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Klarheit vor Einheit: Heute gründet sich der PEN Berlin

Nimm zwei, ist gar keine Zauberei: Der PEN wird doppelt.
Nimm zwei, ist gar keine Zauberei: Der PEN wird doppelt.

Alles neu macht der Juni, nachdem es der Mai anscheinend nicht gebracht hat. Nach der Kurzpräsidentschaft des Journalisten Deniz Yücel bei der deutschen Autorenvereinigung PEN, die Mitte Mai durch seinen Rücktritt endete, bringt er nun zusammen mit 230 weiteren Autor*innen einen neuen Verein an den Start, der PEN Berlin heißen soll. »Wir wollen einen neuen PEN«, heißt es in einer am Dienstag verbreiteten Erklärung, »einen zeitgemäßen und diversen PEN«, »von und für Kolleg*innen, die sich für Meinungsfreiheit und einen offenen Diskurs einsetzen« und »gegen jede Form von Menschenhass« wenden.

Zu den Unterzeichnenden gehören Journalist*innen wie Doris Akrap, Patrick Bahners, Jan Feddersen, Verleger wie Klaus Bittermann und Jörg Sundermeier, Schriftsteller*innen wie Eva Menasse und ihr Bruder Robert, Hans-Christoph Buch, Franz Dobler, Daniel Kehlmann, Christian Kracht und Thea Dorn, der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit und der Kunstprofessor Diedrich Diederichsen. »TAZ« und »FAZ« in einer neuen Front.

Also, jung ist anders, nämlich unter 50, aber vielleicht stimmt »zeitgemäß«? PEN Berlin verstehe sich als »eine NGO, die sich den Idealen der Aufklärung, der Meinungsvielfalt, der Toleranz und der Solidarität verpflichtet«, steht im Gründungspapier. Bemerkenswerterweise soll an ihrer Spitze kein*e Präsident*in mehr stehen, sondern ein mit Frauen und Männern paritätisch besetztes »Board«. Kollektive Führung – ein alter Traum.

Als Präsident des alten PEN war Deniz Yücel rasch gescheitert. Er amtierte ein knappes halbes Jahr, gewählt am 26. Oktober 2021 als Nachfolger von Regula Venske, zurückgetreten am 13. Mai beim Jahreskongress in Gotha (zusammen mit dem gesamten Präsidium). Er wolle nicht mehr die »Galionsfigur für diese Bratwurstbude sein«, erklärte er – nachdem er die Kampfabstimmung über einen Abwahlantrag gegen ihn mit 75 gegen 73 Stimmen gewonnen hatte. Tatsächlich war er in der Hoffnung gewählt geworden, dass er diesem sehr traditionellen Autorenverein mehr Schwung bringen könnte – als einer der letzten coolen Promi-Journalisten, wenn auch bei der eher uncoolen »Welt« beschäftigt, aber nichtsdestotrotz immer für polemische und amüsante Texte gut. Seitdem er in der Türkei von 2017 bis 2018 ein Jahr vom Erdoğan-Regime unter absurden Vorwürfen gefangen gehalten worden war, ist Yücel eine Symbolfigur für die Pressefreiheit.

Eigentlich ideal, dachten sie sich beim PEN und waren dann aber schnell enttäuscht. Vielleicht hatte es Yücel mit dem Schwung übertrieben oder auch eine ganz andere Vorstellung davon als weite Teile des Vereins, die gegen ihn zunehmend den Aufstand probten, spätestens, als er im März auf dem Festival Lit.Cologne eine sogenannte Flugverbotszone in der Ukraine gefordert hatte. Er gehörte auch zu den Unterzeichnern des offenen Briefes, der Waffenlieferungen an die Ukraine forderte, nachdem ein offener Brief, den unter anderem Alice Schwarzer, Alexander Kluge, Martin Walser und Gerhard Polt unterzeichnet hatten, davon abgeraten hatte. Daraufhin protestierten verschiedene Altfunktionäre des PEN, die die traditionelle Gewaltfreiheit gefährdet sahen. Zunehmend war von einem »Machtkampf« die Rede und in den Medien gab es wenig Erbauliches zu tratschen und zu ratschen: Vorwürfe des Mobbing, der Beleidigung und eines falschen Führungsstils bis rein in die Geschäftsstelle.

Yücel seinerseits warf dem ganzen Verein Unfähigkeit vor: »Die Diskrepanz zwischen der Realität des PEN und der Ahnengalerie, die man dort vor sich herträgt mit Alfred Kerr und Dolf Sternberger und Heinrich Böll, ist riesig. Die Realität des PEN besteht darin, dass er in Geiselhaft genommen wurde von einem Haufen selbstgerechter, lächerlicher Möchtegernliteraten, die diesen Verein brauchen, um sich selbst als Teil der literarischen oder publizistischen Elite zu wähnen«, sagte er kurz nach seinem Rücktritt der »Süddeutschen Zeitung«.

Hat er jetzt mit der Gründung des neuen Vereins den PEN gespalten? Viele, die PEN Berlin unterstützen wollen, sind keine PEN-Mitglieder. Die Ziele des Vereins scheinen jedenfalls die gleichen zu sein, wie die des alten PEN. Vermutlich geht es auch hier wieder viel um Selbstdarstellung und das liebe Geld. Der PEN bekommt Zuschüsse von der Bundesregierung, zum Beispiel für sein Programm »Writers in Exile« für geflüchtete Schriftsteller*innen. Und das wäre völlig falsch ausgegeben worden, sagte Yücel im Mai der »Süddeuschen Zeitung«: »Ich glaube, die Bundeskulturbeauftragte Claudia Roth und die Bundesregierung wären gut beraten, dieses tolle Programm einem Träger zu übergeben, der es effektiver, professioneller und mit mehr Empathie macht.« Und hey, jetzt ist ein neuer Wettbewerber im Spiel.

Klarheit vor Einheit – lautete eine alte linksradikale Parole gegen den müden sozialdemokratischen Status Quo hierzulande. 1968/69 gründete sich beispielsweise die KPD/ML als maoistische Kleinpartei, die es im Laufe der Zeit auf sagenhafte 40 Abspaltungen brachte. Warum eigentlich, ist bis heute unklar. PEN Berlin aber leiht sich nur den linken Gestus der alten Rebellion, weil die Frage, was »links« sein könnte, für seine Unterstützer*innen nicht mehr interessant ist. Damit soll sich der alte PEN beschäftigen. Und auch mit dem ganzen Friedenskram. Das ist sehr schade. Und freut die Bundesregierung.

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