Wie hältst du es mit Russland, Genosse?

Der Ukraine-Krieg könnte den Ostermärschen Aufwind bescheren, aber die Bewegung ringt um Positionen

Kein Thema beschäftigt die gesellschaftliche Linke derzeit wohl so sehr wie der Krieg in der Ukraine. In der Linkspartei wird gestritten, wie sehr die friedenspolitischen Grundsätze in die Zeit passen und wie man sich zu Russland verhalten soll. Auch sonst gibt es weit auseinandergehende Positionen. Von der Unterstützung Russlands, wie sie zum Beispiel im Umfeld der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) zu finden ist, bis zu Spendensammlungen für ukrainische Anarchist*innen, die sich an der Landesverteidigung beteiligen.

Die Probleme zeigen sich seit dem 24. Februar auch immer wieder bei Demonstrationen gegen den Krieg. Viele Menschen, die aus der Ukraine stammen, tragen ihre Landesfahnen. Sie wünschen sich eine eindeutige Positionierung gegen Russland und fordern teilweise sogar Waffenlieferungen. Diese Positionierung passt überhaupt nicht zur deutschen Friedensbewegung. Bei manch einer Demonstration hat das schon zu merkwürdigen Szenen geführt. Etwa Anfang März im mittelhessischen Gießen, als aus der Ukraine stammende Demoteilnehmer*innen einer Rednerin erst vorwarfen, nur »leere Worte« zu äußern und als einem Redner aus der Ukraine später das Mikrofon abgedreht wurde. Den Organisator*innen der Demonstration waren die Botschaften des jungen Mannes, der über Freunde sprach, die gegen Russland kämpfen, zu martialisch.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Es ist also keine einfache Gemengelage, in der in diesem Jahr die Ostermärsche stattfinden. Besonders heftig tobt der Streit um die richtige Ausrichtung der Ostermärsche in Hamburg. Vor ein paar Tagen veröffentlichte Holger Artus, der sich stark für die Erinnerung an Opfer des Nationalsozialismus einsetzt und lange Jahre Betriebsratsvorsitzender bei der »Hamburger Morgenpost« war, einen Blogbeitrag mit dem Titel: »So geht es nicht mehr weiter mit dem Hamburger Forum.« In dem Beitrag erklärte Artus, warum er sich nicht am kommenden Ostermarsch beteiligen wird. Er forderte einen »Neuanfang« für das Hamburger Forum. Er könne den »politischen Schwachsinn in der Blase nicht mehr ertragen«.

Artus kritisierte eine Linie, in der die Nato als Hauptursache für den Krieg gesehen wird. In einem Aufruf aus dem Januar und in einem aktuellen Flugblatt für den Ostermarsch geht es in zahlreichen Passagen um eine durch die USA »verschärfte Konfrontation mit Russland« oder »mediale Hetze gegen Russland«. Man gehe gegen den Krieg Russlands auf die Straße, wie man »auch gegen die Kriege des Westens« auf die Straße gegangen sei, heißt es in dem Flugblatt. Das Hamburger Forum forderte »ernsthafte Verhandlungen«. Die Friedensfreunde stellen sich die Ukraine in Zukunft als einen neutralen Staat vor.

Holger Artus ist über diese Positionierung besorgt. »Wir werden uns komplett isolieren, wenn wir unsere Kommunikation und unsere Positionierung zu Russland nicht ändern«, sagte er gegenüber »nd«. Artus ist nicht im Hamburger Forum aktiv, zählt sich aber klar zur Friedensbewegung. Zum Ostermarsch geht er nach eigenen Angaben seit über 40 Jahren und setzt sich sonst für das Gedenken zum Antikriegstag am 1. September ein. Das Hamburger Forum habe »falsche politische Schlussfolgerungen« gezogen. Die Ursache für den Krieg seien Russland und seine »chauvinistische Propaganda«. Über die Nato machte sich Artus trotzdem keine Illusionen. Wer glaubt, sie schaffe Frieden, irre sich. Vom Forum wünscht er sich, den Ostermarsch abzusagen und eine Neupositionierung in der Friedensfrage zu entwickeln, die breite Bündnisse möglich macht.

Streit um Hamburger Ostermarsch

Vom Streit um den Ostermarsch hat auch die »Hamburger Morgenpost« Wind bekommen. Sie zitierte Christiane Schneider, ehemalige Vorsitzende der Linken in der Hamburger Bürgerschaft. Die Politikerin erklärte, der Aufruf zum Marsch würde Menschen »abschrecken« und dass sie in diesem Jahr nicht teilnehmen werde. Kritische Worte fing das Blatt auch von Keyvan Taheri sein, dem Landessprecher der Hamburger Linken, und vom DGB, welche allerdings jeweils mit eigenen Aufrufen zum Ostermarsch mobilisieren.

Beim Hamburger Forum sieht man den Artikel in der »Hamburger Morgenpost« als »Verleumdung« an. Er sei ein Beispiel dafür, »wie jegliche Opposition gegen den Hochrüstungskurs der Bundesregierung und die Eskalationsschritte des Westens in diesem Krieg zum Schweigen gebracht werden sollen«. Die eigene Position sei klar: Die russischen Truppen sollen raus aus der Ukraine, man ist gegen Aufrüstung und eine Expansion der Nato.

Jutta Ditfurth sagte gegenüber »nd«, wenn sie in Hamburg leben würde, würde sie »gegen eine Teilnahme« mobilisieren. In Frankfurt am Main, wo die frühere Grünen-Politikerin Ditfurth für die Wählervereinigung Ökolinx-Antirassistische Liste im Stadtrat sitzt, ist das anders. Die Wählervereinigung verbreitet den Aufruf des Deutschen Gewerkschaftsbunds zu den Ostermärschen. Ditfurth erklärte, das sei eine bewusste Entscheidung gewesen. Den Aufruf des »Ostermarsch-Komitees« verbreitet die Gruppe hingegen nicht. Dort gebe es »zu viele Querfrontler*innen« und habe es bis vor kurzem noch zu viele Putin-Freund*innen gegeben. Wirklich zufrieden ist Ditfurth mit der Friedensbewegung nicht. »Das Beste wäre, es entstünde eine neue emanzipatorische Friedensbewegung«, erklärte sie.

Mit Zulauf kann bei den Ostermärschen auch die alte Friedensbewegung rechnen, meint der Berliner Protestforscher Dieter Rucht. Dem Evangelischen Pressedienst sagte Rucht, dass er damit rechne, dass an den Ostermärschen »etwa drei- bis fünfmal so viele Menschen teilnehmen werden wie im vergangenen Jahr«. Rucht, der lange Mitglied im Vorstand des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung war, geht davon aus, dass die Frage, ob dieses Jahr mehr Menschen an den Märschen teilnehmen, auch davon abhängt, ob mehr junge Klimagruppen mobilisieren. Zuletzt seien die älteren Ostermaschierer*innen unter sich geblieben. Das liege nicht nur an Inhalten, sondern auch an der »vorgegebenen und ritualisierten Form des Protests«. Rucht kritisierte außerdem, dass die Bewegung am Motto »Frieden schaffen ohne Waffen« festhält. Man solle »ein offenes Ohr haben für die Bitte der Ukrainer«. Danach gehe es um die langfristige Perspektive, einen Rüstungswettlauf zu verhindern.

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