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Refugium Habersaathstraße
Für Sven eröffnen sich neue Chancen mit einer ertrotzten Wohnung in Mitte
»Ich würde sagen, das Jahr fängt gut an«, sagt Daniel Diekmann in der Habersaathstraße in Mitte. Etwa 50 Menschen haben sich hier am Montagnachmittag versammelt, um den Einzug der ersten 20 nun nicht mehr Wohnungslosen in den seit Jahren größtenteils leer stehenden Plattenbau zu feiern. Diekmann ist einer der letzten Bestandsmieter und kämpft seit Jahren um den Erhalt des Gebäudekomplexes, dem der Abriss durch die Eigentümerfirma Arcadia Estates droht, die dort Luxusneubauten errichten will.
Einer derjenigen, die hier nun eingezogen sind, ist Sven K. Seinen kompletten Namen will er nicht in der Zeitung lesen. »Ich habe erst am 18. Dezember von der Besetzungsaktion erfahren, als ich am Leopoldplatz bei der Essensausgabe der Obdachlosenhilfe war, weil das Arbeitsamt mir kein Geld bezahlt hatte«, sagt er zu »nd«. »Da hat mich einer angesprochen. Und da es um Leerstand und um bezahlbaren Wohnraum ging, war ich spontan dabei. Man kann arbeiten gehen, bis man umfällt, aber dann hast du immer noch nicht genug für die Miete«, so der 52-Jährige weiter.
Er bezieht jetzt eine Einzimmerwohnung in dem Komplex. Auch ein paar Nachbar*innen habe er schon kennengelernt. Unter ihm wohne eine Krankenschwester, der habe er schon gesagt: »Ich bin ein ruhiger Mieter, mich hört man gar nicht.« Das Bett, das in seiner neuen Wohnung noch steht, will er gegen eine Schlafcouch tauschen. Das sei auch besser, wenn man Besuch habe. »Der Herd und der Kühlschrank sollen wohl funktionieren, aber das kann ich noch nicht prüfen«, sagt er. Die Wasser- und Stromleitungen sind definitiv noch nicht repariert. Im Vergleich zu vorher sei das trotzdem eine deutliche Verbesserung. »Jetzt habe ich einen Rückzugspunkt für mich allein. Wenn ich jetzt keinen Bock habe, dann mache ich einfach die Tür zu«, hebt er hervor.
Es gibt kein Recht auf Spekulation. Über die Beschlagnahmung leerstehender Wohnungen in Berlin-Mitte
Die vergangenen drei Monate habe er in einem Wohnheim zu dritt in einem Zimmer gelebt, erzählt Sven. Viel Privatsphäre habe es dort nicht gegeben, »da fängt schon mal einer nachts um zwei an zu lesen«. Zuvor sei er bei seinem Bruder aus der Wohnung geflogen und stand zudem ohne Ausweis da. Ausreichend Zeit, diesen zu erneuern, habe er nicht gehabt, da er als Fernfahrer eigentlich immer unterwegs gewesen sei. Seinen letzten Job habe er nicht mehr weitermachen wollen, da die Laster Mängel gehabt hätten - er habe sich und andere nicht gefährden wollen. Wegen fehlender Dokumente sei es schwierig gewesen, eine neue Arbeit zu bekommen.
Ursprünglich kommt Sven aus Spandau. »Ich war das jüngste meiner Geschwister und auch das Schwarze Schaf. Schon als Kleinkind bin ich immer ausgebüxt«, berichtet er. Er habe sich nie unterordnen wollen, habe mit 16 ein Jahr auf der Straße gelebt. Das Verhältnis zu seiner Mutter sei zwar auch von Reibereien geprägt gewesen, die letzten Jahre vor ihrem Tod beschreibt er allerdings als sehr innig. Zu seinen Geschwistern hingegen habe er kein gutes Verhältnis gehabt.
Beruflich hat Sven schon viele Stationen hinter sich: »Zuerst habe ich Bäcker und Konditor gelernt, später bin ich dann in der Schaustellerbranche hängen geblieben.« Lkw fahre er seit sieben Jahren. »Bis auf Bäcker haben mir auch alle Jobs Spaß gemacht«, sagt er. Am liebsten wäre er Maschinenschlosser geworden, daraus sei aufgrund von Allergien aber nichts geworden.
Aktuell bemüht sich Sven darum, wieder als Fernfahrer einzusteigen. Dafür muss er nun erneut die Schulbank drücken, wie er berichtet. Die Erlaubnis zum beruflichen Fahren von Lkw ist abgelaufen - sie muss alle fünf Jahre erneuert werden. Sven hofft, dass die Weiterbildung in der eigenen Wohnung einfacher zu bewältigen ist als im Wohnheim. Dort wird er sich mit seinem neuen Ausweis trotzdem vorerst anmelden, einen Mietvertrag oder Vergleichbares gibt es für die neuen Bewohner*innen bisher nicht.
Zusätzlich zu den wieder bewohnten Räumen werden zwei weitere Wohnungen nun anderen Zwecken dienen. Der soziale Träger Neue Chance, der die Eingezogenen mit sozialarbeiterischen Angeboten unterstützt sowie die Unterstützenden-Initative »Leerstand Hab-ich-saath« haben jeweils ein Büro im Gebäude eingerichtet. »Aktuell kümmern wir uns neben Reparaturarbeiten vor allem um die Versorgung der neuen Bewohner*innen mit Möbeln und Kleidung aus Spenden und stehen ihnen auch sonst bei alltäglich anfallenden Fragen rund um die Uhr zur Verfügung«, sagt Valentina Hauser von der Initiative zu »nd«. Mittelfristig wolle man allerdings auch den Einsatz gegen den Abriss des Komplexes fortsetzen.
Dass die Abrisspläne bald wieder akut werden könnten, deuten neue Entwicklungen in der Auseinandersetzung zwischen Bezirksamt und Eigentümer an. In einem Gespräch im RBB-Sender Radio Eins sagte Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) am Montag, dass es aktuell eher nach einem Abriss als nach einer Sanierung aussehe. Ein Vergleich mit dem Eigentümer werde vorbereitet.
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