Alle Lieder toll und witzisch

Die Musikerin Françoise Cactus fehlt, unheimlich doll sogar. Nach ihrem Tod erscheint nun eine Sammelbox Mit Liedern ihrer Band Stereo Total.

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.

Die ersten zehn Jahre Stereo Total in einer Box, mit einem schönen Buch mit Zeichnungen von Stereo-Total-Sängerin Françoise Cactus. Es ist schon seltsam, die Box war schon länger geplant, wirkt jetzt, nach dem frühen Tod von Françoise Cactus im Februar dieses Jahres, wie ein monumentaler Schlusspunkt. Und dann hört man diese Stücke wieder und alles Monumentale verfliegt.

Die Musik ist, wie sie immer war, unheimlich »witzisch«, wie Cactus vielleicht gesagt hätte – und frei. »Mit Françoise habe ich die ganze Zeit gelacht«, hat Brezel Göring, der Partner von Cactus in der Kunst und im übrigen Leben auch, dem »Tip«-Stadtmagazin erzählt, und man glaubt es gleich.

Knapp hundert Lieder sind auf »Chanson Hysterique (1995–2005)« versammelt, alles da, was in dieser Zeit auf den Alben »Oh Ah«, »Monokini«, »Juke-Box Alarm«, »My Melodie«, »Musique Automatique« und »Do The Bambi« erschienen ist (dazu kommt noch die Compilation »Carte Postale And Other Rarities«): ein psychedelisches Liebeslied, in dem der Beat in Teilen von einer Schreibmaschine geklopft wird (»Dactylo Rock«); Chansonpunk (»Miau Miau«); herzwärmende Duette (»Belami« und »Jonny« zum Beispiel); eine Powerrock-Ballade (»Grand Prix Eurovision«); ein Lied über Distanzbedürfnisse (»Du bist schon von hinten / mit ein paar Metern Entfernung / Schön bist du im Nebel, wenn du gehen musst«); Orgeldiscotechno (»L›appareil A Sous«); leicht psychedelisches Gerumpel (»Supercool«); ein Cover der japanischen New-Wave-Band Plastics (»I Love You, Oh No« im Original, »I Love You, Ono« bei Stereo Total); frivole Lieder, die nicht schwiemelig klingen, weil die Texte lustig sind und der forcierte französische Akzent von Françoise Cactus alles charmant und lakonisch klingen lässt (»Liebe zu dritt« zum Beispiel, die hier im Lied als »sexy«, »animalisch«, »romantisch« und »kommunistisch« beschrieben wird). Und noch über achtzig Stücke mehr, alle toll und witzisch.

Einen Reim wie »Isch liebe disch Alexander, du bringst misch durscheinander«, das hat sonst keiner gemacht, und man fragt sich nach vier Stunden mit »Chanson Hysterique« warum nicht und wieso nicht alle in diesem zermürbenden Land einfach mit französischem Akzent singen. Oder gleich ganz auf Französisch. Wenn Françoise Cactus singt, verliert die deutsche Sprache alles potenziell Stählerne und klingt ungewohnt lebendig.

Über die Musik von Stereo Total wird im Gegensatz zu den Texten und dem Gesang selten geschrieben. Aber was Cactus am Schlagzeug und Göring an allen anderen Instrumenten zusammengebastelt haben, unterscheidet sich vom sonstigen Berliner Geniale-Dilletanten-Tum schon durch immensen Variantenreichtum. Punk-Methodik (alle können was, einfach machen) als Grundlage von Trash-Chansons, Lo-Fi-Experiment und musikalischer Niedlichkeit, die es aber hinter den Ohren hat, faustdick. Die Musik fiept, stolpert und orgelt quietschfidel, man tanzt im Viereck und wedelt mit den Ärmchen durch die Luft. Wo die Musik von Stereo Total erklingt, wird das Leben leicht.

Stereo Total: »Chanson Hysterique (1995–2005)« (Tapeterecords)

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