Die soziale Frage mitdenken

Klaus Ernst sagt, dass seine Klimaschutzforderungen noch über das Linke-Programm hinausgehen

Klaus Ernst – Die soziale Frage mitdenken

Die Linksfraktion kann nur den Vorsitzenden eines Bundestagsausschusses stellen. Sie sind von ihr für die Leitung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie aufgestellt worden und seit Mittwoch Chef dieses Gremiums. Um Ihre Wahl gibt es seit der vergangenen Woche heftige Kontroversen. Verstehen Sie den Ärger vieler Genossinnen und Genossen darüber, dass gerade Sie dieses Amt übernehmen?

Interview

Klaus Ernst ist seit 2005 Mitglied des Bundestages. 2004 gehörte der damalige IG-Metall-Funktionär zu den Gründern der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit, die 2007 mit der PDS zur Partei Die Linke fusionierte. Von 2010 bis 2012 war deren Kovorsitzender.

Am 14. Dezember wurde der 67-Jährige von der Linksfraktion als Vorsitzender des Ausschusses für Klima und Energie nominiert und im Ausschuss selbst einen Tag darauf auch von den Mitgliedern der anderen Parteien in dieses Amt gewählt. In der Linken und in der Klimabewegung hatte seine Nominierung Ende vergangener Woche für Unmut gesorgt. Einen offenen Brief dagegen unterzeichneten bis zum Dienstag rund 11 000 Parteimitglieder und Aktive der Klimaschutzbewegung.

Man darf auch in der Klima- und Energiepolitik nicht vergessen, dass es unterschiedliche Sichtweisen gibt. Da gibt es die einen, die am liebsten den Schalter umlegen wollen, um sofort klimaneutral zu sein - eine durchaus verständliche Position. Andere sehen durch die notwendigen Umbrüche ihre Arbeitsplätze gefährdet, sehen Risiken für ihre künftige Mobilität und fürchten hohe Preissteigerungen für Energie. Klimapolitik wird nur gelingen, wenn diese unterschiedlichen Interessen berücksichtigt und zusammengeführt werden. Der Anspruch einiger, der Vorsitzende des Ausschusses für Klimaschutz und Energie dürfe nur eine dieser Seiten vertreten, ist falsch. Mein Anspruch ist, konsequente Klimapolitik so zu betreiben, dass die berechtigten Ängste der abhängig Beschäftigten eingebracht werden. Das verstehe ich unter wirklicher sozial-ökologischer Transformation.

Es gibt in der Linkspartei längst umfangreiche Konzepte, wie die verschiedenen Interessen zusammengebracht werden können, zum Beispiel den Aktionsplan Klimagerechtigkeit der Bundestagsfraktion von Anfang 2020. Fühlen Sie sich daran und an das Wahlprogramm der Linken gebunden? Zu dessen Zielen gehören Klimaneutralität bis 2035 und der Ausstieg aus der Erdgasverstromung und -förderung ...

Selbstverständlich gilt das Wahlprogramm der Linken. In der Fraktion haben wir uns übrigens für die Nutzung der Erdgasleitung Nord Stream 2 ausgesprochen, wie auch unsere Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern. Es wäre doch Unfug, eine fertige Pipeline zu haben, die nicht genutzt wird, obwohl bei uns der Gaspreis steigt und wir leere Gasspeicher haben. Die Alternative wäre, teures, umweltschädlicheres Fracking-Gas aus den USA zu beziehen. Aber selbstverständlich ist meine Position, dass wir klimaneutral werden müssen und Erdgas nur noch als Übergangstechnologie nutzen.

Meine Vorstellungen gehen teilweise sogar über das Programm hinaus. Zum Beispiel müssen wir uns darum kümmern, dass die Bestandsflotte von aktuell rund 1,3 Milliarden Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor in der Welt ebenfalls klimaneutral wird. Auch diese Fahrzeuge müssen CO2-neutral fahren, zum Beispiel über E-Fuels. Das sind Kraftstoffe, die klimaneutral hergestellt werden. Meine grundsätzliche Position ist aber, dass wir bei all dem die Interessen und Sorgen der Beschäftigten berücksichtigen müssen. Wir müssen also über CO2-Neutralität hinaus möglichst viele Arbeitsplätze erhalten, neu schaffen und damit die Existenzgrundlage der Menschen in unserem Land erhalten.

Aber darüber besteht doch gar kein Dissens innerhalb der Linken.

Doch. Weil ein Teil derer, die sich in dieser Debatte sehr stark engagieren, diese Fragen der technischen Lösungen, die auch dazu führen, dass viele Arbeitsplätze erhalten bleiben, nicht immer in der Deutlichkeit berücksichtigt, die notwendig ist.

Sie haben unmittelbar nach der Bundestagswahl gesagt, die Linke habe so schlecht abgeschnitten, weil sie grüner als die Grünen sein wollte. Aber wird sie nicht gerade gebraucht, weil sie nicht nur Klimaschutz, sondern vor allem Klimagerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt, während die Grünen im Kern nur für Ersteres stehen?

Wenn eine Partei, deren Schwerpunkt die Sozialpolitik ist, in einem Feld Punkte machen will, das eine andere Partei schon besetzt, dann kommt das in der Regel der anderen Partei zugute. Und tatsächlich haben die Grünen gewonnen, wir haben verloren. Womit ich keinesfalls meine, dass wir den Klimaschutz nicht wichtig nehmen sollten. Uns muss es darum gehen, die Interessen der abhängig Beschäftigten, der Rentner oder auch der Erwerbslosen in die Klimapolitik einzubringen. Sie darf nicht nur über den Preis für Sprit und Heizung geregelt werden.

