Kommunisten sind in Graz stärkste Partei

Bei Gemeinderatswahlen in Österreichs zweitgrößter Stadt muss die ÖVP den Bürgermeisterposten räumen

  • Stefan Schocher, Wien
  • Lesedauer: 4 Min.

Wohl selten hat man eine Wahlsiegerin so überrascht über den eigenen Erfolg erlebt, und nicht nur sie, sondern die gesamte Partei. Als Elke Kahr zur Wahlparty der Grazer Kommunisten (KPÖ) kommt, gibt es kein Mikro. Nur brüllend setzt sie sich schließlich gegen »Elke-Elke«-Sprechchöre durch. Die ersten Hochrechnungen der Gemeinderatswahl in Graz waren da gerade erst veröffentlicht worden - und zeigten die Kommunisten auf Platz eins. Gegenüber dem öffentlich- rechtlichen Rundfunk ORF meinte Kahr sogar, es müsse sich um einen Fehler handeln.

Stark war die KPÖ in Graz immer. Platz eins aber und damit Anrecht auf den Bürgermeistersessel, das hat sich die Grazer KPÖ anscheinend aber nicht einmal erträumt. Und so antwortete Elke Kahr auf die Frage, ob sie denn jetzt Bürgermeisterin werde, dass sie erst einmal um Verständnis bitte, darauf noch keine klare Antwort zu haben. Sie müsse das Ergebnis der Wahl erst einmal richtig verdauen.

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Am Sonntag fanden in Graz, Österreichs zweitgrößter Stadt, Gemeinderatswahlen statt. Zu verdauen hatte diesen Wahltag auch Siegfried Nagl, amtierender Bürgermeister seit 2003. Seine Österreichische Volkspartei (ÖVP) rasselte bei der Wahl am Sonntag um ganze zwölf Prozentpunkte hinunter. Für die erfolgsverwöhnte ÖVP von Kanzler Sebastian Kurz ist das ein Waterloo der Sonderklasse. Der Verlust von Platz eins im Stadtparlament ist dabei eine Sache; der Verlust an die KPÖ aber, der kommt einem zusätzlichen Tritt in die Weichteile gleich. Nach Veröffentlichung erster Resultate und Hochrechnungen stotterte Siegfried Nagl erst noch Standardsätze in Mikrofone: Das Ergebnis tue schon »sehr weh«, sagte er da. Das Ergebnis müsse er erst einmal verdauen, sehr viele Fragezeichen gebe es auch für ihn selbst. Zwei Stunden später gab es keine Fragezeichen mehr: Nagl trat zurück.

Das Ergebnis kommt einer kleinen mitteleuropäischen Sensation gleich: Platz eins geht klar an die KPÖ mit knapp 29 Prozent der Stimmen (+8,6 Prozentpunkte), auch die Grünen gewinnen (+6,8) und holen mit 17,3 Prozent Platz drei. Die Bürgermeister- und Kanzlerpartei ÖVP landet mit einem Minus von 12,1 Prozentpunkten auf Platz zwei und erhält nur noch 25,7 Prozent. Satte Verluste auch für die FPÖ, die 5 Prozentpunkte verliert und auf knapp 11 Prozent kommt.

Den Erfolg der KPÖ in Graz erklärt Elke Kahr schließlich gegenüber einem TV-Team so: »Die Antwort ist einfach, wir sind schlichtweg für die da, die nicht auf die Butterseite gefallen sind, die Arbeiterinnen und Arbeiter, die immer das Werkel am Laufen halten«. Und weiter sagt sie: »Wir sind aus allen Schichten, aus allen Berufen, und so eine Gesellschaft wünschen wir uns auch.«

Was Elke Kahr sagt, sind keine leeren Worte. Die Grazer Kommunisten sind Pragmatiker, und vor allem im Wohnungsbau können sie Resultate vorweisen. 1998 bis 2005 stellten sie den Wohnbaustadtrat in der Stadtregierung: Ernest Kaltenegger führte das Amt mit Sachverstand, jenseits aller Schlagwort-Hülsen und mit einem kleinen Schuss Populismus. So spendete Kaltenegger die Hälfte seines Politikergehalts für karitative Zwecke und legte jährlich am »Tag der offenen Konten« Rechenschaft über sein Finanzgebaren ab. In der Folge schaffte die KPÖ bei den steirischen Landtagswahlen 2005 sogar erstmals seit den 1970er Jahren wieder den Einzug in einen österreichischen Landtag. Schließlich zog sich Kaltenegger uneitel zurück, um den Weg frei zu machen für neue Gesichter und mischte sich auch aus der zweiten Reihe kaum mehr ein.

In der Opposition verlor sich die KPÖ schließlich nicht in innerparteilichen Kämpfen, sondern blieb über Mieter- und Rechtsberatung nahe an den Wähler*innen. Darin macht Kaltenegger nach dem Sieg in Graz das zentrale Wahlmotiv aus: »Diese Arbeit ist wichtiger als bei Events sein Gesicht in eine Kamera zu halten«, sagte er am Wahlabend.

Was sich für die KPÖ in Graz jetzt allerdings stellt, ist die Frage der Koalitionen. Einer Zusammenarbeit mit der ÖVP erteilte Kahr eine Absage, punktuelle Zusammenarbeit sei allerdings möglich. Gespräche werde es mit allen Parteien geben.

Interesse an einer Zusammenarbeit bekunden jedenfalls die Grünen. Ein dahingehendes Angebot kam gleich von oberster Stelle aus Wien, von Parteichef und Vizekanzler Werner Kogler. Bundeskanzler Kurz kommentierte den Wahlsieg der KPÖ in Graz übrigens so: »Dass die Kommunisten in Österreich eine Wahl, wenn auch eine regionale, gewinnen können, ist etwas, das nachdenklich stimmen sollte.«

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