Gesundheit solidarisch finanzieren

Linke-Politikerin Kathrin Vogler will mehr soziale Gerechtigkeit auch in der Pandemiebekämpfung

Als kürzlich im Bundestag zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht abgestimmt wurde, hat sich die Linke weitgehend enthalten. Welche Positionen stecken dahinter?

Insgesamt war das Thema eingebettet in einen Gesetzentwurf mit vielen Teilen, den man, wenn man ernsthaft das Anliegen der Pandemiebekämpfung verfolgt, nur zustimmen konnte. Was uns aber fehlte, war die Verknüpfung mit der Sonderprämie für Menschen in Pflegeberufen. Deswegen haben wir dazu einen eigenen Änderungsantrag eingebracht, dem die Mehrheit leider nicht folgte. Es ist absurd, dass ein derart umfangreicher Gesetzentwurf gemacht, innerhalb von vier Tagen durchs Parlament gebracht wird und dann ein so wichtiger Baustein nicht vorgesehen ist.

Kathrin Vogler
Kathrin Vogler ist im neuen Bundestag Obfrau der Fraktion Die Linke im Gesundheitsausschuss. Die 58-jährige Politikerin war bereits 2015 bis 2017 gesundheitspolitische Sprecherin, in der letzten Legislaturperiode lag ihr Schwerpunkt in der Außen- und Friedenspolitik. Ulrike Henning sprach mit ihr über Schwerpunkte linker Gesundheitspolitik.

Hinzu kommen unterschiedliche Auffassungen zur Impfpflicht in der Fraktion?

Ja. Es gibt Leute, die einer Impfpflicht grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen, eher eine Minderheit. Der großen Mehrheit der Fraktion ging die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht weit genug. Auch in einer Anhörung des Gesundheitsausschusses war gesagt worden, dass es nicht unbedingt konsistent ist, diese Impfpflicht nur für Einrichtungen des Gesundheitswesens, der Altenpflege und der Behindertenhilfe zu machen. Auch in Kitas, Schulen und Jugendeinrichtungen wird mit Personen gearbeitet, die zum großen Teil noch gar nicht geimpft sind und die deshalb besonders schutzbedürftig sind. Eine sehr große Gruppe der Fraktion will in Richtung einer allgemeinen Impfpflicht diskutieren. Weil wir das für einen wesentlichen Hebel zur Begrenzung der Pandemie und der damit verbundenen Grundrechtseinschränkungen für viele Menschen halten.

Was ist in Sachen Impfpflicht - etwa angesichts tatsächlich verfügbarer und ausreichend wirksamer Vakzine - gerade überhaupt möglich?

Uns ist auch klar, dass das voraussetzungsreich ist. Ein solches Verfahren muss sehr viel sorgsamer parlamentarisch und öffentlich begleitet werden als das jetzt gemacht wurde. Im Moment haben wir eher das Problem, dass in den Orten bei den Gesundheitsämtern nicht genug Impfstoff zur Verfügung steht. Und dass die Menschen teils lange anstehen oder vergeblich versuchen, einen Termin zu ergattern. Wenn der Staat die Bürger verpflichtet, wäre die Grundvoraussetzung, dass er zunächst die Bedingungen dafür schafft, dass sie dieser Pflicht auch nachkommen können. Wir wissen alle noch nicht, was jetzt mit Omikron auf uns zukommt. Die Politik muss deutlich vorausschauender handeln als bisher.

Könnte der neue Expertenbeirat der Bundesregierung dazu beitragen?

Wir hatten als Linke mit einem Gesetzentwurf ebenfalls einen Pandemierat gefordert. Grundsätzlich ist die Einrichtung gut. Was fehlt, ist pflegewissenschaftliche Kompetenz. Ich weiß nicht, ob der Auftrag, den der Beirat bekommen hat, wirklich erfüllbar ist. Vielleicht verständigen sie sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, statt alle Optionen, die man zur Pandemiebekämpfung hätte, auch kontrovers nebeneinander zu stellen, damit die Politik dann entscheiden kann. Es befreit andererseits nicht von der Verantwortung, politische Entscheidungen zu treffen, wenn man nur Vertreter unterschiedlicher Fachbereiche und Auffassungen zusammenbringt.

Welche Schwerpunkte setzt Die Linke für die Gesundheitspolitik der nächsten vier Jahre, auch über die Pandemiepolitik hinaus?

Für uns steht die Frage der sozialen Gerechtigkeit und des Zugangs aller zu allen Therapien und gesundheitsbezogenen Leistungen ganz vorn. Im Fall der Pandemiebekämpfung haben wir mit Erschrecken festgestellt, dass die alte Bundesregierung nichts weiß über den Sozialstatus der an Covid-19 Gestorbenen. Das ergab eine Antwort auf eine kleine Anfrage meinerseits. Dass man diese Daten erhebt, wäre eine Voraussetzung für gezielte Präventionspolitik. Wir wissen zwar um die Gefährdung von Menschen in Alten- und Pflegeheimen, wir wissen aber nichts darüber, wie viele der Verstorbenen welchen Berufsgruppen angehört haben, oder ob sie privat oder gesetzlich versichert waren. Es ist allerdings aus Studien und Beobachtungen sehr gut bekannt, dass die Pandemie genau wie andere Gesundheitsgefährdungen insbesondere Menschen in sozialen Notlagen oder mit geringem Einkommen besonders trifft und belastet. Auch die Vorerkrankungen, die relevant sind für schwere Verläufe, sind eng verbunden mit niedrigem Sozialstatus, mit geringen Einkommen.

