anderem eine ausreichende Versorgung mit Vitaminen, bei Mangelernährung auch über Supplemente.

Bei Produkten mit Vitamin C sollte man schauen, ob dieses aus natürlicher Herkunft stammt und in einem natürlichen Nährstoffverbund etwa mit Carotin, Vitamin E und sekundären Pflanzenstoffen wie Flavonoiden vorliegt. Hoch im Kurs stehen in Reformhäusern Vitamin-C-Ergänzungen aus Hagebutte, Sanddorn oder der Acerolakirsche. Im Onlinehandel findet man auch Kapseln mit Konzentraten aus Petersilie, Brokkoli oder Grünkohl. In der Haupterntezeit im frühen Herbst sind diese Produkte sogar für rüstige Senioren, die sich ihre Mahlzeiten selbst zubereiten, sicherlich überflüssig. Anders sieht die Situation oftmals in Krankenhäusern und Pflegeheimen aus. Aber auch hier wären frisch gepresste Obst- und Gemüsesäfte die klügere Wahl und das I-Tüpfelchen bei insgesamt verbesserten Pflegebedingungen.

Trinklösungen mit künstlichem Vitamin C, auch als Ascorbinsäure bezeichnet, könnten höchstens kurzfristig als Notbehelf dienen. Produkte mit der hohen Einzeldosis von 1000 Milligramm Vitamin C - wie sie häufig beworben werden - verursachen jedoch bei einigen Menschen Magen-Darm-Beschwerden wie Durchfall. Zudem nimmt die Resorptionsrate mit steigender Dosis ab. Nur bis zu 200 Milligramm Vitamin C als Einzelgabe können vom Darm problemlos aufgenommen werden. Danach steigt der Vitamin-C-Spiegel im Blut zwar kurzzeitig an, ohne natürliche pflanzliche Begleitung (zum Beispiel durch Rutin aus der Schwarzen Johannisbeere) sinkt er jedoch nach wenigen Stunden wieder ab. Was nützt es also? Und schadet es vielleicht?

Ein Risiko besteht einerseits darin, dass isoliertes Vitamin C selbst zum Radikalbildner werden kann und das Gegenteil der gewünschten antioxidativen Wirkung eintritt. Andererseits muss die Substanz über die Nieren ausgeschieden werden, wobei der Organismus Ascorbinsäure vorher zum Teil in Oxalsäure umwandelt. Deshalb können bei längerem Gebrauch hochdosierter Vitamin-C-Pillen Nierensteine entstehen. Für Menschen mit geschwächten Nieren ist von Mengen, die 600 Milligramm Vitamin C als Tagesgesamtdosis überschreiten, generell abzuraten.

Beim Kauf von Kapseln und Tabletten sollte man stets die Zutatenliste in der Packungsbeilage studieren. Dabei gilt es, Farbstoffe aus Eisenoxid/Eisenhydroxid (E 172) zu meiden, weil Eisen besonders bei verringertem Verbrauch - wie bei Frauen nach der Menopause - im Körper gespeichert wird und dann die Leber und die Bauchspeicheldrüse schädigt. Eisenverbindungen begünstigen die Oxidation von Vitamin C, wobei dieses seine Vitaminfunktion verliert. Auch das weiße Farbpigment Titandioxid geriet unter Verdacht, das Immunsystem zu schwächen. Als Lebensmittelzusatzstoff wurde es deshalb in Frankreich kürzlich verboten.

Diabetiker und Übergewichtige sollten auf den Zuckergehalt der Mittel achten. Bei der Einnahme blutverdünnender Medikamente verstärkt hoch dosiertes Vitamin C die Wirkung der Blutverdünner wie Cumarin.

Empfehlenswert sind eher gefriergetrocknete Naturprodukte wie fein zerkleinerte Hagebutten, die man einem Smoothie, einem Saft oder dem morgendlichen Müsli beimischt. Bis in den späten Herbst verbessern selbst gesammelte Beeren und Kräuter aus dem Garten die Vitamin-C-Zufuhr auf natürliche und gemäßigte Weise. 100 Gramm Giersch enthalten 140 Milligramm Vitamin C, frische Gundermann-Pflanzen sogar 230 Milligramm auf 100 Gramm.

Die herkömmlichen Nahrungsergänzungsmittel unterliegen dem Lebensmittelgesetz. Kriterien, an denen sich der Laie orientieren kann, sind die auf der Packung angegebenen Dosierungen, die prozentual mit den EU-weiten Referenzmengen, den NRV (Nutrition Reference Values) verglichen werden. Während man mit den wasserlöslichen Vitaminen B und C gefahrlos die doppelte bis vierfache Dosis zuführen kann, werden die fettlöslichen Vitamine A, D, E, K im Körper gespeichert. Daher ist hier eine ärztliche Überwachung wichtig.

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