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Alte Lehren
Die Zapatisten äußern sich zum Ukraine-Krieg - klüger als viele Linke hier
Menschen wollen handlungsfähig sein. Aber unter kapitalistischen Verhältnissen sind es die wenigsten von ihnen, und wenn überhaupt, dann nur im Kleinen. Ein bewährtes Mittel zur Kompensation von Ohnmachtsgefühlen ist die Identifikation mit den tatsächlich Herrschenden - und sich dabei einzureden, häufig gegen jede Evidenz, dass deren Handeln auch das eigene Wohl sichern würde. Dieser Reflex plagt seit jeher auch die antikapitalistische Linke; gerade sie kann von Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit ein Lied singen. Und so beobachtet man, dennoch entsetzt, auch jetzt, wie sich Leute aus linken Zusammenhängen angesichts des Ukraine-Krieges auf die Seite des stärksten Militärbündnisses der Menschheitsgeschichte schlagen: der Nato, angeführt von der ökonomischen und militärischen Weltmacht, den Vereinigten Staaten von Amerika.
Vertreter*innen der Notwendigkeit einer Welt ohne Staat, Nation und Kapital sind also weiterhin mit der Lupe zu suchen, aber es gibt sie, und unter ihnen ist die »Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung« (EZLN) aus Mexiko. Es ist eine Organisation indigener Aktivist*innen im Bundesstaat Chiapas, die sich 1994 anlässlich des Freihandelsabkommens Nafta erhoben, um die fortschreitende kapitalistische Übernahme ihrer Gegenden zu verhindern. Sie sind keine Pazifist*innen, sondern leisten bewaffneten Widerstand in dem faktischen Krieg, den der mexikanische Staat und seine Paramilitärs nun bereits seit Jahrzehnten gegen sie führen. Aus dieser Situation heraus hat die EZLN nun ein Kommuniqué zum Krieg in der Ukraine veröffentlicht.
Die Zapatist*innen vertreten eine Position, die weit entfernt ist von dem unter deutschen Linken verbreiteten Irrglauben, man habe gemeinsame Anliegen mit »dem Westen« - geschweige denn mit den USA, zu deren finsterem Wirken in Lateinamerika die Unterstützung eines Militärputsches in Honduras noch im Jahr 2009 zählt. Wessen Anliegen durch Kriege zwischen Staaten tatsächlich befriedigt werden, beschreibt das Kommuniqué folgendermaßen: »Die Gewinner dieses Krieges werden die Waffenkonzerne und die großen Kapitale sein, die jetzt die Gelegenheit sehen, um Gebiete zu erobern, zu zerstören und wieder aufzubauen. Mit anderen Worten: neue Waren- und Konsument*innenmärkte zu schaffen.«
Daraus kann sich wiederum nur ein Schluss ergeben: »Als Zapatist*innen unterstützen wir keinen der beiden Staaten, sondern diejenigen, die gegen das System und für das Leben kämpfen.« Explizit gemeint sind hier die anarchistischen Brigaden, die seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine Widerstand leisten, aber auch »diejenigen, die in Rebellion auf den Straßen und Feldern Russlands gehen und arbeiten.« Die vermeintlichen Anti-Kriegs-Demonstrationen unter anderem in Europa nehmen die Zapatist*innen kritisch ins Visier: »Während der multinationalen Invasion des Irak (vor fast 19 Jahren), angeführt von der US-Armee, gab es weltweit Proteste gegen diesen Krieg. Niemand, der bei klarem Verstand war, dachte, dass Widerstand gegen die Invasion bedeutete, Saddam Hussein zu unterstützen.« Und es stimmt, wer derzeit die Nato oder die deutsche Aufrüstung kritisiert, ohne zuallererst das Bekenntnis abzulegen, Wladimir Putin sei das viel schlimmere Übel, muss unbedingt damit rechnen, als Verteidigerin des russischen Staates dargestellt zu werden. Es ist exakt diese Übernahme des imperialistischen Lagerdenkens, das die Frage aufwirft, ob die hiesige »Friedensbewegung« diesen Namen eigentlich noch verdient.
Der marxistische Theoretiker Moishe Postone hatte die - damals (noch) antiimperialistische - »westliche« Linke schon in den frühen 1980er Jahre davor gewarnt, sich in den bestehenden Verhältnissen widerspruchsfrei zu positionieren. Er betonte etwa die Notwendigkeit von Nationalismuskritik gegen die Idealisierung nationaler Befreiungsbewegungen. Ein solches Denken in Negation und Widerspruch ist unbequem - aber solange wir in einer kapitalistisch beherrschten Welt leben, leider unverzichtbar.
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