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Alles beim Alten

Viel Netflix, wenig Diversität: Die Oscars kämpfen mit den Folgen der Pandemie und sinkenden Zuschauerzahlen

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 6 Min.

Am Sonntag werden in Los Angeles zum 94. Mal die begehrten Trophäen verliehen - mit immer weniger Zuschauern inmitten einer Pandemie, die auch die Oscars prägt. Die lange Zeit geschlossener Filmtheater spiegeln sich 2022 auch in den Einreichungen wider. Viele der nominierten Filme sind Produktionen von Streaming-Plattformen, allen voran Netflix, oder liefen, wenn überhaupt, nur kurz in ausgewählten Kinos und waren nach wenigen Tagen oder Wochen schon im Stream zu sehen. Oder Filme liefen zwar in den USA im Kino, hierzulande aber nur im Stream.

So der wirklich sehenswerte Film »Being the Ricardos« (Amazon), ein historisches Biopic über die beiden 50er-Jahre-Sitcom-Stars Lucille Ball und Desi Amaz, deren Karriere und Ehe unter dem Druck der Kommunistenverfolgung in den USA zu scheitern drohen, für den Nicole Kidman und Javier Bardem für die Beste Hauptrolle nominiert sind.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Kein Wunder also, dass in diesem von der Pandemie geprägten Jahr Netflix mit 27 Nominierungen das erfolgreichste produzierende »Studio« ist, wobei es hier neben Spielfilmen auch durchaus beeindruckende Dokus gibt, wie »Lead me Home«, bildmächtig inszenierte 40 Minuten, die unter die Haut gehen und das Ausmaß der Obdachlosigkeit in den ökonomischen Boom-Städten San Francisco und Seattle zeigen. Wobei allein zwölf der Netflix-Nominierungen auf Jane Campions »The Power of the Dog« entfallen, unter anderem in den Kategorien Bester Film, Bestes adaptiertes Drehbuch und Beste Regie.

In der von der Kritik überschwänglich gefeierten Adaption des Romans (1967) von Thomas Savage erzählt Jane Campion von einem ungleichen Brüderpaar in den 1920er Jahren im ländlichen Montana. Es geht um toxische Männlichkeit, patriarchale Gewalt und den tief sitzenden, homophoben Hass auf das eigene queere Begehren und gegen alle Frauen. So dicht und beeindruckend das inszeniert ist, verliert sich der Film doch etwas zu sehr in einer ästhetischen Aufarbeitung seines Themas, die dann ganz im Stil von Jane Campion viel mit der Landschaft zu tun hat, ohne wirklich eine Perspektive jenseits der alles zerstörenden männlichen Dominanz aufzuzeigen. Weitaus emanzipatorischer und empowernder ist dagegen Siân Heders Film »Coda«, der große Abräumer des diesjährigen Sundance-Film-Festivals, ebenfalls eine Romanadaption, von Apple TV produziert, die eine Coming-of-Age-Geschichte erzählt und beim Oscar unter anderem für die Kategorien Bester Film und Bestes adaptiertes Drehbuch nominiert ist.

Im Zentrum des ebenso unterhaltsamen wie tragischen Films steht die 17-Jährige Ruby (Emilia Jones), die in einer Familie Gehörloser als Einzige keine sprachliche und auditive Beeinträchtigung hat und gerne Gesang studieren möchte. Neben ihrer ambitionierten College-Wahl arbeitet sie mit der Familie auf dem eigenen Schiffkutter, den Bruder, Vater und Mutter laut eines Gerichtsbeschlusses plötzlich nur noch mit einer nicht gehörlosen Person zusammen nutzen dürfen, was Rubys Studienpläne komplett über den Haufen wirft. Troy Kotsur, der Rubys Vater spielt und für seine Rolle als Bester Nebendarsteller nominiert ist, ist ebenso wie Daniel Durant (Bruder) und Marlee Matlin (Mutter) auch im wirklichen Leben gehörlos. »Coda« erzählt von Ignoranz und gesellschaftlichen Ausschlüssen, aber auch vom erfolgreichen Kampf dagegen, der vor allem mit solidarischem Verhalten zu tun hat. Das müsste fast schon schnulzig sein, ist es aber in keiner Minute; stattdessen entwickelt Siân Heders verstörend guter Film eine unglaubliche erzählerische Wucht, die mit reichlich Musik inszeniert ist, aber stellenweise (dem Thema geschuldet) auch absolut lautlos.

