Der Rimbaud des Fußballs

Glenn Jäger beschreibt in seiner Biografie die Bedeutung Diego Maradonas weit über das Spielfeld hinaus

Es ist ein mutiges Unterfangen, eine Biografie über Maradona zu schreiben. Schließlich haben die Standardwerke von Jimmy Burns - die unautorisierte Biografie - »Die Hand Gottes« von 1998 - und die autorisierte Ghostwriter-Biografie »El Diego« von 2002 hohe Maßstäbe gesetzt. Und es ist mutig, mehrere Monate nach dem Tod von Maradona am 25. November 2020 eine Biografie auf den Markt zu bringen, als kurz nach dem Tod der argentinischen Ikone in kurzer Abfolge viele neue Bücher rund um Maradona ihre Käufer und Käuferinnen suchten und suchen.

Da wären unter anderem die Maradona-Biografie vom Starautoren Guillem Balagué, der schon Pep Guardiola und Lionel Messi - mit Insiderinformationen ausgestattet - mit freundlichen Bestseller-Biografien bedachte. Soviel Nähe zu seinem Protagonisten war Glenn Jäger nicht vergönnt, sein Unterfangen darf dennoch als geglückt bewertet werden - auch ohne über den bisherigen Verkaufserfolg im Bilde zu sein.

Jäger hat beeindruckend viel an Literatur, Artikeln, Filmen, Videos über Diego Armando Maradona gesichtet, wovon nicht nur das Quellenverzeichnis zeugt, sondern das Buch mit unzähligen Zitaten selbst, selbstverständlich unter Einbezug der beiden zu Lebzeiten von Maradona verfassten Standardwerke.

Das Buch hat seine Stärken dort, wo es über die allseits abgehandelten Lebens- und Karrierestationen von Diego Maradona hinausgeht, das Aufwachsen im Armenviertel Fiorito, die wichtigen Vereinsabschnitte bei Argentinos Juniors, Boca Juniors, FC Barcelona und SCC Neapel sowie die Maradona über alles gehende Selección, die Nationalmannschaft, von der er schon als kleiner Junge träumte. Mitsamt der in Kindheitstagen im Brustton der Überzeugung vorgetragenen Zukunftsvision, einmal den Weltpokal in die Höhe zu stemmen. Das glückte ihm bekanntlich bei der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko, wo er überdies mit seinem Handtor und dem Tor des 20. Jahrhunderts im Viertelfinale gegen England Geschichte und Geschichten schrieb, die unvergessen sind.

All das findet sich auch in Jägers Buch, aber er setzt darüber hinaus Schwerpunkte, wie sie in anderen Biografien nicht vorkommen: Die Figur des Rebellen Maradona aus Sicht des Globalen Südens, seine Bedeutung in Indien und Bangladesch.

In Indien traf er Jyoti Basu, den kommunistischen Ministerpräsidenten von Westbengalen in der Zeit von 1977 bis 2000. Willst Du den indischen Fidel Castro treffen? So wurde Maradona schnell von einem Treffen mit einem ihm bis dahin Unbekannten überzeugt. Und in Bangladesch gingen nach seiner Doping-Sperre bei der WM in den USA 1994 Zehntausende auf die Straßen und skandierten: »Dhaka wird brennen, wenn Maradona nicht spielen darf«. In Indien und Bangladesch war die Annahme weit verbreitet, dass bei der WM in den USA der Fidel-Castro-Freund Maradona nicht Weltmeister werden dürfte und ihm deswegen verbotene Substanzen untergejubelt wurden - Kokain war es dort ja nicht. Und die beiden ersten Spiele hatte Argentinien mit einem aufgedrehten Maradona in überragender Manier gewonnen.

Indien und Bangladesch in allen Ehren, selbstverständlich widmet Jäger der Verehrung Maradonas in Lateinamerika und speziell in Argentinien oder Neapel den gebührenden Stellenwert. In seinem Heimatland und am Vesuv genießt Maradona gottähnlichen Status. Unvergessen das Graffito am Friedhof in Neapel nach der ersten italienischen Meisterschaft der Vereinsgeschichte 1987: »Ihr wisst gar nicht, was ihr verpasst habt«. Bis heute wurde Neapel nie Meister ohne Maradona, mit dem dies 1990 noch mal gelang.

Seine Grundsympathie für den »Schwarzkopf« wie sich Maradona stolz mit einem Begriff auf seine Herkunft selbst bezeichnete, einem Begriff, den die reicheren Kreise in Argentinien abfällig für die Nicht-Weißen, armen Argentinier benutzen, bekennt Jäger offen: »Wer will, möge die folgenden Seiten auch als Verteidigungsschrift lesen.« Aber Jäger thematisiert die Widersprüche von Maradona durchaus, ob politisch oder persönlich, was Sexismus und Machismus angeht. Doch unterm Strich schließt sich Jäger mit seiner Beurteilung dem französischen Ex-Fußballstar Eric Cantona an: »Im Laufe der Zeit wird man feststellen, dass Maradona für den Fußball das war, was Rimbaud für die Dichtung und Mozart für die Musik war.«

Glenn Jäger: Diego Maradona. In den Farben des Südens. Papyrossa, 263 S., br. , 16,90 €.

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