»Alle kochen weiterhin«

Was essen Diktatoren? Und wie geht es ihren Köchen? Witold Szabłowski hat in die historischen Küchen geschaut

  • Interview: Frank Willmann
  • Lesedauer: 7 Min.

Herr Szabłowski, Sie sind viele Jahre um die Welt gereist, um die Köche und Köchinnen von Diktatoren zu interviewen. Und zwar quer durch den politischen Gemüsegarten - von links bis rechts und öfter auch wahnsinnig. Was war dabei Ihr persönlicher Antrieb?

Ich wäre fast selbst Koch geworden. Vor vielen Jahren lebte ich einige Zeit in Kopenhagen, wo ich in nur acht Monaten vom Tellerwäscher zum stellvertretenden Küchenchef in einem schicken Restaurant aufstieg. Dann wechselte ich zum Journalismus und schrieb Bücher, aber die Zeit des Kochens ist mir immer im Kopf geblieben. Ich wollte ein Buch schreiben, um zu zeigen, dass es bei wichtigen politischen Ereignissen wie Kriegen und Revolutionen auch Köche gibt. Und dass sie auch versuchen, die Realität zu gestalten. Und manchmal gelingt ihnen das auch.

Interview

Witold Szabłowski, ein Warschauer Journalist, Jahrgang 1980, hat das Buch »Wie man einen Diktator satt bekommt« im Katapult-Verlag veröffentlicht. Er erspart den Lesenden keine Bitternis, schafft es aber trotzdem, über schmackhafte Speisen und dramatische Ereignisse voller Wärme und nicht ohne Witz zu berichten. Szabłowski arbeitete als Koch in Kopenhagen und wurde mit 25 Jahren Auslandsreporter für polnische Tageszeitungen.

Für seine Reportagen wurde er mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Journalistenpreis des Europäischen Parlaments und dem englischen PEN-Preis. Auch wurde er für den Nike-Preis, Polens renommierteste Literaturauszeichnung, nominiert.

Nach welchen Kriterien haben Sie diese Köch*innen ausgewählt?

Ich wollte, dass mein Buch »Wie man einen Diktator satt bekommt« ein Panoramablick auf die Geschichte ist, sowohl auf politischer als auch auf kulinarischer Ebene. Deshalb wollte ich die Köche und Diktatoren aus allen Kontinenten, allen Küchentraditionen und allen Jahrzehnten einbeziehen.

Was für Eigenschaften mussten diese Köch*innen mitbringen, um für Diktatoren kochen zu können oder zu dürfen?

Sie mussten loyal und vertrauenswürdig sein und zumindest ein paar Kochkünste drauf haben. (lacht) Die persönliche Köchin von Pol Pot beispielsweise konnte nicht wirklich kochen, aber sie war loyal. »Bruder Nummer Eins« mochte sie und so wurde sie seine Köchin. Der Chefkoch von Fidel Castro schloss sich der Revolution als Teenager an und wurde zunächst Leibwächter von Che Guevara, dann wechselte er zu Fidel. Und da er bei Fidel immer Hunger hatte, begann er für beide zu kochen. Das war sein Weg, ein natürlicher, würde ich sagen. Abu Ali, der Chefkoch von Saddam Hussein, war dagegen in den 70er Jahren der beste Koch des Irak. Und Saddam wollte nur die besten Dinge und das beste Personal für sich.

Wie schafft man es, diese loyalen Menschen zum Reden zu bringen?

Ich musste einfach sehr hartnäckig sein und durfte nicht aufgeben. Ich habe so lange an ihre Türen geklopft, bis sie sich öffneten. Im Extremfall, bei Saddam Husseins Koch, habe ich dafür drei Jahre gebraucht. Abu Ali versteckte sich, als die US-Amerikaner Bagdad eroberten, mit gefälschtem Ausweis und unter falschem Namen. Er hat sich bestimmt nicht träumen lassen, dass ein seltsamer polnischer Journalist ihn findet. (lacht)

Wenn man mit ihnen redet, muss man verstehen, dass diese Menschen unter einem Trauma lebten. Sie könnten sozusagen schon viele Tode gestorben sein, deshalb haben sie in der Regel eine posttraumatische Belastungsstörung. Man kann nicht einfach zu ihnen gehen und direkte Fragen stellen. Es braucht Zeit, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, das war entscheidend.

Für jeden dieser Köche nahm ich mir mindestens zehn Tage Zeit, manchmal auch drei Wochen. Und mit jedem von ihnen habe ich zusammen gekocht. Das ist der beste Weg, einen Koch zu interviewen: mit ihm (oder ihr) kochen.

Haben Sie mit den Köch*innen die Lieblingsspeisen der Diktatoren gekocht? Und hat es geschmeckt?

Natürlich war es gut, denn sie sind professionelle Köche. Aber ich verlangte immer, genauso zu kochen, wie sie für ihre Chefs auch gekocht haben. Und so war die Suppe für Idi Amin versalzen, weil er sie so mochte. Und das Essen von Pol Pot war Khmer, aber auf thailändische Art gekocht, mit Fischpaste, weil dieser kommunistisch-nationalistische Führer die Küche seines Landes nicht wirklich mochte.

Wie reagierten Ihre Protagonisten auf die politischen Gewalttaten und Morde ihrer Chefs? Versuchten sie, irgendwie Einfluss zu nehmen?

Nein, sie haben sich nicht in die Politik eingemischt. Der Chefkoch von Enver Hoxha aus Albanien übernahm den Posten, nachdem ein anderer Koch beschuldigt worden war, den Diktator vergiften zu wollen, er wurde direkt aus der Küche in den nahe gelegenen Wald gebracht und dort erschossen. Wenn man an einem solchen Ort arbeitet, denkt man nur daran, ihn unbeschadet zu verlassen.

