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Alte weiße Punkmänner

Ein weiterer Nostalgia-Roman zum Ergötzen: »Pop ist tot« von Thomas Mulitzer

  • Lars Fleischmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer kennt sie nicht, die betagten Herren mit den Elbseglern auf dem Kopf, eingehüllt in kultige Kutten? Man sieht es förmlich, wie sie beim Konzert am Rand stehen, sich in ein Weizenglas verkrallend, und bestimmend mit dem Kopf nicken - wie sie aber auch nachher bei einer Selbstgedrehten dann doch erwähnen müssen, dass die Ramones das alles schon besser gemacht hatten …

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Thomas Mulitzer: Pop ist tot. Kremayr Scheriau, 187 S., geb., 20 €.

Wo die alten weißen Männer sonst große Ärgernisse in der Gesellschaft darstellen (können), sind sie beim Punk-Konzert eigentlich willkommene Artefakte der »guten alten Zeit«, die sowohl den Eintritt abdrücken, ohne lange zu diskutieren, und dazu noch die Getränkekasse vollmachen. Hier sind sie eben nicht die Macht, sondern bloß harmlose alte Typen, die seit Jahrzehnten rocken und punken und pogen. Nun ja, Pogo wird immer seltener getanzt - mittlerweile eher eine Frage der Einstellung statt der konkreten Ausführung.

»Wir waren Helden. Ruhestörer. Krawallmacher, Schreihälse, lärmende Heiden«, so heißt es am Anfang des Romans »Pop ist tot« des Österreichers Thomas Mulitzer, der der Frage nachgeht, ob man als Punk überhaupt in Würde altern kann. Der namenlose Ich-Erzähler ist schon lange nicht mehr auf Konzerten unterwegs, sondern arbeitet mittlerweile in einer Werbeagentur in Salzburg, in der er der Quotenmann ist und die sich sonst durch eine gewagte Mischung aus Avantgarde-Guerilla-Marketing und Yoni-Yoga auszeichnet. Einzig sein Tinnitus erinnert ihn noch an seine Jugend. Seine Chefin will zwar das Patriarchat abschaffen, aber ganz bestimmt nicht den Kapitalismus. Das lässt ihn an seine eigene Zeit in einer Punkgruppe denken, die diesem Buch den Titel gibt: »Pop ist tot«. Sie lehnten zwar die Kommerzialisierung ab, hätten aber auch gerne etwas mehr vom großen Kuchen abbekommen. Spätestens nachdem der Drummer der Band als Gespenst der Vergangenheit auftaucht, wird dieser Konflikt wieder offenbar.

Der Rest ist Geschichte - im wahrsten Sinne des Wortes. Denn der nun einsetzende Road- und Buddymovie durch die Provinz, zu den alten Bandkollegen und auf Tour folgt den Mustern des Musik-Biopics. Nur noch eine Tour, Midlife-Crisis Galore! Dass der Punk-Lifestyle nicht für Männerkörper über 30 geschaffen ist, das ist von vornherein klar.

Mulitzers Erzählung wagt wenig in der Formgebung. Unterhaltung steht im Vordergrund: Berichte aus den Anfangstagen, retrospektive Verklärung, Alkohol- und Drogengeschichten - die Nostalgie wiegt so schwer, dass das Konstrukt stets unter der Last zu zerbrechen droht. Die launige Sprache der Pop-Literatur nimmt kein Blatt vor den Mund - kurz vorm Kontrollverlust greift jedoch immer die Stimme der Vernunft ein. Der Text teilt einem stets mit, wenn er zu macho wird. Mulitzers Trick ist so durchschaubar wie ehrenhaft: Es gibt eine Figur namens Ramona, die aus gutem Hause stammt, aber lieber Punk und Riot-Grrrls hört, macht und lebt. Sie ist im Zweifel jene, die darauf hinweist, wenn politisch unkorrekt gesprochen wird.

Umso mehr fällt auf, dass das Konservativste an diesem Roman tatsächlich die Erzählweise ist: Mulitzers »Pop ist tot« erfüllt schon fast in deutscher Gründlichkeit alle Aufgaben des österreichischen Tour-Tagebuchs. Da dürfen dann auch die Kritik an der Kommerzialisierung, der Neid auf die Erfolgreichen und selbstverständlich die missbilligende Auseinandersetzung mit dem heimischen Nationalismus nicht fehlen.

Dafür sieht man Bilder des östlichen Teils der ehemaligen K.-u.-K.-Monarchie, schön grau in grau gezeichnet. In Ungarn und im ehemaligen Jugoslawien ist die (Punk-)Welt immer noch ein wenig mehr in Ordnung als im neoliberalen Salzburg - oder gar in Wien. Für Mulitzer bleibt der Pfad des geringsten Widerstands gerade gut genug, »klare« politische Kante die in moderner, liberaler, urbaner Bürgerlichkeit mündet. Dass der Roman viel mehr hätte sein können, das beweist der Anfang des Buches. Mulitzer geriert sich hier als antiker Dichter-Sänger und macht das tatsächlich ansprechend: »Ein nie enden wollender Schlussakkord, der sich zur unerträglichen Marter auswächst. Seitdem verklingen die Echos unserer Heldentaten.«

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