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Das große D
Auf dem Weg zur Enttabuisierung: Anlässlich des Tages der Depression spricht der Autor Andreas Thamm über Jugendliteratur und psychische Erkrankungen
Kurz nachdem Ihr Jugendroman »Wenn man so will, waren es die Aliens« erschienen war, lenkte Nora Tschirners Bekenntnis, von Depressionen betroffen gewesen zu sein, den Fokus auf die Erkrankung. Hat sich das in den Resonanzen zu Ihrem Buch niedergeschlagen? Und für wie wichtig halten Sie es, das Thema durch Prominente und in der Literatur zu diskutieren?
In den Resonanzen auf mein Buch spielt das Thema bisher, so wie ich das jetzt auf dem Schirm habe, ohne die Sachen noch mal nachzulesen, keine allzu große Rolle. Man ist das schon ein bisschen gewöhnt, beziehungsweise es gehört ein bisschen zum guten Ton, dass im Coming-of-Age-Roman auch die schweren, tragischen, fürchterlichen Aspekte des Daseins mitverhandelt werden. Will sagen: Das wird auf jeden Fall wohlwollend wahrgenommen. Ich glaube, so ein Buch wie meines oder eine Serie sind auf ihre Art eben Bausteine, der eine kleiner, der andere etwas größer, die wieder einen kleinen Beitrag leisten. Und jedes Artefakt, das Depression thematisiert, erreicht Menschen, die vorher vielleicht Berührungsängste hatten oder möglicherweise in die Lage versetzt werden, anders über diese Krankheit nachzudenken und zu sprechen. Das Ziel, etwas zu enttabuisieren, kann so ein kleiner Roman ja nie alleine erreichen.
Andreas Thamm lebt als Redakteur, Autor und Suppenkoch in Nürnberg. In seinem mehrfach ausgezeichneten Jugendroman »Wenn man so will, waren es die Aliens« ist der schwer depressive Vater des Protagonisten Josh einfach so verschwunden. Zuvor musste Josh die Schule abbrechen, um seinen Vater bei der Arbeit im Hotel zu unterstützen. Mit Andreas Thamm sprach Leonhard Seidl.
In Ihrem Roman ist der Held ein junger Mann, der das Hotel seines Vaters wuppen muss, weil dieser verschwunden ist. Wie wichtig war es Ihnen, die klassischen Rollenklischees vom aktiven, starken jungen Mann und der passiven, schwachen jungen Frau aufzulösen?
Nicht so sehr als bewusste Entscheidung, die dem Schreiben irgendwie voranginge. Josh ist ja insofern wieder »klassisch«, als er vor eine Herausforderung gestellt wird, an der er reifen muss, die von ihm verlangt, Verantwortung zu übernehmen und irgendwie ein »Neuer« zu werden. Ich bin von einer Journalistin relativ früh darauf angesprochen worden, dass sie diesen nachdenklichen, melancholischen Josh als eine neue Tonalität von Männlichkeit gelesen habe - was mich überrascht, aber, logisch, auch freut. Aber ganz ehrlich: Wenn man sich die Klassiker der Jugendliteratur anschaut, die ja nicht selten von schüchternen, dünnen Jungs geschrieben werden, findet man dort doch eher selten den virilen Muskelheld.
Sie haben an der Universität Hildesheim literarisches Schreiben und Kulturjournalismus studiert. Wäre in Ihrem Roman auch der schwer depressive Vater als »Held« oder »Antiheld« denkbar gewesen? Und was hätten die Professor*innen und Ihre Mitstudierenden dazu gesagt?
Ich glaube, dass Hildesheim schon zu meiner Zeit, und heute noch viel mehr, dazu anregt, gesellschaftlich relevantes Material zu Literatur zu machen. Als ich da ankam, gab es noch das Klischee, in den Texten von der Schreibschule ginge es immer nur um Konflikte, die in der WG-Küche ausgehandelt werden. Das ist mittlerweile ziemlich überholt, glaube ich. Das heißt: Ja, sich der Depression als Topos anzunehmen, wäre sicherlich grundsätzlich supportet worden. Und letztlich ist man dann als Autor in der Beweispflicht, dem großen Thema handwerklich gerecht werden zu können. Also »Write what you know«-mäßig: lieber zehn gute Texte über Drogen in der WG-Küche als ein schlechter über Depression. Und damit überleitend zur ersten Frage: Für mich wäre der Vater nicht als Protagonist denkbar gewesen, weil ich über eine vor allem passive, eher innerlich agierende Figur keinen guten Roman schreiben könnte.
