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Die Ludwigs des Ostens

Der Gropius Bau in Berlin konfrontiert in der Ausstellung »The Cool and the Cold« Kunst aus den USA mit der aus der UdSSR

  • Stefan Ripplinger
  • Lesedauer: 5 Min.

Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Ludwig (1925–1996) war ein sonderbarer Mann, nicht nur, weil er auf seine Titel so viel Wert legte wie andere auf ihre Orden. Als stockkonservativer Schokoladenfabrikant, der Osthandel treibt, ist er ein Buffo in Ronald M. Schernikaus epochalem Roman »Legende« (1991). Tatsächlich führte der Professor nicht nur »Trink-Fix« in die DDR ein, sondern auch Kunst aus ihr aus. Denn gemeinsam mit seiner Frau Irene sammelte er nicht nur Pop-Art, sondern auch, und zwar im ganz großen Stil, Gemälde aus der Sowjetunion und ihren Bruderländern.

Die Sammlung des Paares ist heute auf etliche Museen in ganz Europa verteilt, von denen allein 19 den Namen Ludwig tragen (der Mann war nicht nur in seine Titel, sondern auch in seinen Namen vernarrt). Gezeigt wurden die westlichen Schätze des Paares fortwährend und überall, die östlichen sehr selten und fast nirgendwo. Zwei zeitgleich angelaufene Ausstellungen in Berlin und Köln widmen sich nun, aus unterschiedlicher Perspektive, den Ludwigs des Ostens.

Da ist zunächst die von Julia Friedrich kuratierte Schau »Der geteilte Picasso« im Museum Ludwig Köln, die aus dem bemerkenswerten Umstand Honig saugt, dass die Ludwigs einen Teil ihrer Picasso-Sammlung in die DDR ausliehen. Damit kam der Kommunist Pablo Picasso, dessen Kunst im Osten ebenso kontrovers wie intelligent diskutiert wurde, endlich da an, wohin er gehörte. Die Ausstellung stellt Picasso mitten ins politische Leben, vollzieht die Diskussion an Werken und Dokumenten nach und hat Peter Nestler, einen der ganz Großen im dokumentarischen Film, zu einem hinreißenden Beitrag über Picassos »Krieg und Frieden« (1952) in Vallauris verpflichten können.

Die Berliner Ausstellung »The Cool and the Cold«, kuratiert von Brigitte Franzen und Benjamin Dodenhoff, stellt aus Ludwig-Beständen wegweisende Werke aus US-amerikanischer und sowjetischer Produktion einander gegenüber, wobei die kapitalistischen »cool« und die sozialistischen »cold« sein sollen, was im ersten Fall bestimmt, im zweiten bestimmt nicht zutrifft.

Grob lässt sich sagen: Die kapitalistische Kunst zeigt Gegenstände, die sozialistische Kunst knüpft Beziehungen. Das heißt, auch da, wo die Amerikaner überhaupt Menschen abbilden – die bedeutenden Abstrakten von Helen Frankenthaler bis Jo Baer sind vertreten –, spielen die fetischisierten Gegenstände neben oder hinter ihnen eine weit größere Rolle, ja die Menschen werden selbst zu Gegenständen.

»Airstream« (1970), ein in der Sonne silbrig reflektierender Wohnwagen, gemalt von Ralph Goings, wirkt nicht wie ein Gebrauchs-, sondern ein Sakralobjekt. Selbst wenn vor dem Auto Personen stehen wie auf Robert Bechtles »Berkeley Pinto« (1976) sind sie bloß Staffage. Auch kann ein gigantischer Kopf wie »Richard« (1969) von Chuck Close die Anmutung von gebürstetem Stahl haben.

Endgültig klar wird die unterschiedliche Wahrnehmung in dem der Raumfahrt gewidmeten Raum. Während Lowell Nesbitt Raketen und Kapseln der Nasa leuchten lässt, stellt Jurij Korolev auf »Kosmonauten« (1982) das Kollektiv der lachenden Raumfahrer vor, Allegorie der kulturellen Vielfalt des Riesenlandes.

Beziehungen können sich auf den sowjetischen Bildern ganz unterschiedlich bilden: ausgelassen, individuell, aber aufeinander bezogen wie auf dem »Familienfest« (1966) von Galina Neledva, formiert wie auf den »Singenden« (1969) von Natalja Nesterova, festlich sich gesellend wie auf »Sonntag« (1968) von Aleksandr Išin, aber auch anonym und dumpf zusammengedrängt wie auf »Vor der Arbeit« (1966) von Igor Popov, der rauchende Proletarier zeigt – eines der bewegenden Gemälde der Ausstellung.

Der zweite große Unterschied zwischen den Systemen liegt im Verhältnis zur Tradition. In der Sowjetunion gab es wenig Autodidakten, alle professionellen Künstlerinnen und Künstler durchliefen eine langjährige Ausbildung. Das schlägt sich in ihrem Traditionsbewusstsein nieder. Keineswegs ähneln die Gemälde Klassikern, aber einer Komposition wie »Riga 1945« (1975) von Maija Tabaka oder »Meine Töchter« (1969) von Sarkis Muradjan ist die Kenntnis des Renaissance-Raums oder des antiken Kontraposts abzulesen. Die US-Amerikaner lernten mehr aus der Werbung oder dem Cartoon als aus dem Museum.

Wohl um eine bessere Vergleichbarkeit zu gewährleisten, sind aus dem westlichen Fundus narrative Werke gewählt worden, die sonst selten zu sehen sind. Neil Jenneys »Tat und Belohnung« (1969), ein von einem Pfeil getroffener Baumfäller, ist von hohem poetischem Reiz. An Joe Zuckers »Zwei malaiischen Piraten in der Südsee« (1978), einem Diptychon aus bemalter Baumwolle, kann man sich kaum sattsehen.

Die Sowjets sind bei uns kaum bekannt und deshalb fast durchweg Entdeckungen, von Komar & Melamid oder Ilja Kabakov einmal abgesehen, die nicht fehlen dürfen. Verblüfft stellt der Betrachter fest: Viktor Pivovarov, ein in den Rankings unter »ferner liefen« rangierender Moskauer Konzeptualist, der an Daniil Charms ebenso anschließt wie an René Magritte, ist wenigstens so anregend wie der längst durchgesetzte Kabakov.
An der Gretchenfrage kommt auch diese Ausstellung nicht vorbei: Wie hältst du es mit der Politik? Das Kuratoren-Duo setzt sich pflichtschuldig vom Kommunismus ab, doch eher subtil, indem es ironische Arbeiten wie Erik Bulatovs Staatswappen als »Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang« (1989) in den Vordergrund rückt. Es ist nicht mehr nötig, die große Trommel zu rühren, denn am Ende ist beides untergegangen: die Feier des Kollektivs und die des glänzenden Chroms, der Sowjet-Sozialismus und der American Way of Life. Es bahnt sich eine Fusion aus dem Schlechten beider Systeme an.

»The Cool and the Cold. Malerei aus den USA und der UdSSR 1960–1990«, bis 9. Januar. 2022, Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, Berlin. Der Katalog, 312 Seiten, zahlreiche Abbildungen, erschien im Verlag der Buchhandlung Walther König und kostet 39,80 Euro.

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