Asymmetrien in der Klimadiplomatie

Geringen Einfluss auf die UN-Konferenzen hat bislang der Globale Süden. Für Umweltschützer von dort gilt das besonders - auch in Glasgow

»Visa und Quarantäneregeln sind ein Albtraum«, sagt Mitzi Jonelle Tan. Die 24-jährige Aktivistin von Fridays for Future aus den Philippinen wird trotz massiver Behinderungen zur UN-Klimakonferenz kommen, die am Sonntag in Glasgow beginnt. Ohne Unterstützung der international vernetzten Jugendbewegung, die für 55 Aktivistin aus vulnerablen Regionen des globalen Südens die Teilnahme organisiert, könnte sie die Reise wohl nicht antreten. Andere hätten ihre Pläne aufgegeben, berichtete Tan gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Die anhaltende Corona-Pandemie stellt den Gipfel vor besondere Herausforderungen. Eine derartige Massenveranstaltung mit Leuten aus aller Welt könnte zu einem Superspreading-Event werden. Im vergangenen Jahr wurde er gecancelt, in diesem Jahr geht er nun mit gewissen Sicherheitsmaßnahmen über die Bühne. In Großbritannien wurden die meisten Einschränkungen im Inneren zwar im Juli aufgehoben, aber Einreisebeschränkungen gibt es noch. Das schafft Probleme besonders für Menschen aus vielen Ländern des globalen Südens, die auch unabhängig von Corona nur schwer an ein Visum kommen. Wer aus einem Land einreist, das sich auf einer offiziellen roten Liste befindet, und ungeimpft ist, muss sich mindestens fünf Tage in ein teures Quarantänehotel begeben. Lange Zeit akzeptierten die britischen Behörden zudem Impfnachweise aus vielen Ländern nicht. Vor einigen Wochen wurde dies gelockert - gerade bei größeren Staaten wie Indien und Südafrika sind die Nachweise nun zulässig. Vor wenigen Tagen nahm die Regierung anlässlich des UN-Gipfels noch 37 Länder von der roten Liste, aber für Teilnehmer von dort, besonders Klimaaktivisten, war es kaum noch möglich, auf die Schnelle eine Reise zu organisieren.

Dies ist in der Pandemie nämlich äußerst kompliziert: Viele Flugstrecken werden nach wie vor nicht von den Airlines bedient. Xavier Matsutaro, Leiter der Behörde für Klimawandel des Pazifikstaates Palau und offizieller Delegierter seines Landes, legte kürzlich der »Financial Times« seinen Flugplan offen: Erst geht es nach Hawaii, dann weiter aufs US-Festland, von dort nach Frankfurt am Main, bevor endlich die Maschine nach Glasgow startet. Das ist nicht nur mühselig, sondern geht auch ins Geld. Während schon manche Regierungsvertreter armer Staaten überfordert sind, gilt dies für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) umso mehr.

Das Kostenproblem setzt sich bei den Unterkünften in der schottischen 600 000-Einwohner-Stadt fort, die rund 25 000 Konferenzteilnehmer beherbergen muss. Für eines der knappen Hotelzimmer muss man derzeit rund 1000 Pfund (knapp 1200 Euro) berappen - pro Nacht. Ein eigens für die Konferenz geschaffenes Portal, das in Glasgow günstige Schlafplätze vermittelt, konnte die Nachfrage nicht annähernd decken.

Ein weiteres Problem schien lange Zeit die Frage der Covid-Impfung zu sein. Vakzine sind bekanntlich in vielen Staaten des globalen Südens Mangelware. Daher kündigte die britische Regierung, auch zum Schutz der eigenen Bevölkerung, vor einigen Monaten an, in Kooperation mit den Vereinten Nationen Konferenzteilnehmer zu Hause impfen zu lassen. Norbert Nyandire von der Initiative Sustainable Environmental Development Watch aus Kenia berichtete, er habe auf diese Weise rechtzeitig eine Impfung bekommen. Er wisse aber von Kollegen, bei denen dies nicht der Fall gewesen sei oder die sich durch die hohen Kosten hätten abschrecken lassen. Geimpfte müssen sich übrigens unmittelbar nach der Einreise in Großbritannien einem PCR-Test unterziehen, den sie selbst im Voraus buchen müssen und der natürlich auch nicht umsonst ist.

Und so überlagert die global ungerechte Verteilung der Impfstoffe - viele arme Länder können nur einen Bruchteil der Bevölkerung impfen, während viele reiche Staaten gewaltige Überschussmengen horten - auch noch die UN-Klimakonferenz. Viele verzichten zudem auf die Teilnahme, weil sie sich keinem Infektionsrisiko aussetzen wollen: Die 7-Tage-Inzidenz in Großbritannien war zuletzt zwar etwas rückläufig, mit rund 435 je 100 000 Einwohnern liegt man aber weltweit nach wie vor ziemlich weit vorn. Glasgow steht mit gut 200 besser da, aber für manche Länder aus dem globalen Süden sind dies bisher unbekannte Größenordnungen.

