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  • »Der endlos tippende Affe«

Im Dschungel des Kapitals

Am E.T.A.-Hoffmann-Theater Bamberg wurde Björn SC Deigners Bühnenstück »Der endlos tippende Affe« zur Uraufführung gebracht

Björn SC Deigners Theaterstück »Der endlos tippende Affe« veranschaulicht die Degradierung des Menschen zum Primaten in einer vom Kapital getriebenen Welt.
Björn SC Deigners Theaterstück »Der endlos tippende Affe« veranschaulicht die Degradierung des Menschen zum Primaten in einer vom Kapital getriebenen Welt.

Geht man dieser Tage ins Theater, muss man mancherorts betrübliche Déjà-vus durchleben. In Bayern etwa, wo die Corona-Inzidenzwerte in die Höhe geschnellt sind, sind die Zuschauersäle bereits wieder fast wie leergefegt. Aber nur fast. Denn unter 2G-plus-Auflagen und bei Berücksichtigung der Maskenpflicht ist eine Auslastung von einem Viertel der Publikumsplätze noch erlaubt. »Noch«, das sagen die Theatermacher hier leise, gleichermaßen in desillusionierter Dankbarkeit und mit längst vertrauter Angst vor dem, was kommen mag. In Österreich ist schließlich schon gar nicht mehr an ein öffentliches Kulturleben zu denken, ebenso wenig in Sachsen.

Am vergangenen Mittwoch konnte »Der endlos tippende Affe«, ein Auftragswerk, das der Dramatiker Björn SC Deigner für das Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theater geschrieben hat, zur Uraufführung kommen - wenn auch für ein notwendigerweise sehr exklusives Publikum. Deigner, der nicht nur als Autor, sondern auch als Theatermusiker und Hörspielmacher tätig ist, hat sich in Oberfranken - und darüber hinaus - bereits einen Namen gemacht. 2019 wurde in Bamberg mit »Der Reichskanzler von Atlantis« eine absurd-komische Annäherung an das Phänomen Reichsbürger aus seiner Feder gezeigt. Im vergangenen Herbst hatte sein Stück »Die Polizey«, eine für die Bühne in Worte gefasste Abrechnung mit der Institution Polizei auf Grundlage des Schiller’schen Fragments mit gleichlautendem Titel, dort Premiere.

Was aber verbirgt sich hinter dem Titel des jüngsten Stücks von Deigner? Die Formulierung vom endlos tippenden Affen geht auf ein Theorem aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung zurück, das besagt, dass ein Affe, den man vor eine Schreibmaschine setzt und der dort eine unendliche Zeit verbringt, zu einem bestimmten Zeitpunkt zufällig sämtliche Werke der Nationalbibliothek Frankreichs getippt haben wird. Der Sinn generiert sich gewissermaßen selbst und ist keine Frage eines zielgerichteten Vorgehens.

Diese durch und durch theoretische Annahme bleibt an diesem Theaterabend nicht abstrakt, sondern sie führt über Wort- und Gedankenketten zu Fragen von nicht zu leugnender gesellschaftlicher Bedeutung. Welche Art Affe ist der Mensch, und was lässt ihn Mensch werden? Ist er - sind wir - ein Homo laborans, wie ein gewisser Karl Marx ihn beschrieben hat, ein Mensch also, der sich als arbeitendes Wesen definiert?

Aber arbeiten, das kann auch ein Affe, als Schreibkraft etwa, wie uns das Gedankenexperiment eröffnet. Eines zielgerichteten Arbeitens bedarf der Mensch, es stellt sich die Frage nach dem Sinn zu einer Zeit der, religiös wie unreligiös, vom Glauben befreiten Existenz. Und plötzlich ist nicht mehr klar, ob es nach den Ewigkeiten, die es bis zur Menschwerdung brauchte, nicht der Kapitalismus ist, der den Menschen wieder zum äffischen Wesen werden lässt.

