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Linke Klimaschutz-Blockaden
Über selbst gebaute Hindernisse für eine ökologische Politik der Linken. Ein Gastbeitrag von Steffen Lehndorff
Ende Februar, kurz nachdem russische Truppen den Krieg gegen die Ukraine begonnen hatten, warnte der Weltklimarat eindringlich vor einem Weiter-so. Die Politik müsse schnell und entschieden handeln, um einen zunehmenden Verlust von Menschenleben und biologischer Vielfalt durch den Klimawandel zu vermeiden. »Halbe Sachen sind keine Option mehr«, sagte der Ratsvorsitzende Hoesung Lee. Leider ist diese Warnung in der deutschen Politik bislang nicht als Signal einer »Zeitenwende« angekommen. Aber auch linke Parteien in Deutschland und einigen anderen EU-Ländern sind beim Klimaschutz nicht ganz vorn dabei. Mein Eindruck ist, dass dies bei Teilen der Linken an selbst errichteten Hindernissen liegt.
Fundamentaler versus taktischer Ansatz
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Die erste und oberflächlichste Barriere ist eine taktische Überlegung. Sie lässt sich in dem Satz zusammenfassen: »Klimaschutz zahlt sich bei Wahlen nicht aus, er ist vor allem gut für die Grünen.« Folgte man dieser Leitlinie, hätte sich die deutsche Linke nach der Jahrtausendwende nicht sonderlich für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und später für seine Erhöhung einsetzen dürfen. Denn bei den jüngsten Wahlen hat sich gezeigt, dass sich die Sozialdemokratie bei dieser Frage besonders profilieren konnte.
Für linke Politik sollte die Leitlinie lauten: Gesellschaftliche Probleme ernst nehmen und verantwortungsvoll handeln. Das Soziale geht nur mit dem Ökologischen, ebenso wie das Ökologische nur mit dem Sozialen geht.
Ökologie versus Klasse
Die zweite Barriere ist der ersten ähnlich, sie klingt aber weniger taktisch oder oberflächlich. Sie entspringt der Vorstellung, dass das Alleinstellungsmerkmal linker Parteien das Soziale sei, weil es um Klasseninteressen gehe. Nun werden die meisten CO2-Emissionen sowohl weltweit als auch in Industrieländern von höheren Einkommensgruppen verursacht. Betroffen vom Klimawandel sind aber alle Klassen - am stärksten Arme im Globalen Süden. Und im Globalen Norden müssen die weniger Wohlhabenden am meisten für die überlebenswichtige Dekarbonisierung zahlen, wenn die Politik nicht gegensteuert.
Mag sein, dass Klimaschutzbewegungen tatsächlich erst dann eine breitere soziale Basis erlangen, wenn bei uns die Folgen des Klimawandels auch im Alltag spürbar werden. In der Hoffnung, dass dann die Kipppunkte nicht schon überschritten sind, stellt sich die Frage: Wer sind bis dahin die Akteurinnen und Akteure des Wandels?
Wenn man sich Bewegungen wie Fridays for Future ansieht, ist klar, dass Engagement für den Klimaschutz bislang eher ein Generationen- als ein Klassenthema ist. Außerdem gehören die meisten Aktivist*innen der Mittelschicht an.
Ähnliches galt auch für die 68er-Bewegung. Und ähnlich wie vor mehr als 50 Jahren sehen wir heute, dass diese Bewegungen der jungen Mittelschicht-Generation einen wesentlichen Wandel im öffentlichen Bewusstsein bewirken können. Wie dieser Wandel in politische Veränderungen umgesetzt wird, ist nicht zuletzt Sache der politischen Parteien. Linke Parteien müssen entscheiden, ob sie wichtige Akteurinnen in diesen Konflikten werden wollen oder nicht - und es handelt sich dabei definitiv um Konflikte.
Susanne Henning-Wellsow hat zu Recht eine Debatte darüber gefordert, »wie unterschiedliche Generationen beim Thema Klimaschutz an einem Strang ziehen können« (taz, 2.1.2022). Erleichtert wird das dadurch, dass große Teile dieser jungen Mittelschicht-Bewegungen an einer Zusammenarbeit mit Gewerkschaften interessiert sind. Zum Beispiel gab es viele gemeinsame Aktionen mit Verdi in der Kampagne für höhere Löhne im öffentlichen Nahverkehr. Der Glaube an einen Widerspruch »Ökologie versus Klasse« missachtet die Erfahrungen tatsächlicher Bewegungen. Er führt in eine Sackgasse.
Flirt mit dem Rechtspopulismus
Die derzeit fehlende Alltagserfahrung des Klimawandels führt jedoch zu einem echten Problem. Aus der Sicht von Teilen der Arbeiterklasse kann sich das jetzt vorrangige Interesse an sozialer Sicherheit mit dem Interesse an Klimaschutz beißen, dessen Dringlichkeit vielleicht erst in einigen Jahren spürbar wird. Diese politische Lücke öffnet die Tür für Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Diese Tür muss von links zugemacht werden, damit der Klimaschutz nicht an sozial drapiertem Widerstand von rechts scheitert.