Auf welche der vielen Aspekte aus dem eigenen Wahlprogramm will sich Die Linke im Bundestag konzentrieren?

Die Frage einer solidarischen Finanzierung des Gesundheitswesens steht ganz oben auf der Agenda. SPD und Grüne hatten beide unterschiedliche Konzepte von Bürgerversicherung für Gesundheit und Pflege in ihren Wahlprogrammen - im Koalitionsvertrag taucht davon nichts auf. Auf der anderen Seite hat Karl Lauterbach als neuer Gesundheitsminister als erstes gesagt, er wolle keine Leistungskürzungen. Bei einem Defizit von 28 Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung kann das dauerhaft nur gehen, wenn man einen Systemwechsel anstrebt - auch, weil ab 2023 die Schuldenbremse wieder greift. Man kann Steuerzuschüsse in den Gesundheitsfonds nicht unendlich ausweiten. Das bedeutet dann, dass es zu deutlichen Beitragssteigerungen kommen wird, möglicherweise wieder zu Kasseninsolvenzen. Am Ende werden die Krankenkassen in ihrer Finanznot versuchen, die Leistungen zu kürzen, weniger auszugeben.

Das große Finanzierungsproblem wird vermutlich noch nicht diskutiert, solange die Pandemie läuft.

Nein, aber es wird sich im Laufe des nächsten Jahres zuspitzen. Möglicherweise kann eben 2022 noch durch erhöhte Steuerzuschüsse, oder staatliche Zuschüsse, die kreditfinanziert sein könnten, dieses Loch gestopft werden. Es ist übrigens nicht nur pandemiebedingt, sondern wurde durch Leistungsgesetze vorher schon auf den Weg gebracht.

Im Koalitionsvertrag wird großer Wert auf die Stärkung der Pflege gelegt.

Zum Glück kommt jetzt die Pflegepersonalbemessung, die wir immer gefordert haben. Es bleibt das Problem, woher wir eigentlich die Leute kriegen. Wie wir es schaffen, die Pflege so zu organisieren, dass die Menschen nicht nach sechs, sieben Jahren ihren Beruf wieder wechseln, weil sie einfach fertig sind.

Bei welchen Punkten im Koalitionsvertrag muss linke Opposition besonders aufpassen?

Unter anderem in Sachen Bestandsgarantie für die Fallpauschalen in Krankenhäusern. Da soll etwas angeglichen werden - was an dem ganzen System nicht viel ändern wird. Dann steht da etwas über Anwerbung ausländischer Pflegefachkräfte. Werben wir unseren EU-Nachbarn, deren Volkswirtschaften nicht so stark sind wie unsere, bereits teuer ausgebildete Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte ab und hinterlassen entsprechende katastrophale Zustände in den Gesundheitswesen? Oder bildet man Leute auch aus? Dann wäre das wesentlich weniger problematisch.

In den Koalitionsvertrag sind auch einige interessante »kleinere« Themen der Gesundheitspolitik hineingeraten. Etwa Gesundheitskioske, niederschwellige Beratung nach skandinavischem Vorbild. Oder die Gemeindeschwestern.

Auch bei diesen Themen muss man dranbleiben: Kommt das wirklich? Wie wird es gefördert? Ist zum Beispiel bei den Community Health Nurses tatsächlich eine stärkere Eigenständigkeit drin? Das sind gute Ideen, die wir konstruktiv und kritisch begleiten werden.

Überhaupt nicht konkret geworden ist der Koalitionsvertrag in Sachen Krankenhauspolitik und -planung.

Wir haben einen Gesundheitsminister, der vor zweieinhalb Jahren noch gesagt hat, dass man in Deutschland eigentlich jedes zweite Krankenhaus schließen müsse. Der wie die Bertelsmann-Stiftung mit der angeblich besseren Versorgung durch stärkere Zentralisierung argumentiert. Das bedeutet in vielen Bereichen einfach eine schlechtere Versorgung. Fast die Hälfte der Krankenhäuser macht überhaupt keine Grundversorgung mehr, weil sie sich spezialisiert haben, Fachkliniken sind oder überwiegend Privatpatienten behandeln. Wir brauchen etwas zwischen dem ambulant niedergelassenen Arzt/der Ärztin und dem Krankenhaus, eine Mischung aus ambulant und teilstationär. Das passt aber überhaupt nicht zwischen die in Beton gemeißelten Säulen des Gesundheitssystems, wo ambulante Versorgung vollständig getrennt ist von der stationären. Gerade im ländlichen Raum müsste man über kommunale medizinische Versorgungszentren nachdenken. Da gibt es Ansätze im Koalitionsvertrag. Wir werden sehr genau drauf achten, ob das wirklich Einrichtungen in öffentlicher Hand sind, oder ob da nicht den internationalen Finanzinvestoren die Türen noch weiter geöffnet werden.

Welche Verbündeten gibt es bei diesem Thema?

Außerhalb des Parlaments gibt es sicher Verbündete. Vielleicht welche, die wir jetzt noch gar nicht sehen. Ich war zum Beispiel auf dem westfälisch-lippischen Ärztetag, wo eine große Sorge war, dass ärztliches Handeln demnächst nicht mehr frei ist, sondern noch stärker als heute aus der Ertragsperspektive geguckt wird. Es gibt auch bei der SPD und den Grünen Kolleginnen und Kollegen, die das sehr kritisch sehen und die sehr wachsam sein werden.

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