In der Krise liegt die Chance

Eine bessere Welt nach Corona visioniert ein von D.F. Bertz herausgegebener Band

  • Tim König
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie würden Karl Marx und Friedrich Engels die mit Corona weltweit evident gewordene gesellschaftliche Krise beurteilen? Was wären ihre Rezepte zu deren Bewältigung, welche Auswege würden sie aufzeigen? Wir wissen es nicht, können nur spekulieren. Auf Spekulationen lassen sich die Autoren dieses Bandes nicht ein. Dieser beschreibt und bewertet in einer bisher nicht gekannten Breite und Vielfalt die mit der Pandemie aufgetretenen beziehungsweise verstärkten globalen Probleme, seien es die im Gesundheitswesen, jene von den Lockdowns ausgelöste Weltwirtschaftskrise wie auch die Veränderungen in der Arbeitswelt, die sich weiter vertiefende Kluft zwischen Arm und Reich, Nord und Süd oder die staatlich sanktionierten Eingriffe in Grundrechte. Sogar Liebe und Begehren in Zeiten der Pandemie wird thematisiert. Aufgezeigt werden neben Gemeinsamkeiten regionale Unterschiede in Asien und Afrika, Lateinamerika und den USA sowie Europa.

Der Politologe, Verleger und Herausgeber D.F. Bertz stellt einleitend klar, dass im Gegensatz zu der allgemeinen Wahrnehmung der Pandemie als ein Schicksalsschlag diese tatsächlich keine Naturkatastrophe sei: »Das Virus und seine Folgen markieren eine weitere Krise der globalen kapitalistischen Produktions- und Lebensweise.« Vermutlich sei Covid-19 Ende 2019 auf den Menschen übergesprungen. »Und nein, das neue Coronavirus wurde nicht in einem chinesischen Labor hergestellt, wie die US-Regierung spekuliert.« Und doch sei es menschengemacht, verschuldet durch die kapitalistische Wachstums- und Expansionsdynamik, provoziert durch die agrarindustrielle Zerstörung des Regenwaldes und anderer Waldbestände und begünstigt durch die industrielle Massentierhaltung und die Züchtung genetischer Monokulturen. Resultate der Profitlogik. Das konnte man wissen, schon seit der Vogel- und Schweinegrippe. Die »neoliberale Hyperglobalisierung«, so Bertz, fördert Viren heute in rasantem Tempo rund um den Erdball, während die mittelalterliche Pest für ihren tödlichen Weg von Asien nach Europa noch 30 Jahre benötigt hatte.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Zu spät und zu zögerlich reagierten die Regierungen aller Herren Länder auf die Pandemie; Bertz spricht von »Corona-Skeptiker*innen im Staatsapparat«. Während es dann aber gelang, die kapitalistische Verwertungs- und Exportmaschine recht flott wieder auf Hochtouren zu bringen, haben die unterprivilegierten und marginalisierten Gruppen das Nachsehen, ob Leiharbeiter, Migranten, Obdachlose oder Frauen und Kinder, die verstärkt Opfer von frustrierter Gewalt wurden. »Das Virus selbst ist klassenblind, es nimmt auch keine ethnischen Zuschreibungen vor«, so Bertz.

Vertiefende Ausführungen folgen in den weiteren über 50 Beiträgen. Der Jurist Rolf Gössner warnt vor einer Normalisierung von Ausnahmerechten allein schon durch Gewöhnungseffekte, was dem Klassenstaat sehr wohl entgegenkäme. Gesundheitsexpertin Julia Dück befasst sich mit der Situation der Krankenhäuser und der Zukunft medizinischer Versorgung für alle. Sabine Nuss zeigt Gespür für die Verwundbarkeit der Eigentumslosen. Rechte Verschwörungsideologien entlarven Natascha Strobl sowie Ingar Solty und Velten Schäfer. Wie das Virus die Weltwirtschaft ins Wanken bringt, ist Thema des Beitrages von Stephan Kaufmann und Antonella Muzzupappa. Auch in den Länderkapiteln sind »nd«-Redakteure und -Autoren vertreten, mit Ungarn Aert van Riel, mit Vietnam Marina Mai und den USA unter Donald Trump Moritz Wichmann. Erörtert wird ebenso die kontroverse Debatte unter Linken zu Abwehrstrategien. Solty von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin, ist optimistisch, dass die Krise auch eine Chance biete und »aus dem Elend der Gegenwart eine neue, demokratischere, sozialere und ökologischere Produktions- und Lebensweise entstehen könnte«. Kurzum, dieser Band macht auch Mut und Lust auf eine bessere »Welt nach Corona«.

D.F. Bertz (Hg.): Die Welt nach Corona. Von den Risiken des Kapitalismus, den Nebenwirkungen des Ausnahmezustands und der kommenden Gesellschaft. 732 S., br., 24 €.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -