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Auf verlorenem Posten
Egon Krenz, letzter Generalsekretär der SED für sechseinhalb Wochen, wird 85
Manchmal werden Dinge erst mit dem Abstand von Jahrzehnten kenntlich. Als sei die Zeit, die vergangen ist, ein Brennglas, das den Blick schärft.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Als Egon Krenz am 18. Oktober 1989 zum Generalsekretär der SED und Honecker-Nachfolger ausgerufen wurde, kam keine Euphorie auf in der krisengeschüttelten DDR. Eine gewisse Erleichterung durchaus, auch Schadenfreude, weil neben Erich Honecker bald auch einige andere der anscheinend ewig regierenden alten Männer entmachtet wurden. Es gab Menschen, die beklommene Hoffnungen auf eine Erneuerung des Sozialismus hegten, dunkel ahnend, dass der Zug wohl schon abgefahren war. Zu groß waren die Verunsicherung und die Fragezeichen angesichts der stetig anwachsenden Proteste und der massenweisen Flucht von DDR-Bürgern Richtung Westen, über die Stationen Prag und Warschau. Sie flohen nicht vor Krieg, Tod und Verderben, sondern vor Erstarrung, Stagnation, Überwachung, Bevormundung. So unterschiedlich können Schmerzgrenzen verlaufen.
Für viele andere DDR-Bürger hatte sich die Sache mit dem Sozialismus in der DDR erledigt, daran änderte der Machtwechsel von Honecker zu Krenz nichts. Der war für sie genauso ein Repräsentant des gerade kollabierenden Systems, nur eine Generation jünger. Man kannte ihn nicht zuletzt als den Mann, der im DDR-Fernsehen an Wahlabenden regelmäßig im Brustton der Überzeugung die 99,9-Prozent-Ergebnisse verkündete.
Die Pessimisten sollten recht behalten. Die Krönung von Krenz zum Partei- und dann auch Staatschef war nicht der Höhepunkt seiner politischen Laufbahn, sondern der Vorgriff auf ihr abruptes Ende nur sechseinhalb Wochen später. Die jähen Wendungen, von denen Vorgänger Honecker gelegentlich gesprochen hatte, erwischten die DDR und ihre Führung in einem ganz existenziellen Sinn. Krenz, lange Vorsitzender der Jugendorganisation FDJ, dann der zweite Mann hinter Honecker in der SED-Führung, stand auf verlorenem Posten. Ihm und dem jovialen Günther Schabowski, vormals Chefredakteur des »Neuen Deutschland«, nahm nicht einmal die Masse der eigenen Parteimitglieder die Rolle der Erneuerer ab.
Was dann folgte, war eine Charakterprobe. Krenz gab im vereinigten Deutschland nicht wie Schabowski den geschmeidigen Wendehals und medial umschmeichelten Kronzeugen gegen seine Ex-Genossen. Er spielte im Politbüro-Prozess, in dem führende DDR-Politiker wegen der Mauertoten vor Gericht standen, nicht wie andere den Amnesiegeplagten, sondern stellte sich zumindest teilweise seiner politischen Verantwortung für »Fehlentwicklungen in der DDR«, lehnte jedoch eine juristische Verantwortung ab. Ein bundesdeutsches Gericht sei nicht berechtigt, über ihn zu urteilen, allein schon, weil sich die Entwicklung in der DDR und auch ihr Grenzregime ohne deren Rolle im Kräftespiel der Großmächte nicht korrekt erklären ließen. Das bewahrte Krenz nicht vor einer Verurteilung zu sechseinhalb Jahren Haft, von denen er fast vier Jahre absaß.
Heute erleben wir auf schockierende Weise, wie die Konfrontation zwischen politischen Blöcken eskalieren kann. Wohin es führen kann, wenn Macht gefährdet ist, wenn ein Land, eine politische Führung, die Person an der Spitze meinen, es gehe nur noch um Sieg oder Untergang. Egon Krenz hätte es im Herbst 1989 in der Hand gehabt, die militärische Karte zu ziehen. Er hätte den Befehl geben können, mit militärischer Gewalt gegen den Protest vorzugehen. Manche trauten es ihm zu, nachdem er die gewaltsame Niederschlagung von Studentenprotesten in Peking schöngeredet hatte. Krenz erteilte den Befehl nicht. Ohne Honecker zu fragen, untersagte er es im Herbst ’89, auf Demonstranten zu schießen. In der Wendezeit gab es ein paar brutale Polizeieinsätze, die Gegenstand von Untersuchungsausschüssen wurden, aber kein Schuss fiel.
Wenn bis heute von einer friedlichen Revolution die Rede ist, dann hat Egon Krenz seinen Anteil daran. Das ist ein bleibendes Verdienst jenes Mannes, der an diesem Sonnabend 85 Jahre alt wird. Es ist höchste Zeit, das öffentlich zu würdigen.
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