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Was kann die Kunst?
Christopher Ecker lockt mit »Herrn Oluf« in eine literarische Geisterbahn, erzählt einen Krimi und analysiert den Betrieb
Dieses Buch steckt voller kluger Sätze - und voller absurd überdrehter Szenen. Man liest es, nachdenklich und gespannt aus demselben Grund, aus dem Professor Oluf Sattler immer wieder und ohne Erfolg bei sich zu Hause anruft. Denn dort liegt eine fiebernde Frau neben einem fiebernden Baby im Bett, und weil sie nicht an ihr Handy geht, kommt ihm das Schlimmste vor Augen.
Er hat sie zurückgelassen, weil er von seinem Vorgesetzten im Institut zu einem wissenschaftlichen Kongress in Norddeutschland beordert worden war, bei dem es allerdings weniger um Wissenschaft als um »das Abstauben von Fördergeldern« geht. Er soll einen zehnminütigen »Impulsvortrag« halten. Zu Miriam sagt er: »Ich verliere sonst den Job.« Kurz vor dem Losfahren fiel ihm noch ein, dass außerdem noch Sohn Jasper von einer Klassenfahrt zurückkommt und vom Bahnhof abzuholen ist. Deshalb hat er der kranken Frau das Auto dagelassen (aber wo hat er es bloß geparkt, wo ist der Ersatzschlüssel?) und einen Mietwagen genommen. Irgendwie war er schon nicht mehr ganz bei sich, als er weggefahren ist, und es kommt noch schlimmer.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
»Du hättest nicht fahren dürfen!«, sagt er sich immer wieder, und wir können ihm nur zustimmen. Das ganze Buch über spricht Professor Oluf Sattler von sich als »Du«. Er beobachtet, diagnostiziert, erklärt und erinnert sich, mitunter denkt er sich einen imaginären Therapeuten herbei.
Es ist ein »Albdruck des Versagens«: Ein gequälter Mann im Hamsterrad, ich-bezogen, im Geistigen gefangen - der Christopher Ecker versetzt sich in ihn hinein und führt ihn zugleich vor, sodass er einem einerseits leid tut und dann wieder Unverständnis weckt. Oder paart sich hier gar Ironie mit Selbstironie? »Immerzu musst du lesen, Buch um Buch, um über das Gelesene oder Quergelesene schlaue Sachen zu sagen oder zu schreiben. Lesen, reden, lesen schreiben, nie, aber auch wirklich niemals lesen, um zu lesen.« Da sitzt Herr Oluf doch in einem Boot mit mir als Rezensentin und mit dem Schriftsteller, der ihn erdachte, natürlich auch.
Christopher Ecker, 1967 in Saarbrücken geboren, hat für seine früheren Romane »Madonna« (2007), »Fahlmann« (2012), »Die letzte Kränkung« (2014), »Der Bahnhof von Plön« (2016) und den Erzählungsband »Andere Häfen« (2017), alle im Mitteldeutschen Verlag erschienen, schon mehrere Literaturpreise erhalten.
In den Begründungen war von exzessiven Leseabenteuern die Rede. Gelobt wurde, wie bei ihm »skurrile Phantastik und ein mit Wortwitz und scharfen Detailbeobachtungen gesättigter Realismus eine immer wieder überraschende Verbindung« eingehen. Das macht in der Tat auch den Reiz seines neuen Romans »Herr Oluf in Hunsum« aus, der uns als Beobachter dieses Herrn gleichsam in eine Geisterbahn von Turbulenzen lockt. Da hat sich der Autor viel einfallen lassen, und man fragt sich die ganze Zeit, wie er es wohl schlüssig enden lässt. Wie könnte denn das Problem gelöst werden, das Herr Oluf da mit sich herumschleppt?
Gesellschaftliche Verhältnisse und ein darüber sinnierendes Ich: Mitunter schien mir, als sei in diesem Roman ein scharfsinniger Essay versteckt. Und ich gebe zu: Das vor allem hat mich an dieses Buch gefesselt - die hellsichtigen Bemerkungen über die Verhältnisse, in denen wir leben.
Denn Herr Oluf revoltiert. Es ist ihm über, ständig Meinungen von sich geben zu müssen, und er fühlt sich oft »wie eine Puppe, die gespielt wird. Eine Gliederpuppe aus Holz, eine Marionette … Ich sehe mich handeln und bin nicht der, der handelt. Ich sage Dinge, und es sind nicht die Dinge, die ich sagen will«, sagt er zu dem imaginären Therapeuten. »Ich muss funktionieren, ich weiß, wie Funktionieren geht und also funktioniere ich, bin es aber nicht selbst, der funktioniert, sondern mein Ich sieht sich staunend beim Funktionieren zu.« Entfremdung, für viele unbewusst, besser kann man sie kaum erklären.
Ein gespaltener Mensch. Als Professor für Kunstwissenschaft will Herr Oluf mit hochgestochenem Geschwafel glänzen und prahlt mit philosophischem Wissen, vor seinen Kollegen vom Fach, die das noch mehr angeben. Da läuft Ecker zu ironischer Hochform auf, und man kann das Buch als Satire auf den Kulturbetrieb lesen. Unter dieser Schicht aus Prahlerei und Lüge aber blitzen immer wieder zutreffende Sätze hervor, zum Beispiel darüber, warum Kunst »nicht antikapitalistisch sein« kann: »denn in dem Moment, in dem sie erfolgreich ist, wird sie zum Bestandteil des Systems und arbeitet ihm zu«. Hinter den lustvoll entfalteten stilistischen Eskapaden steckt also eine große Nüchternheit, die dann auch wieder einen anderen Erzählton erfordert.
Zwischen all der Situationskomik, den Rückblenden, in der sich auch noch eine Kriminalgeschichte entwickelt, als Oluf in einen Mordfall verwickelt wird, steckt als ein Kern des Romans tatsächlich die Frage, was Kunst kann? Was sie leistet - und welche Folgen es hat, wenn jemand ganz darin aufgeht. Wie Wahrnehmungen verändert werden, sich verdeutlichen, aber auch verschwimme können, was man gewinnt, aber auch verliert, wenn Denken »sich selbst unentwegt zum Gegenstand der Reflexion macht«. Der Konflikt von Goethes Faust: der Ekel vor dem Wissen, das eigentlich das Ich bestimmt. Geistige Übersättigung und Leere - worin aber besteht dennoch die mythische Kraft der Kunst?
Christopher Ecker schickt seinen Herrn Oluf gleichsam durch ein Fegefeuer der Realität und des Denkens. Wenn er geläutert daraus hervorgehen könnte, wäre der Roman zum Kitsch verkommen.
Christopher Ecker: Herr Oluf in Hunsum. Mitteldeutscher Verlag, 231 S., geb., 20 €.
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