Natürlich ermöglichen es die Gipfelgastgeber, die Veranstaltung aus der Ferne über Zoom zu verfolgen. Doch wie die Erfahrung mit unzähligen Klimakonferenzen zeigt, waren es oft Hinterzimmergespräche zwischen einzelnen Teilnehmern, in denen die Kompromisse formuliert wurden, welche die festgefahrenen Verhandlungen doch noch zu einem Ergebnis brachten.

Die Einflussmöglichkeiten des globalen Südens sind in Glasgow daher wohl noch geringer, als sie es früher schon waren. Und dies steht in krassem Kontrast zur Betroffenheit von den Klimawandelfolgen. Zahllose Studien in den vergangenen Jahren belegten, dass Hurrikane, Überschwemmungen und Dürren die oft bitterarmen Länder in den Tropen und Subtropen am stärksten treffen. Die Staaten tragen aber durch geringen Treibhausgasausstoß wenig zum Klimawandel bei. In einer neuen Untersuchung weist die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften darauf hin, dass bereits heute 30 Millionen Menschen von Flucht durch Naturkatastrophen betroffen seien und damit mehr als dreimal so viele wie durch Konflikte und Gewalt. Nicht alle, aber die meisten leben in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Die Naturgewalten treffen dort zudem auf schwache Finanzen. Geht es bei einer längeren Dürre in Deutschland ledig um die Frage, wann wie viel Sonderförderung an die Landwirte fließt, kommt es in armen Ländern oft zu Hungersnöten wie zuletzt im Osten und Südosten Afrikas, die viele Todesopfer in der ländlichen Bevölkerung fordern.

Daher hatte das Nord-Süd-Streitthema Geld bei allen Klimakonferenzen einen wichtigen Stellenwert und wird es auch in Glasgow haben. Das eine sind Mittel der Geberländer für Anpassungsmaßnahmen in armen Staaten, das andere ist die heiklere Frage der Kompensation für bereits entstandene Verluste und Schäden. Hier treten die Regierungen aus dem globalen Süden zeitweilig geschlossen auf - je nach Finanzlage aber mit unterschiedlicher Vehemenz. Bei anderen Fragen gibt es unter ihnen sogar scharfe Kontroversen. Für kleine Inselstaaten im Pazifik ist die Frage der Emissionsminderung, und zwar aller Länder, schlicht überlebensnotwendig. Viele Länder aus Lateinamerika, Afrika und Asien leben aber vom Verkauf von Rohstoffen und treten mit Blick auf eigene Reduktionsverpflichtungen auf die Bremse. Hin und wieder blockierten einzelne mit ihrem Veto sogar Gipfelergebnisse. Große Schwellenländer wiederum möchten ihre nachholende Entwicklung nicht durch allzu große Minderungsziele aufs Spiel setzen. Oft waren es spontane Bündnisse einzelner Staaten aus Nord und Süd, die für den Durchbruch sorgten. Das Klimaabkommen von Paris 2015 wiederum wäre ohne die damalige Kooperation von China und den USA nicht zustande gekommen.

Es sind daher eher Nichtregierungsorganisationen und Vertreter indigener Gruppen, die dafür sorgen, dass der Süden mit einer Stimme spricht. Nicht selten kämpfen sie im eigenen Land für mehr Klimaschutz und gegen umweltzerstörerische Projekte. Damit kommen sie aber wirtschaftlichen Interessen und korrupten staatlichen Stellen in die Quere. In autoritär geführten Länden werden sie sogar verfolgt, Aktivisten landen im Gefängnis, manche werden ermordet. Mit einer Unterstützung aus öffentlichen Mitteln, um an UN-Konferenzen in fernen Ländern teilzunehmen, können sie anders als NGOs aus dem Norden nur träumen. Und wenn sie von diesen Unterstützung erhalten, gelten sie zu Hause gleich noch als »ausländische Agenten«.

Dabei stärkt gerade die lautstarke Zivilgesellschaft die Verhandlungsposition auch der Regierungen des globalen Südens. Umso problematischer ist es, dass nach Schätzungen Tausende NGO-Vertreter nicht nach Glasgow kommen können, obwohl sie es gerne möchten. Ihnen bleibt daher nur, an die Gipfelteilnehmer zu appellieren: »Ich hoffe, dass die geringere Anwesenheit von NGOs jeden daran erinnern wird, dass es Stimmen gibt, die nicht vertreten sind«, sagt Li Shuo von Greenpeace China. »Ich habe seit 2010 keine UN-Klimakonferenz verpasst - Glasgow wird die erste sein.«

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