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  • »Appetit« am Staatsschauspiel Dresden

Lieber die Reichen verspeisen

Die Performance »Appetit« am Staatsschauspiel Dresden hinterfragt die Lebensmittelproduktion - und verliert sich in Pädagogik

  • Lara Wenzel
  • Lesedauer: 4 Min.

Demeter, die antike Göttin der Saat und Erde, versagte den Menschen die Ernte aus Trauer um den Verlust ihrer Tochter Persephone, die in den Hades entführt worden war. Ein Scherz ihrer Begleiterin Baubo, die ihren Rock lüftete und so ihre Vulva enthüllte, brach den Bann der Trauer, und die Göttin handelte die Rückkehr der Verlorenen aus. Die Hälfte des Jahres verbrachte die frisch Vermählte in der Unterwelt, die andere im Reich der Mutter.

Demeter, die Leben spendet und nimmt, steht exemplarisch für eine Vorstellung ambivalenter Weiblichkeit. C. G. Jung beschrieb seinen Mutterarchetypus nach ihrem Vorbild als »die Weisheit und die geistige Höhe jenseits des Verstandes«. Das tückisch Weibliche bietet »Wachstum-, Fruchtbarkeit- und Nahrungsspende«, aber davon sollte man(n) sich nicht täuschen lassen. In ihrem Schoß lauert die »unterweltliche Dunkelheit« - »das Verschlingende, Verführende und Vergiftende«. Auch als feministische Ikone taugt sie nicht, denn der positive Bezug auf »Mutter Erde« ist nur ein mystifizierender Biologismus.

Mit jeder einfachen Wiederholung der Sage erzählt man implizit eine Geschichte über unhinterfragte Essenzialisierung vermeintlich weiblicher Eigenschaften, also über aufopfernde Fürsorge auf göttlicher Stufe. Dass sich die am Staatsschauspiel Dresden uraufgeführte Performance »Appetit« entlang Demeters Leidensgeschichte und des Raubes ihrer Tochter Persephone strukturiert, ohne sie zur Disposition zu stellen, trägt ein Geschmäckle mit sich. Inmitten einer 360-Grad-Projektion der Sächsischen Schweiz lauscht das Publikum einer kleinen, mythologisch beginnenden Menschheitsgeschichte. Verteilt auf hellgelben Hockern, graben sich die besockten Füße in den gleichfarbigen Teppich, während animierte Erinnerungen an das Sesshaftwerden des Homo sapiens aufleuchten. Vor dem Eintritt wurden die Zuschauer*innen angehalten, ihre Schuhe auszuziehen. Um dem Schlimmsten vorzubeugen, schwebt ein klinischer Zitrusduft zwischen im Raum.

Gemeinsam mit der Costa Compagnie erarbeitete die Bürger:Bühne des Staatsschauspiels Dresden ein immersives Sinnespanorama, das versucht Essgewohnheiten und Lebensmittelproduktion in der sächsischen Provinz mit globalen Fluchtbewegungen zu verknüpfen.

Fünf Laienspieler*innen begeben sich auf autobiografische Spurensuche, befragen ihren eigenen Appetit und die Produzenten. Wie kann man genießen, ohne zu verschwenden? Sich ausgewogen ernähren, ohne ein gestörtes Essverhalten zu kultivieren? Und wie kann es sein, dass unsere Supermarkt-Auslagen immer voll sind und in anderen Ländern kein Zugang zu sauberem Wasser besteht? Die Fragen stellt meist die Jüngste, Fritzi Hamann, die uns als Erste in ihre Ernährungsweise einführt. Seit Jahren verzichtet die Jugendliche auf Fleisch, doch dass es sich bei der kleinen abgepackten Leberwurst auch um ein Tierprodukt handelt, musste sie auf dem harten Weg lernen. Ihre Schwester eröffnete ihr eines Tages: Die pinke Paste sei aus Ferkelchen gemacht. Da fiel der Verzicht leicht.

Zurück zum ursprünglichen Brot, Bier oder Schwein wollen die interviewten Lebensmittelproduzenten. Ihre Manufakturen und Biohöfe wirtschaften lokal, nachhaltig und nach alten Rezepturen. In der Auslage landen vollwertige, handgefertigte Produkte, vitaminreich, wohlriechend und köstlich. Klingt toll, ist aber mindestens doppelt so teuer wie die lieblos angerührte Semmel vom Bäcker um die Ecke.

Wie viel die Wurst beim hippen Metzger kostet, erfährt das Publikum nicht. Nur dass wir bereit sein müssen, mehr Geld dafür hinzulegen, meint der Ladenbesitzer. Wer sich dann kein Fleisch oder köstliche Seitan-Würstchen mehr leisten kann, hat wohl Pech gehabt. Grünkohl macht auch satt und hat viele Vitamine, wie Diätassistentin und Spielerin Susanne Heber erklärt.

Wenig überraschend argumentieren die Produzenten, die Einblick in ihren Betrieb gewähren, stets im eigenen Interesse, nur setzt die Inszenierung dem wenig entgegen. Auf der Bühne geht die Imagination kaum über die Konsumverantwortung des Einzelnen hinaus. So bleibt es auch unwidersprochen, wenn ein Karpfenzüchter an die Einzelnen appelliert, keinen umweltschädlichen Lachs, sondern nur noch sein Produkt zu kaufen.

Eigene Ernährungserfahrungen, aber auch ein Blick über das Bundesland hinaus unterbrechen die lokale Unternehmensschau. Emilia Xenodochius praktiziert Konsumkritik, wenn sie noch essbare Lebensmittel aus den vollen Supermarkt-Abfallcontainern fischt und so der Lebensmittelverschwendung ein klein wenig entgegenwirkt. Dass es sich um ein Problem des falschen Wirtschaftens handelt, deutet sich in der Dementierung des Überbevölkerungsmythos an. Das Problem besteht nicht darin, dass es zu viele Menschen gibt, sondern in der Lebensweise weniger im Spätkapitalismus. Ernteroboter, Insektenfarmen - Maden, die unseren Müll fressen und dann von uns verzehrt werden - und genossenschaftliches Wirtschaften sind die Träume der Spieler*innen.

Der kleine Blick in die Zukunft beschließt einen Abend, der zuweilen sehr erzieherisch erklärt, wie viel Obst und Gemüse auf den Teller gehört, aber in den persönlichen Motivationen faszinieren kann. Mitreißend wirbt der Gartenbauer Toni Christoph während der gesamten Performance dafür, mehr Erbsen zu essen. Service-Tipp: Greifen Sie ruhig zur Tiefkühlvariante. Die hat mehr Vitamine als das frische Produkt.

www.staatsschauspiel-dresden.de

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