Ebenfalls vorgeschlagen für die Kategorie Bester Film ist die reine Kinoproduktion »Dune«, die mit insgesamt zehn Nominierungen ins Rennen geht. Für Denis Villeneuves 165 Millionen Dollar teuren Blockbuster gilt leider das Gleiche wie für viele derzeitige Science-Fiction-Großproduktionen: eine schon in die Jahre gekommene Romanvorlage wird starbesetzt als bellizistisches Action-Drama inszeniert, wobei die Darstellung von Geschlechterrollen ebenso altbacken wirkt wie das gebetsmühlenartige Herunterleiern von Ehrbegriffen durch die zumeist männlichen Darsteller, wenngleich der Film bezüglich der science-fictionalen Bildästhetik handwerklich sicher beeindruckend gemacht ist.

Doch es wurden natürlich auch vergleichsweise leise Filme nominiert, ganz ohne den Nimbus des großen Epos. So die stimmungsvolle Haruki-Murakami-Verfilmung »Drive my car«, die ebenfalls in den Kategorien Bester Film, Bestes adaptiertes Drehbuch und Beste Regie (Ryûsuke Hamaguchi) nominiert ist. Aber auch Paul Thomas Andersons herrlich durchgeknallter Coming-of-Age-Film »Licorice Pizza« aus dem San Fernando Valley der 70er Jahre ist für diese drei Kategorien nominiert.

Die in den vergangenen Jahren immer wieder kritisch aufgeworfene Frage, ob bei den Oscars vor allem weiße Kulturschaffende Preise abräumen und People of Color kaum berücksichtigt werden, spielte zwar in den vergangenen Wochen medial keine so große Rolle, aber mit gerade einmal vier Nominierungen für nichtweiße Schauspieler sind die Oscars wieder einmal sehr weiß. Wobei Denzel Washington als Macbeth in Joel Coens schwarz-weißer Shakespeare-Verfilmung als Bester Hauptdarsteller nominiert ist.

Der rassismuskritische Sportfilm »King Richard« über den Vater der Tennis-Legenden Venus und Serena Williams wartet immerhin mit insgesamt fünf Nominierungen auf und hat auch die Chance auf die begehrte Trophäe als Bester Film. Einblicke in nichtweiße Lebenswelten bieten in diesem Jahr auch diverse nominierte Filme, die sich mit dem Thema Flucht beschäftigen. Der außergewöhnliche Animationsfilm »Flee« von Jonas Poher Rasmussen erzählt von der Flucht eines Menschen aus Afghanistan und wie er sich ein neues Leben in Europa aufbaut. Der Film ist auch in der Kategorie Bester Dokumentarfilm nominiert, ebenso wie der gerade einmal gut 20-minütige Kurzfilm »Drei Lieder für Benazir«, der spotlightartig die Geschichte eines jungen Paares in einem Geflüchteten-Lager in der Nähe Kabuls erzählt.

Recht unmittelbar an migrationspolitische Debatten und dazugehörige Medienbilder in den USA knüpft der auch an der Kinokasse erfolgreiche Pixar-Film »Encanto« an, der von einer Gruppe Geflüchteter aus Kolumbien erzählt, die sich vor einem Bürgerkrieg in Sicherheit zu bringen versuchen und wie viele illegale Migranten aus Mexiko dabei einen Fluss überqueren. Das animierte Musical mit einer jungen Frau im Zentrum thematisiert vor allem, wie Traumatisierungen durch Krieg, Vertreibung und Flucht kollektiv auf nachfolgende Generationen weitergegeben und oft nicht gelöst werden. Der Kinderfilm ist mittlerweile Debattengegenstand zahlreicher Blogs, auch wegen der für Disney eher unüblichen progressiven Auseinandersetzung mit Gender und einer Vielzahl starker weiblicher Charaktere.

Wer letztlich die Oscars erhält, wie divers die Trophäen verteilt werden, das entscheiden die gut 9000 wahlberechtigten Akademie-Mitglieder. Da die Übertragung der Preisvergabe immer weniger Zuschauer findet, wird auf der Bühne ein enormes Staraufgebot unter anderem mit John Travolta, Halle Bailey, Jamie Lee Curtis, Woody Harrelson und Samuel L. Jackson aufgefahren. Zusätzlich gibt es erstmals den per Twitter gewählten Zuschauerpreis, bei dem gerade der nicht von der Akademie nominierte »Spider Man: No Way Home« unter anderem neben »Dune« und Amazons mainstreamigem Musikfilm »Cindarella« vorne zu liegen scheint. Ob das die Oscars beim Publikum wieder aufwertet, bleibt abzuwarten.

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