Im Ausschuss für Klima und Energie geht es nun darum, dass wir als Linke tatsächlich eine Politik betreiben, die eine Reduzierung der Kohlendioxidemissionen bringt. Wir müssen aber gleichzeitig verhindern, dass vor allem die abhängig Beschäftigten über steigende Preise die Energiewende finanzieren müssen. Das betrachte ich als entscheidende Aufgabe der Linken in der Klimapolitik. Dann wissen unsere Mitglieder und potenziellen Wähler auch wieder, was sie an uns haben.

Sehen Sie Ihre Aufgabe in diesem Ausschuss auch darin, den Dialog mit Linken zu suchen, die sich in der Klimaschutzbewegung engagieren?

Als Ausschussvorsitzender werde ich selbstverständlich mit allen reden - mit Gewerkschaften genauso wie mit Fridays for Future oder wem auch immer. Mir kommt es darauf an, gegenseitiges Verständnis zu entwickeln.

Während der Internationalen Automobilausstellung IAA in München haben Klimabewegte zusammen mit Arbeitern des Autozulieferers Bosch und der IG Metall Vorschläge entwickelt, wie eine Werksschließung durch ökologische Konversion der Produktion verhindert werden kann. Dagegen haben Sie die Klimaproteste auf der IAA pauschal scharf kritisiert. Sind Projekte wie das genannte nicht Grund genug, mit der Klimabewegung zusammenzuarbeiten?

Selbstverständlich begrüße ich die Initiativen bei Bosch. Die Proteste von Fridays for Future sind etwas ganz anderes. Denn auf der IAA wurde genau das ausgestellt, was im Ergebnis ein Teil des ökologischen Umbaus sein muss, denn dort hat die Elektromobilität beim Kraftfahrzeug und auch beim Fahrrad eine zentrale Rolle gespielt. Und es ging darum, Beispiele zu zeigen, was man mit Wasserstoff betreiben kann, im Lkw- und im Pkw-Bereich. Die Beschäftigten in der Automobilindustrie haben die Proteste so empfunden, dass sie sich gegen ihre Produkte, gegen ihre Arbeitsplätze und damit letztendlich gegen ihre Existenz richteten. Genau dann ist der sozial-ökologische Wandel nicht mehr sozial. Auch die Klimabewegung muss ein Verständnis dafür entwickeln, dass es im Interesse des Klimaschutzes und der Beschäftigten ist, dass die Produktion auf genau solche Produkte umgestellt wird. Solche Ausstellungen fördern den Verkauf von transformierten Produkten und sichern damit gleichzeitig Arbeitsplätze.

Aber die IAA ist doch nur eine Schaufensterveranstaltung einer allein auf den Profit orientierten Industrie, die ohnehin seit Langem den Abbau Hunderttausender Jobs plant. Die Linke fordert deshalb, dass diese sich an der Finanzierung alternativer Arbeitsmöglichkeiten beteiligen muss.

Wie jede Industrie im Kapitalismus ist auch die Automobilindustrie auf die Erzielung von Profit ausgerichtet. Wir können mit Klimapolitik jedoch nicht warten, bis der Kapitalismus durch Sozialismus ersetzt wurde. Deshalb brauchen wir praktikable Konzepte für das Hier und Heute. Die Autoindustrie ist dabei, auf den Bau von Elektrofahrzeugen umzustellen. Die werden aber nur dann ein Erfolg für die Beschäftigten, wenn sie auch verkauft werden. Und genau dazu dient eine Ausstellung wie die IAA. Gegen Beschäftigungsabbau müssen wir uns zusammen mit den Gewerkschaften und Klimaaktivisten entschieden zur Wehr setzen.

Aber Individualverkehr mit etwas klimafreundlicherem, aber ebenfalls enorme Ressourcen verbrauchendem Antrieb wird nicht reichen, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.

Ich sagte ja schon, dass wir darüber nachdenken müssen, wie wir den Fahrzeugbestand CO2-frei bekommen. Darüber hinaus bin ich dafür, in den Städten und in ihrem Umland über ganz andere Verkehrssysteme nachzudenken, die im Ergebnis weniger Autoverkehr bedeuten. Und selbstverständlich müssen wir den schienengebundenen Verkehr ausbauen. Der muss attraktiv und zu vernünftigen Tarifen verfügbar sein. Aber die Nutzung des Autos darf sich für Pendler so lange nicht verteuern, wie es noch keine guten Alternativen dazu gibt.

All das ist doch unstrittig in der Linken.

Nein, das alles ist keineswegs Konsens. Gerade in der Kampagne gegen meine Wahl zum Ausschussvorsitzenden wurde ja erklärt, dass durch meine Positionen Klimaschutz verhindert werden würde. Viele von denen, die den offenen Brief unterzeichnet haben, sehen eben nur die ökologische Frage und vernachlässigen dabei Interessen derer, die in der Klimapolitik berücksichtigt werden müssen. Gerade dieser offene Brief hat mir den Eindruck vermittelt, dass Klimaschutz in der Linken anscheinend nicht automatisch mit den Interessen der abhängig Beschäftigten zusammengedacht wird. Genau dazu möchte ich beitragen.

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