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  • Gedenken an Naziopfer

Thälmann, der Mensch

Nicht einmal Kritiker des KPD-Vorsitzenden wollen sein Denkmal abreißen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

An diesem Mittwoch soll die Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Pankow über einen Antrag der CDU abstimmen, das Ernst-Thälmann-Denkmal an der Greifswalder Straße einzuschmelzen und den Erlös Opfern des russischen Angriffs auf die Ukraine zukommen zu lassen. Bereits am 23. April stand das auf der Tagesordnung, wurde aber aus Zeitgründen nicht mehr behandelt. Der FDP-Nachwuchs Junge Liberale will ab 16.30 Uhr vor dem Tagungsort an der Fröbelstraße für den Abriss demonstrieren. Gleichzeitig planen die Antifa Nordost und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes eine Kundgebung für den Erhalt des Denkmals.

Am Montagabend gab es unweit der 1986 eingeweihten Skulptur des Bildhauers Lew Kerbel im Planetarium des Thälmannparks bereits eine Diskussion zum Umgang mit dem Erbe des 1944 im KZ Buchenwald ermordeten KPD-Vorsitzenden. Gut 80 Besucher hörten sich das an oder meldeten sich selbst zu Wort. Niemand verlangte den Abriss, auch nicht der ehemalige Bundestagsabgeordnete Philipp Lengsfeld (CDU). Er stichelte zwar, ein Abriss wäre in der Gesellschaft vermutlich mehrheitsfähig, nur hier im Saal nicht, wo viele »alte Genossen« versammelt seien. Lengsfeld betonte aber: »Ich habe nie vertreten, dass wir diese Skulptur von Lew Kerbel zerstören sollten. Darüber sind wir hinweg, glaube ich.«

Für Jens Schöne war Thälmann »glühender Stalinist«. Solche klaren Urteile müsse man fällen, forderte der stellvertretende Berliner Beauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Das sei man den Opfern der SED schuldig. Man sollte über den Abriss des Denkmals diskutieren dürfen. »Aber ich bin kein Freund davon«, beteuerte Schöne. Er wünsche sich stattdessen eine historisch-kritische Kommentierung des Denkmals. Die soll es bald geben - neben der im November 2021 erfolgten künstlerischen Kommentierung.

Die Stelen, die in der DDR zum Denkmal gehörten, sind heute im Museum der Zitadelle Spandau zu sehen. Auch Museumsleiterin Urte Evert meldete sich zu Wort: »Ich möchte auf keinen Fall den Kopf bei mir haben!« Der solle an der Greifswalder Straße bleiben, machte sie damit klar.

Ein Mann sprach von Begehrlichkeiten, das Areal zu überbauen und daraus Kapital zu schlagen. Dass der Thälmannpark 2014 insgesamt unter Denkmalschutz gestellt wurde, sei für jene, die das im Schilde führten, eine Niederlage gewesen. Ein anderer Mann schimpfte: »Wer sich daran vergreift, hat aus der Geschichte nichts gelernt.«

1993, als Prenzlauer Berg noch nicht mit Weißensee und Pankow zu einem Großbezirk fusioniert war, hatte das Bezirksparlament schon den Abriss des Denkmals beschlossen. Doch daraus wurde nichts.

Obwohl im Planetarium niemand den Kopf von Thälmann forderte, gab es immer noch genug Stoff für Streit. Im Eifer rutschte dem Beauftragten Schöne heraus: »Thälmann war der verlängerte Arm Stalins in der DDR.« Er meinte natürlich: in der Weimarer Republik - und korrigierte sich sofort.

Als die DDR 1949 gegründet wurde, lebte Thälmann nicht mehr. Trotzdem wird versucht, Fehlentwicklungen nach seinem Tod mit seinem Namen in Verbindung zu bringen. Lange nützte das nichts. Noch 2004 herrschte unter Grundschullehrerinnen mit Ostbiografie eine positive Sicht auf »Teddy« Thälmann vor. Das ermittelte der Erziehungswissenschaftler René Börrnert, der damals Studien zum Thälmann-Bild im Erziehungsalltag der DDR publizierte und von dem Ergebnis überrascht war, als er die Lehrerinnen befragte. Börrnert berichtete, was Witwe Rosa und Tochter Irma über Thälmann erzählten und was daraus gemacht wurde: Sohn und Führer seiner Klasse, Freund der Sowjetunion, niemals gefallen, wie es in einem Lied heißt, unbeugsam hinter Kerkermauern also.

Als auf dem Podium nach Kindheitserinnerungen gefragt wurde, erwähnte Historikern Annette Leo den 1954 gedrehten Film »Ernst Thälmann - Sohn seiner Klasse«, den sie oft im Schulhort angeschaut hatte. Der zweite Teil »Ernst Thälmann - Führer seiner Klasse« sei langweilig gewesen. »Aber der erste Teil war toll.« Einmal sei Thälmanns Tochter Irma in die Klasse gekommen. Aber die habe so gar nichts vom Glanz ihres Vaters gehabt und sei eine große Enttäuschung gewesen, sagte Leo. Irma habe wohl wenig Lust verspürt, so herumgereicht zu werden.

Enkelin Vera Dehle-Thälmann, die von Leo unerkannt im Publikum saß, wies diese Mutmaßung über ihre Mutter Irma zurück. »Sie hat es gern getan, sie hat es für ihren Vater getan«, versicherte Dehle-Thälmann. Nach der Veranstaltung erklärte sie im kleinen Kreis, was sie von ihrer Mutter über den Großvater weiß: Dass er die Hafenarbeiter Hamburgs als seine Familie betrachtete und mit ihnen in der Kneipe Skat spielte, als er Parteichef und Reichstagsabgeordneter war, aber kein abgehobener Politiker. So menschlich möchte sie ihn in der Erinnerung bewahren. Sie hat kein Problem damit, dass der Berliner Abgeordnete Andreas Otto (Grüne) vorschlägt, den Thälmann-Kopf von seinem hohen Sockel zu nehmen, auf die Erde zu setzen und Bäume drum herum zu pflanzen.

Was sie von ihrer Mutter Irma über Ernst Thälmann hörte, erzählte die heute 63-Jährige ihren beiden Kindern, die inzwischen längst erwachsen sind. Besonders ihr großer Sohn habe sich dafür interessiert und bedauert, durch die Heirat seiner Mutter nicht den Familiennamen seines berühmten Vorfahren zu tragen. Im Wohnzimmer von Vera Dehle-Thälmann im brandenburgischen Grünheide steht ein Foto des KPD-Vorsitzenden.

Historikerin Leo entschuldigte sich, mit ihrer Äußerung über Irma Thälmann deren Tochter verletzt zu haben. Aus der Seele sprach Leo vielen Zuhörern jedoch, als sie über Ernst Thälmann sagte: »Ja, er war Stalinist. Aber darüber darf man nicht vergessen, dass er ein Opfer des Faschismus gewesen ist. Alle Opfer des Nationalsozialismus verdienen unseren Respekt.« Mehr Beifall als an dieser Stelle gab es nicht an diesem Abend.

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