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Protest an der Tagebaukante
Mehrere tausend Menschen demonstrierten gegen Kohleförderung im Rheinland
Eine Handvoll Menschen schert aus und bewegt sich über den Wall in Richtung der Tagebaukante. Schnell sind es Dutzende, dann Hunderte, die ungehindert über das Grundstück des Energiekonzerns RWE schlendern und sich dicht an die Kante der Grube stellen. In Lützerath, am Rand des Braunkohletagebaus Garzweiler II, demonstrieren am Samstag mehrere Tausend Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet gegen den Abriss des Dorfes Lützerath und für ein Ende der Braunkohleförderung.
Wenn es nach RWE ginge, soll der Ort künftig vom Tagebau eingeschlossen werden. Dabei ist sich die Klimabewegung einig: Die Tagebaukante symbolisiert die Grenze, die nicht überschritten werden darf und damit das im Pariser Klimaabkommen beschriebene Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. In den letzten zwei Jahren ist Lützerath zu einem Sammelpunkt für Aktivist*innen geworden. Sie wollen das Dorf verteidigen, es »unräumbar« machen. In Sichtweite des Schaufelradbaggers errichten sie Baumhäuser, besetzen Gebäude, machen auf sich aufmerksam. Nach Angaben der Bewegung Fridays for Future, die zusammen mit Greenpeace, dem Umweltverband BUND und lokalen Gruppen zur Demo aufgerufen hatte, kamen am Samstag rund 4000 Menschen nach Lützerath, um für einen Stopp der Kohleförderung zu demonstrieren. Die Polizei sprach von etwa 1500 Teilnehmenden.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Indes haben auf Druck von RWE inzwischen nahezu alle Bewohner*innen Lützerath verlassen. Der Letzte, der sich noch wehrte, war der Landwirt Eckardt Heukamp. Gerichtlich ging er gegen die vorzeitige Besitzeinweisung vor, die ihm bevorstehen sollte. Der Klimagerechtigkeitsbewegung stellte er auf seinem Grundstück eine Fläche zur Verfügung. Aktive errichteten in der Folge ein Camp. Ende März entschied das Oberverwaltungsgericht Münster jedoch zugunsten des Konzerns. Die Rechtslage ist letztinstanzlich geklärt, Heukamps Grundstücke gehen noch vor einem Enteignungsverfahren in den Besitz des Energieriesen über.
Der Landwirt erklärte daraufhin, er habe sich mit RWE nun über den Erwerb seiner Flächen geeinigt. Zum 1. September soll er den Ort verlassen. Auf nd-Anfrage heißt es vom Energieversorger dazu, die Vereinbarung lasse Heukamp Zeit, »seine Dinge zu regeln, die Übergabe vorzubereiten und seinen Umzug zu organisieren und durchzuführen«.
Heukamps lange und hartnäckige Gegenwehr wirkte für Lützerath wie eine Art Schutzwall. Das sieht auch Alexandra Brüne so. Sie kommt aus der Gegend und engagiert sich im Bündnis »Alle Dörfer bleiben«. Sie findet es »unglaublich«, dass der Bauer »überhaupt so lange durchgehalten hat«. »Für mich ist der Schritt, den er jetzt geht, total verständlich«, sagt die Aktivisten gegenüber »nd«. Brüne betont: »Das ist auch mein Zuhause hier. Ich kenne die Orte, ich habe Verbindungen und Erinnerungen mit ihnen.«
Unter den Demonstrant*innen ist auch Heukamp. In seinem Redebeitrag fordert er, dass die Politik endlich Verantwortung für den Klimaschutz übernimmt. Brüne stimmt zu: »Wir müssen den Druck auf die Politik erhöhen.« Sie erzählt, dass ihr Elternhaus lange durch den Tagebau bedroht war. Erst durch eine Leitentscheidung von 2014 wurde der Ort, in dem sie aufgewachsen ist, gesichert. »Noch bevor ich als Kind wusste, was Klimaaktivismus ist, habe ich mit meinem Bruder Dinge gesagt wie: Wir ketten uns hier an die Heizung, wir halten den Bagger auf oder wir machen Hungerstreik. Jetzt sind Menschen hier, die bereit sind, das hier zu verteidigen.«
Der BUND fordert mit Blick auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 15. Mai von der künftigen Landesregierung eine Revision des Bergrechts: Die Grundrechte der Betroffenen müssten höher gewichtet werden als die Interessen der Energieunternehmen.
An der Kante ist indes weit und breit kein Security-Personal zu sehen, auch die Polizei hält niemanden auf. Bislang war sie meist konsequent eingeschritten, wenn Aktivist*innen das RWE-Gelände betraten. An diesem Samstag mahnt ein Pressesprecher der Polizei lediglich, nicht zu dicht an die Tagebaukante zu treten. Die Stimmung ist ausgelassen. Menschen rufen Parolen, posieren für Selfies. Nach einiger Zeit kehren die meisten der Kohlegrube wieder den Rücken.
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