Einige auf der Linken spielen offenbar mit der Idee, mit einer rot angestrichenen Angel unter denen zu fischen, die der extremen Rechten in Klimafragen folgen. Dabei wird übersehen, dass der angebliche Gegensatz zwischen Umwelt- und Sozialinteressen ein Ergebnis politischer Entscheidungen ist. Eine verantwortungsvolle linke Antwort auf die politische Lücke besteht darin, Auswege aus diesem Dilemma zu entwickeln und zu unterstützen. Entscheidend sind positive Alternativen zu einer angstgetriebenen Verteidigung nicht nachhaltiger Arbeitsplätze und nicht nachhaltiger Lebensbedingungen in der Gegenwart.
Positive Alternativen heißt: große, konkrete, Mut machende Reformprojekte voranbringen, die auf eine sozial-ökologische Transformation abzielen - das können etwa flächendeckende Tarifverträge als Flankierung des Industrieumbaus sein oder digital gestützte regionale Mobilitätsplattformen in öffentlicher Hand. Solche Projekte können zu Meilensteinen des Wandels werden. Auch der New Deal der 1930er Jahre lebte von alltäglich erfahrbaren Leuchtturmprojekten. Aus den Erfahrungen der erfolgreichen Reformpolitik jener Jahre lässt sich immer noch lernen.
Diesseits und jenseits des Kapitalismus
Die wahrscheinlich am schwierigsten zu überwindende Barriere ist die Tendenz einiger Linker, Politik durch Aufklärung oder Propaganda zu ersetzen. Selbstverständlich können wir aus marxistischer Sicht davon ausgehen, dass der Klimawandel durch den »Naturverbrauch« als Teil der Verwertungslogik des Kapitals verursacht wird. Wenn man daraus aber schlussfolgert, dass beispielsweise Programme wie ein »Green New Deal« nichts anderes als »Greenwashing des Kapitalismus« seien, unabhängig von den konkreten Inhalten, nähert man sich dem politischen Sektierertum an. Es ist eine Flucht vor der Realität, die manchen Linken interessanter erscheinen mag als Politik. Das Mindeste wäre, sich zu überlegen, wie wahrscheinlich es ist, dass der Kapitalismus in den nächsten 20 bis 30 Jahren überwunden werden kann.
Ein ernsthafter politischer Ansatz zieht in Betracht, dass sich der Kapitalismus als enorm anpassungsfähig erwiesen hat. Wenn man sich die Erfolge der Arbeiterbewegung des 20. Jahrhunderts ansieht, wie zum Beispiel die Wohlfahrtsstaaten in den entwickelten kapitalistischen Ländern (so unvollkommen sie auch sein mögen), könnte man sogar zu dem Schluss kommen, dass die Arbeiterbewegung den Kapitalismus gerettet und verbessert hat.
Es stimmt, die Klimakrise ist eine grundlegend andere Herausforderung. Hier gibt es gute Gründe, mögliche Grenzen der Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus ernst zu nehmen. Aber diese Grenzen müssen in der Praxis erst einmal erreicht und ausgetestet werden. Und wo soll jetzt der dafür notwendige sozial-ökologische Reformprozess beginnen - wenn nicht innerhalb des Kapitalismus?
Überwindbare Hindernisse
Derzeit kommt in der Klimapolitik vieles in Bewegung. Wenn auch mit erheblichen Haken und Ösen. Wichtig ist, dass die Gewerkschaften sich in den letzten Jahren berappelt haben und versuchen, den Industrieumbau in eine sozial-ökologische Richtung zu drängen. Politische Unterstützung von Links wäre da ausgesprochen nützlich.
Dafür müssten als erster Schritt die programmatischen Vorarbeiten, die es dazu in der Rosa-Luxemburg-Stiftung und auch in der Partei Die Linke gibt, aus der Versenkung geholt und zur Basis einer praxisorientierten Strategiediskussion gemacht werden. Wer kennt denn zum Beispiel den »Aktionsplan Klimagerechtigkeit« der Bundestagsfraktion von 2020? Die meisten Parteimitglieder, denen ich (als Parteiloser) davon erzähle, jedenfalls nicht. Und wie ernst wird so ein »Aktionsplan« in der Partei und auch in der Bundestagsfraktion genommen? Letztes Jahr im Wahlkampf war davon nichts zu sehen.
Es bedarf programmatischer Konkretisierung und Fokussierung, um daraus Reformprojekte mit Mobilisierungspotenzial zu entwickeln. Wobei wir als Deutsche eigentlich wissen sollten: Mobilisierungspotenzial hat nur das, was für durchsetzbar gehalten wird. Und zwar im Diesseits und nicht im Reich des Wünsch-dir-was.
Steffen Lehndorff ist Research Fellow am Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Er koordiniert das Projekt »Sozial-ökologische Transformation der Industrie«, dessen Studien demnächst auf den Internetseiten der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik veröffentlicht werden. Jüngste Buch-Veröffentlichung: »New Deal heißt Mut zum Konflikt. Was wir von Roosevelts Reformpolitik der 1930er Jahre heute lernen können« (VSA-Verlag). Der Text ist angelehnt an einen Vortrag Lehndorffs bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Transform! Europe.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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