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Der Zeremonienmeister
Der österreichische Aktionskünstler Hermann Nitsch ist gestorben
Es sind schlechte Zeiten für die Kunst, in denen wir leben, vorausgesetzt, man hat noch einen Begriff davon: Kunst. Der eine Teil erfüllt nur den Zweck der Dekoration, der andere nur den der Kapitalanlage. Wie schön ist es in solchen Zeiten, wenn es da jemandem mit seinem Werk gelingt, die Menschen über Jahrzehnte zum Toben zu bringen.
Hermann Nitsch war so ein Künstler mit dem Talent zur Publikumserregung. 1938 in Wien geboren, ließ er sich in seiner Heimatstadt zum Gebrauchsgrafiker ausbilden. Ihn aber zog es zur freien Malerei - und bald schon begann die erste Annäherung an sein Lebenswerk: das »Orgien-Mysterien-Theater«. In den 60er Jahren, weltweit von einem politischen wie kulturellen Umbruch gezeichnet, wurde er zu einem der Protagonisten des Wiener Aktionismus. Reichlich fluxusinspiriert entstanden - noch verhältnismäßig harmlos - Nitschs Schüttbilder. Die veranstalteten Happenings, die verschiedene Künste freigeistig überschreitenden Spektakel waren es, die für Furore sorgten. Mehrtägige Feste, die nicht immer ohne Opferblut auskamen, erzeugten den Ruf eines Skandalkünstlers. Gefängnisaufenthalte und ein andauernder Kampf mit der Bürokratie waren die Folge. Schließlich verließ Nitsch Österreich, siedelte in die Bundesrepublik über, arbeitete weltweit, bis er Anfang der 70er Jahre das Schloss Prinzendorf erwarb. Hier fand er ein Refugium, einen Ort auch für seine rituell aufgeladenen Arbeiten.
Blasphemie lautet einer der wiederholt erhobenen Vorwürfe gegen die Ausnahmegestalt. Der Kleingeist lässt es mitunter nicht zu, in den weihevollen Formen eines Hermann Nitsch schon die Rettung von sinnstiftender Gemeinschaft und nicht religiös eingeengter Liturgie hinein ins 21. Jahrhundert zu erkennen.
Etwas lapidar klingt der Begriff Aktionskunst. Im Fall von Nitsch bedeutet er das Zusammenspiel von Malerei und Theater, von Musik und Literatur. Er war an einem wirklichen sinnlichen Erleben von künstlerischer Arbeit für Produzent und Publikum interessiert. Und wen freut es nicht, wenn dies zum Ärger bornierter Kleingeister geschieht? Oder radikaler Tierschützer - denn was wäre der Ritus ohne ein Opfer? Nur ein Betrug, an dem Nitsch nicht teilhaben wollte. Die Schlachtung war ihm notwendige Feier.
Bei Freud und in der katholischen Messe, bei de Sade und Artaud fand er Anregung für seine österreichischen Dionysien. Er war ein wirklicher Exponent des Gesamtkunstwerks, selbstverständlich ohne den reaktionären Charakter Richard Wagners zu teilen. Bei den letztjährigen Bayreuther Festspielen steuerte er noch eine »Walküre« für den Alten aus Leipzig bei - freiluftmalend auf dem Grünen Hügel. In aller Verbindlichkeit bedachte das Publikum den Meister auch hier mit kräftigen Buhrufen.
Am Montag starb Hermann Nitsch, 83-jährig, nach schwerer Krankheit. Die Kunstwelt verliert mit ihm einen Solitär.
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