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Schau mir in die Augen
Killer mit latenter Sinnkrise: »Kawaita Hana« als Yakuza-Film-Noir in den Berlinale-Classics
Der Profikiller Muraki (Ikebe Ryo) kommt aus dem Gefängnis und wartet auf den nächsten Job, den er für die Yakuza erledigen soll. Er besucht seine Geliebte, die in einem Uhrmacherladen wohnt, den sie von ihrem Vater geerbt hat. Zwischen all den tickenden Uhren hat sie auf Muraki gewartet. Sie will ihn heiraten, doch er sagt: »Nein, heirate jemand anders, ich muss wieder ins Gefängnis.«
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Tagsüber liegt er auf seinem Bett, raucht und starrt an die Decke. Nachts geht er in illegale Clubs, Tehonbiki spielen. Man sagt, das ist das Kartenspiel der Yakuza. Es geht um viel Geld. Die Einsätze werden bündelweise auf den Tisch geworfen, um den schwitzende, rauchende Männer auf ihren Knien sitzen. Eine junge Frau ist dabei, sie heißt Saeko (Kaga Mariko), mehr als ihren Vornamen wird Muraki nie von ihr erfahren.
Meistens sitzen sie sich gegenüber. Man hört den Spielleiter in einem murmelnden monotonen Sprechgesang: »Machen Sie Ihre Einsätze!« Das klingt wie rituelle Musik. Ab und zu begegnen sich ihre Blicke. Saeko hat keine Angst, viel Geld zu verlieren. Sie spielt volles Risiko, wie Muraki. Sie sagt, sie könne nur etwas beim Spielen fühlen, sonst nicht. Aber sie lacht, wenn sie Auto fährt, schnell und gefährlich. Sie liefert sich zufällige Wettrennen mit anderen Sportwagenfahrern. Nach den Spielrunden, dann, wenn die Stadtautobahn leer ist. Da wird es selbst Muraki etwas mulmig.
Die Bilder sind kontrastreiches Schwarz-Weiß, die Musik ist Cool Jazz, sagen wir: früher Miles Davis. Wenn der Spielleiter die Einsätze fordert, klingt es wie auf seinem Album »Sketches of Spain«, ansonsten wie der Soundtrack von »Ascenseur pour l’échafaud«. Aber dieser melancholisch-eindringliche Film Noir »Kawaita Hana« (Pale Flower) von Masahiro Shinoda erinnert weniger an den melodramatischen Klassiker von Louis Malle aus dem Jahr 1958 als an den bedrohlich-morbiden »Blast of Silence« von Allen Baron (USA 1961).
Auch in diesem B-Movie geht es um einen Killer mit latenter Sinnkrise, nur dass er bei Baron vor sich hingrübelt wie in einem Marvel-Comic. Das geht auch nicht gut aus. Das Problem sind immer die Ansprüche der Chefs. Der von Muraki ist für einen Yakuza-Boss geradezu putzig. Er ist gut gelaunt, weil er mit 50 erstmals Vater geworden ist. Was er grausam findet, sind die Krankenschwestern auf der Geburtsstation, die ihn sein Kind nicht sehen lassen.
Muraki macht dagegen auf sehr ruhig. Noch ruhiger ist nur ein schweigsam-mönchischer Junkie, der immer da ist, wo auch Saeko spielt. Er sitzt in der Ecke und ist reine Gegenwart. Muraki ist etwas eifersüchtig auf ihn, aber er ist noch eifersüchtiger auf Muraki, eines nachts greift er ihn sogar mit Wurfmessern an. Es wird behauptet, Regisseur Shinoda hätte »Die Blumen des Bösen« von Charles Baudelaire gelesen, als er diesen Film drehte.
Einmal hat sie Drogen ausprobiert, erzählt Saeko Muraki. Es habe ihr nicht gefallen. Er sagt: »Lass das!« Sie fragt: »Machst du dir Sorgen um mich?« Er sagt: »Ich habe etwas Besseres: Ich werde einen Mann töten.« Wenn sie will, könne sie zuschauen. Im Restaurant »Wilde Gänse«. Die habe er als Kind beobachtet, wie sie durch die Luft fliegen. Danach nie wieder. Plötzlich sagt sie: »Ich fühle etwas für dich.« Muraki aber geht weg, den Mann zu töten. Als es geschieht, ist Saeko da. Sie steht auf der Treppe gegenüber. Sie schauen sich beide an, wie beim Tehonbiki.
Später ist Muraki wieder im Gefängnis. Ein Mitgefangener erzählt ihm, dass Saeko tot ist: »Ein Mord aus Leidenschaft.« Der Junkie war es. Man weiß jetzt auch, wer Saeko war, doch Muraki erfährt es nicht, ein Wärter führt ihn ab. Zum Schluss sagt er: »Wer Saeko war? Ich will es nicht wissen. Aber ich bin hungrig nach ihr.«
»Kawaita Hana«. Japan 1964. Regie und Buch: Masahiro Shinoda. Mit Ikebe Rya, Kaga Mariko, Fujiki Takashi. 96 Min. Termin: Di, 15.2., 22 Uhr: Zeughaus-Kino.
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