- Politik
- EU-Afrika-Gipfel
Deals über die Köpfe der Afrikaner hinweg
Die Europäische Union stimmt Investitions- und Entwicklungsprogramm und Handelsbeziehungen nicht ab
In der Europäischen Union wird groß gedacht vor dem EU-Afrika-Gipfel am Donnerstag in Brüssel. Bei der Kommission ist die Rede von einem »Green Deal«, der zum Goldstandard in der Umwelt-, Klima-, Energie- und Landwirtschaftspolitik werden soll. In Frankreich, das in diesem Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft inne hat, spricht der Präsident Emmanuel Macron von einem »wirtschaftlichen und finanziellen New Deal mit Afrika«, mit dem die laut Macron ermüdete europäisch-afrikanische Partnerschaft wieder belebt werden soll. Bei all den großen Deals bleibt die Mitsprache der 55 Länder der Afrikanischen Union in bescheidenem Rahmen.
Nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen soll bei dem Spitzentreffen ein Investitionspaket für Afrika im Umfang von 150 Milliarden Euro auf den Weg gebracht werden - im Rahmen des »Global Gateway« (auf Deutsch etwa: Tor zur Welt). Diese Initiative komme laut Robert Kappel zehn Jahre zu spät, »ist eher noch unausgereift und auch nicht mit den afrikanischen Staaten abgestimmt«, kritisiert der ehemalige Präsident des German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg gegenüber »nd«. Kappel ist auch skeptisch, ob es sich um zusätzliche Mittel handelt: »Die 150 Milliarden Euro werden wohl eher aus der Umschichtung der Finanzmittel bereitgestellt, das heißt, anderswo wird wieder gekürzt.«
Aus der Sicht des emeritierten Professors der Universität Leipzig seien alle Unterstützungsmaßnahmen im Bereich der Infrastruktur und Gesundheit, Bildung und Forschung notwendig, »aber es scheint sich mal wieder um einen Schnellschuss zu handeln, ohne darauf abzuzielen, die wirklichen Probleme in den Mittelpunkt zu stellen.«
Die wirklichen Probleme sieht der renommierte Afrika-Wissenschaftler beispielsweise bei der Elektrizität: »Die überwiegende Mehrheit der Menschen Afrikas hat keinen Zugang zu Elektrizität. Der vollständige Zugang zu Strom für alle würde weitaus mehr bringen als große Investitionsvorhaben, die meist nicht nachhaltig sind, nur wenigen nutzen und in die Verschuldung hineinführen.«
Der Energiefrage räumt auch Kerstin Opfer von Germanwatch große Bedeutung bei: »Energiezugang für alle steht im Zentrum afrikanischer Anstrengungen. Jetzt stehen die Investitionen an, die darüber entscheiden, ob Erneuerbare Energien oder fossile Energieträger zur Stromerzeugung eingesetzt werden.« Die Gipfel-Forderung der Referentin für Energiepolitik & Zivilgesellschaft in Afrika steht: »Gemeinsam sollten sich die afrikanische und Europäische Union gegen die Finanzierung aller fossilen Brennstoffe aussprechen.« Und dabei die Zivilgesellschaft nicht vergessen: »Dafür braucht es konkrete Vorschläge zu Informationsaustausch, Konsultation, Transparenz und Dialog.«
Weder beim »Green Deal« noch beim »New Deal« werden den Fragen Handel und Migration größeren Stellenwert eingeordnet. Seit 2002 verhandelt die Europäische Union mit afrikanischen Ländern sogenannte Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs), die an die Stelle der Handelspräferenzen im Cotonou-Abkommen aus dem Jahre 2000 treten sollten. »Die EPAs sind tot. Die meisten afrikanischen Staaten wollen diese nicht. Und die EU verfolgt diese nicht mehr wirklich«, beschreibt Kappel den aktuellen Stand. Aus seiner Sicht ginge es jetzt darum, »die panafrikanischen Ansätze der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone zu unterstützen. Da ist die Dynamik.« Die Afrikanische Freihandelszone AfCFTA ist im Januar 2021 gestartet und soll den intraregionalen Handel befördern. Bisher fänden nur bescheidene 17 Prozent der afrikanischen Handelsströme zwischen afrikanischen Ländern statt, teilte Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission mit. Laut Dombrovskis müssen wir »anstreben, die wirtschaftliche Integration zu stärken und gleichzeitig den Klimawandel und den digitalen Wandel unserer Volkswirtschaften voranzutreiben«.
Für den Ökonomen Kappel liegt die zentrale Herausforderung Afrikas auf der Hand: Jedes Jahr die erforderlichen 20 Millionen neuen Jobs auf dem Kontinent zu schaffen, um die Neuankömmlinge auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren. Einen Beitrag dazu könnte eine Neujustierung der Handelsbeziehungen leisten: »Was den europäischen Außenhandel mit Afrika betrifft, geht es vor allem darum, die asymmetrische Einbindung zu reduzieren. Es müsste endlich Handelsbedingungen geben, die mit beschäftigungsorientierter Industriepolitik und koordinierten Initiativen lokaler Akteure verbunden werden.« Damit würde Afrika ein Aufstieg in der Wertschöpfungskette erlaubt werden, »denn dann würde es möglich sein, nicht nur Rohstoffe und Agrargüter zu exportieren, sondern Industriewaren und Dienstleistungen.«
In der europäischen Migrationspolitik mahnt der entwicklungspolitische Verband Venro einen Paradigmenwechsel an. »Für eine erfolgreiche Neugestaltung der AU-EU-Partnerschaft im Bereich Migration ist es notwendig, dass die EU ihre bisherige Strategie der Abwehr von Migrant*innen aufgibt«, sagte der Vorstandsvorsitzende Mathias Mogge. Deshalb sollten »die Staats- und Regierungsspitzen in ihrer gemeinsamen Vision für 2030 die positiven Effekte von Migration in den Blick nehmen und reguläre und sichere Migrationswege schaffen.«
Mehr als 60 Prozent der über 1,2 Milliarden Einwohner Afrikas sind derzeit jünger als 25 Jahre. Die, die in Afrika keine Perspektiven sehen, werden versuchen, zu migrieren. Und das wird sich erst ändern, wenn die EU Afrika entwicklungsförderliche Handelsbeziehungen einräumt, die Perspektiven schaffen. Robert Kappel schätzt die Bereitschaft der EU zu handelspolitischen Kompromissen aber »nicht sehr groß« ein. Die Afrikaner*innen haben von Brüssel nicht viel zu erwarten.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!