Für Ihren Roman haben Sie gleich mehrere Preise abgeräumt, unter anderem den mit 6000 Euro dotierten Kunstförderpreis des Freistaats Bayern. Obwohl oder weil Sie das Thema Depression behandelt haben?
Den Kunstförderpreis gab es für den Vorgänger »Heldenhaft«, in dem es ja, nachdem ein Freund nach einem Jahr aus dem Jugendarrest kommt und das soziale Gefüge durcheinanderbringt, ein bisschen um Schuld und Loyalität und natürlich auch wieder um Verantwortung geht. Der Ansatz ist also schon ähnlich: dicke Brocken in fluffiges Coming-of-Age zu verpacken und hoffentlich auch ein paar Pointen unterzubringen. Und das fand die Jury anscheinend ausreichend überzeugend. Für die »Aliens« gab’s das Arbeitsstipendium des Freistaates, da fühlt man sich dann gleich, als hätte man sich die Hamsterbacken sehr voll gemacht, aber war halt so eine Häufung … Auch da war es für die Entscheidung der Jury aber sicherlich nicht hinderlich, dass jemand den Versuch unternimmt, das Thema Depression jugendgerecht anzugehen.
Wie sind Sie bei Ihrer Recherche zum Thema Depression vorgegangen?
Es gab ja verschiedene Dinge zu recherchieren, das Hotelgewerbe, die Landschaft, die Depression. Wenn es um die ging, habe ich mich immer wieder auf die Suche nach der Mikroebene gemacht, nach Erfahrungsberichten, die einzelne Symptome ganz konkret benennen und beschreiben, damit ich aus Splittern wie aus Mosaiksteinen ein Bild zusammenbauen kann, ohne die ganze Zeit mit dem großen D wedeln zu müssen. Zweitens arbeitet meine Freundin als Psychologin in einer Klinik, so dass ich die wichtigste Ansprechpartnerin direkt zu Hause hatte, auch wenn es dann manchmal nur um so scheinbare Banalitäten geht wie: Welche Pflanzen stehen denn da in der Klinik auf dem Gang, bitte?
»Dem Autor gelingt ein unprätentiöser Blick aus der Perspektive einer ungewöhnlichen Jungen-Figur. Diese setzt auf Fürsorge, Zusammenhalt, Liebe - und auf das Recht auf eine eigene Zukunft: Selbst(er)findung unter Extrembedingungen«, schrieb Christine Knödler, Jurorin für die Vergabe des Arbeitsstipendiums des Freistaates Bayern für Schriftsteller*innen in ihrer Laudatio. Wie wichtig ist nach Ihrer Meinung Solidarität im Kampf gegen Depressionen, aber auch in Pandemiezeiten?
Weiß ich nicht. Das ist mir wahrscheinlich zu abstrakt. Natürlich ist Zusammenhalt essenziell, wenn geliebte Mitmenschen sich in einer Krise befinden. Aber, auch darum geht es in dem Buch ja im Weitesten: Das fängt bei einem basalen Verständnis dafür an, dass wir, die Mitmenschen, andere nicht heilen können. Wir können nur da sein und bestenfalls eine Schulter sein und uns immer wieder selbst überprüfen, um nicht zu bewerten, zu verurteilen und/oder rumzunerven.Die Frage nach der Solidarität in Pandemiezeiten ist, glaube ich, eine andere, weil sie so sehr und so stark an konkrete Handlungen gebunden ist, ans Machen. Nie war Solidarität so einfach, weil sie vielleicht damit endet, sich für andere stark zu machen, die in finanzielle Nöte geraten sind o. ä., aber sie beginnt mit einem Piks. As easy as that.
Sie sind auch als Suppenkoch gemeinsam mit einem Musiker unter dem Namen Suppkultur unterwegs. Hilft Essen gegen Depression?
Ich bin zu wenig vom Fach, um mich von einem gewieften Interviewer zu einer solchen Aussage hinreißen zu lassen. Nein, aber: Essen hilft ganz bestimmt gegen depressive Verstimmungen, gegen Weltschmerz und Zorn und Liebeskummer und Stress. Und noch viel wichtiger, besonders was Letzteres angeht: Kochen! Mit Lebensmitteln umgehen und etwas Feines für sich und die einem solidarisch verbundenen Menschen im Umfeld herstellen, und das Ganze bewusst und mit Freude - damit lässt sich schon überraschend viel erreichen.
Andreas Thamm: Wenn man so will, waren es die Aliens. Magellan, 240 S., geb., 16 €.Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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