Oder ist es gerade umgekehrt, und der Mensch braucht, um Mensch sein zu können, die Befreiung vom Sinn? Mit diesem Gedanken hält ein weiteres Feld Einzug in das Bühnenstück. Ganz nebenbei wird hier ein leises Loblied - wann wäre es schon mal notwendiger gewesen? - auf das Theater gesungen, wo man sich mit etwas Glück, so zumindest der Traum, den allgemein durchgesetzten Produktionsbedingungen einer neoliberalisierten Welt widersetzen kann und nur den eigenen Regeln der Kunst zu folgen hat.

Mit den Figuren Kurt Schwepper - grüßt hier der Nonsens-Künstler und Dada-Pionier Kurt Schwitters um die Ecke? -, Lina und der Roman sowie jeder Menge Wortwitz umkreist Deigners Text also große Themen, ohne schwerfällig zu werden. »Wenn alle Arbeiter der Welt befreit werden sollen, aber keiner mehr arbeitet, sind dann schon alle befreit oder ist man einfach zu spät dran?«, heißt es zu Beginn. Vor leichtfüßigem Witz schreckt es den Autor nicht.

Die Regisseurin Mirjam Loibl hat sich in einer straffen, 70-minütigen Inszenierung des Stücks angenommen. Ein junges Schauspieltrio, bestehend aus Antonia Bockelmann, Anton Dreger und Marie-Paulina Schendel, führt temporeich durch den Abend. Schnelle Szenenwechsel und Lust am Spiel sind hier zu sehen.

Auf der Bamberger Studiobühne, auf der häufig deutschsprachiger Gegenwartsdramatik zu ihrem Recht verholfen wird, befindet sich ein übergroßer, begehbarer Kasten (Bühne und Kostüme: Thilo Ullrich), der die naheliegende Assoziation zum Affenkäfig weckt und durch seine Spiegelfunktion im Zuschauer auch die Frage aufkommen lässt, wer hier eigentlich das Tier im Zoo ist: Sind es die Darsteller da vorne mit ihren Dialogen zwischen äffischer Behauptung und philosophiedurchsetztem Tiefgang? Oder sind wir es, die im Zuschauersaal sitzen mit sturem, schweigsamem Blick nach vorn? »Der Affe ist dem Menschen unheimlich nah. Oft trennt beide lediglich eine Scheibe«, heißt es im Text.

Die drei Darsteller bespielen aber zumeist den Raum vor der Bühne und stellen so Nähe zum Publikum her. Mit Live-Video-Einspielungen und Referenzen an die Kultserie »Twin Peaks«, mit allerhand Sprachakrobatik und popmusikalischer Einlage ist die Inszenierung keineswegs arm an Einfällen - und doch mangelt es ihr deutlich an einem entschiedenen Zugriff auf das Stück.

Allzu sehr wird der Text nur proklamiert, dabei werden aber keine Bilder gefunden, die den Mut beweisen, auch Kontraste zu setzen und damit eine weitere inhaltliche Ebene eröffnen zu wollen. Die Inszenierung eines Stücks, das nach dem Sinn fragt in einer überkomplexen und gleichsam primitiven Welt und dabei sprachlichen Unsinn spielerisch in Kauf nimmt, hätte mehr Wildheit gebraucht, statt nur brav Text aufsagen zu lassen. Und so bleibt die szenische Umsetzung auch hinter dem humoristischen Potenzial zurück, das die Vorlage durchaus geboten hätte.

»Sehr geehrtes Publikum. Sie sind heute das Publikum, was bedeutet, dass Sie auf dieser Seite der Bühne sitzen - soviel dazu«, hört man von der Bühne her. So war es und so ist es im Theater, solange dort gespielt werden darf. Auch ein Lockdown wird nicht ewig dauern. Und so verlassen dann Affen und Menschen an diesem Premierenabend Bühne und Zuschauersaal.

Nächste Vorstellungen: 1., 3., 9. und 15.12.

theater.bamberg.de

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