Haben die Köch*innen jemals darüber nachgedacht, dem finsteren Treiben des jeweiligen Diktators durch Vergiften ein Ende zu setzen?

Vielleicht haben es einige getan, aber ich glaube nicht, dass sie das überlebt haben. Alle Diktatoren hatten Vorkoster, Fidel hatte sogar ein spezielles Labor mit Röntgenstrahlen und chemischen Tests. Als der Geheimdienst Medikamente für Enver Hoxha kaufte, der Diabetiker war, waren zwölf Agenten im Einsatz, nur um sicherzugehen, dass niemand versuchen würde, ihn zu vergiften. Ich glaube also nicht, dass es möglich gewesen wäre, sie auf diese Weise zu töten.

Wie war das Verhältnis der Köch*innen nach dem Sturz der Diktatoren zu ihrer einstigen Klientel? Waren sie noch immer stolz auf ihre Diktatoren, oder war ihnen ihr einstiger Job unerträglich? Kochten sie noch?

Ja, sie alle haben danach weiter gekocht, denn das war (und ist) das einzige Handwerk, das sie beherrschen. Einige von ihnen eröffneten schicke Restaurants, wie Erasmo, der Chefkoch von Fidel. Andere kochen für Bauarbeiter, wie Mico, der Chefkoch von Enver Hoxha, aber sie alle kochen weiterhin.

Was ihre Beziehung zu den Diktatoren angeht, haben sie erstaunliche Lebensgeschichten. Und das ist es, worauf sie versuchen, sich zu konzentrieren. Der Chefkoch von Idi Amin hat mir erzählt: »Ich stamme aus extrem armen Verhältnissen, 13 meiner Geschwister sind gestorben, weil meine Eltern kein Geld hatten, um sie zu ernähren oder sie richtig zu behandeln, wenn sie krank wurden. Können sie sich vorstellen, dass ein Junge aus einer solchen Familie Chefkoch des Präsidenten wird?«

Die meisten der von Ihnen diskutierten Diktatoren kann man getrost als Massenmörder bezeichnen. Wie haben die Köch*innen diese Tatsache psychisch verarbeitet, zum Beispiel die berüchtigten »Killing Fields« in Kambodscha?

Wenn du Knochen unter deinen Füßen siehst, versuch einfach, zu den Wolken zu schauen - das haben sie getan. Sie waren oft selbst dem Tod nahe, und ich glaube nicht, dass sie viel hätten tun können. Sie waren ein kleines Rädchen in den Tötungsmaschinen. Aber damit müssen sie leben, das ist wahr.

Zeichneten sich die Speisepläne der Diktatoren durch Extravaganz aus? Wie gesund ernährte sich zum Beispiel Saddam Hussein?

Ziemlich gesund. Zumindest hat er es versucht. Er neigte zu Übergewicht, also hielt er die Hälfte seines Lebens strenge Diäten ein. Er liebte Fisch, besonders Mazgouf, einen Fisch, den man nur im Irak findet. Amerikanische Agenten haben ihn in diesem Loch in der Nähe von Tikrit entdeckt, weil sie alle Läden beobachteten, die Mazgouf verkauften. Davon gab es etwa 20 im ganzen Land. Sie wussten, dass Saddam ohne diesen Fisch nicht leben kann.

Ist ein Diktator am Ende des Tages auch nur ein Mensch, der liebt und geliebt werden möchte?

Um ein Diktator zu werden, muss man sicherlich einige grundlegende emotionale Defizite haben. Alle Diktatoren aus meinem Buch hatten ein sehr kompliziertes Verhältnis zu ihren Vätern oder gar keinen Vater und verhielten sich, als ob sie etwas zu beweisen hätten. Wenn es stimmen sollte, dass sie auf eine merkwürdige Art nur geliebt werden wollten, dann haben sie diese Liebe jedenfalls auf schreckliche Weise gesucht.

Finden Sie persönlich Diktatoren faszinierend? Und mögen Sie Revolutionen?

Als ich elf Jahre alt war, gab es 200 Kilometer entfernt von der kleinen polnischen Stadt, in der ich lebte, Ostrow Mazowiecka, ein wichtiges Treffen. Herr Jelzin, Herr Krawtschuk und Herr Schuskiewitsch, Kommunisten aus Russland, Belorussland und der Ukraine, trafen sich mitten in einem Wald, um die Verträge zu unterzeichnen, die das Ende der Sowjetunion einleiteten. Ich erinnere mich, dass ich als Teenager von dieser Tatsache fasziniert war. Ich fand eine Köchin, die damals dort kochte - sie bereitete sozusagen das letzte Abendmahl der UdSSR zu. Mein nächstes Buch handelt von Köchen in Russland. Vielleicht faszinieren mich nicht unbedingt Revolutionen, aber auf jeden Fall politische Veränderungen. Und die Menschen dahinter.

Welche der Diktatorenspeisen hat das Zeug zu Ihrem Lieblingsgericht?

Die Fischsuppe der Familie Saddam Husseins, denn sie vereint alles, was ich liebe: Fisch, Aprikosen und orientalischen Geschmack. Aber die Suppe meines Lebens war die Hühnersuppe meiner Großmutter. Leider ist sie verstorben und hat das Rezept mit ins Grab genommen. Doch sie hat mir viel darüber beigebracht, wie man Gefühle durch Kochen ausdrückt.

Witold Szabłowski: Wie man einen Diktator satt bekommt. A. d. Poln. v. Paulina Schulz-Gruner. Katapult Verlag, 320 S., geb., 24 €.
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