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Rückkehr des Haifischs
Armin Petras bringt mit seiner »Two Penny Opera« den Punk zurück auf die Bühne des Staatstheaters Cottbus
Zu den aufregendsten Episoden der jüngsten Theatergeschichte zählen zweifelsohne diejenigen, in denen sich in der vermeintlichen Provinz, zumeist im östlichen Landesteil, große Kunst ereignet hat, während die Zentren mit Mittelmaß aufwarteten. Das sprach sich rum, und die theaterhungrigen Städter pilgerten übers Land. Berühmt und berüchtigt waren natürlich die Arbeiten des jungen Frank Castorf in den 80er Jahren, vornehmlich in Anklam, die die Kleinstädte zu Anziehungspunkten machten. Dergleichen passiert auch heute noch: etwa in der kurzen Zeit des Opernaufbruchs in Halle an der Saale zwischen 2016 und 2020, der dazu führte, dass man die Opernhäuser in Leipzig und Berlin links liegen ließ und das Musiktheaterglück im Sachsen-Anhaltischen suchte.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Armin Petras, ehe er Erfolge als Intendant des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin und des Staatsschauspiels Stuttgart feierte, hatte ebenfalls etwas Welt in die Provinz getragen: In den 90er Jahren bescherte er Nordhausen und Chemnitz kontinuierlich neue aufrüttelnde Theatererlebnisse. Diese Zeiten wähnten die meisten längst vergangen, ist Petras doch ein gefragter Regisseur, der an den Spitzenhäusern der Nation arbeitet. Umso überraschender war die Nachricht, dass er ab der kommenden Spielzeit im beschaulichen Cottbus den Posten als Co-Schauspieldirektor zu übernehmen bereit ist.
Drei Regiearbeiten hat er bereits seit 2020 in Cottbus vorgelegt. Am Sonnabend gesellte sich mit der Premiere der »Two Penny Opera« eine vierte dazu. Two Penny? Das klingt, als hätte es für drei Groschen nicht gereicht. Und tatsächlich glänzt Petras durch bloßes Understatement.
Bei der »Two Penny Opera«, einer sehr freien Auseinandersetzung mit Motiven aus der »Dreigroschenoper«, handelt es sich, so der Untertitel, um einen »Rock-Zirkus nach der Musik von den Tiger Lillies«. Das britische Trio The Tiger Lillies sieht sich selbst in der Tradition von Brecht und Weill. Petras hat aus dem Konzeptalbum, durchaus überzeugend, einen 90-minütigen Theaterabend gemacht.
Fast könnte man – wäre der Begriff nicht mit so einigen unschönen Assoziationen verbunden – von einem Musical sprechen. Die Inszenierung überzeugt deshalb so sehr, weil sie nichts verspricht, was sie nicht halten kann. Wie oft muss man sich über theatrale Abhandlungen von aktuellen Diskursen auf den Bühnen ärgern, die dann doch nur an Oberstufenreferate erinnern. Die »Two Penny Opera« ist hingegen fulminante Unterhaltungskunst, die glücklicherweise kein Amüsement unter Niveau bedeutet.
Ein grelles Spektakel bietet das neunköpfige Schauspielensemble, unterstützt durch eine ganze Reihe von Statisten. Eine Manege hat Bühnenbildnerin Kathrin Frosch in Cottbus errichten lassen. Davor hängt ein Banner mit der Aufschrift: »Welcome back Mackie«. Die Spielerinnen und Spieler versuchen sich in artistischen Übungen, Scheitern ist zwangsläufig Teil des Unterfangens. Es ist ein Scheitern, das nicht einer gewissen Sexyness entbehrt. Als Zwitterwesen zwischen Clowns und Punks (Kostüm: Philipp Basener) fahren sie ein großes musikalisches Programm auf (Musikalische Leitung: Miles Perkin).
Das Personal aus der »Dreigroschenoper« – ein Gummihaifisch verbirgt hier seine Zähne – begegnet uns wieder. Wir sehen ein Stück über Huren und Gangster, es ist ein Loblied der antibürgerlichen Existenz. Das sieht keineswegs gekünstelt billig aus, sondern man glaubt die Rebellion, die auf der Bühne stattfindet. Hier darf gelacht werden. Und wem es hier an Tiefgang mangelt, dem kommen beim Zusehen doch sicher ein paar prägnante Sätze aus Brechts Vorläufer in den Sinn. Zum Beispiel der: »Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?«
Es ist ein durchaus kapitalismuskritischer Abend, der am Staatstheater Cottbus dargeboten wird. Es handelt sich allerdings keineswegs um eine szenische Lesung von Marxens »Kapital«, sondern um eine Inszenierung, die an das Gefühl appelliert. Und man kommt nicht umhin, mit dem vielköpfigen Arsenal an Außenseiterfiguren mit ihrem kleinkriminellen Impetus auf der Bühne zu sympathisieren.
Zugleich ist die »Two Penny Opera« Hommage an und Abgesang auf den Zirkus. Und was könnte uns mehr erzählen über das anachronistische und doch quicklebendige Theater, wenn nicht der Blick auf eine Schwesternkunst?
Gibt es dann gar nichts auszusetzen an der »Two Penny Opera«? Die Darbietung steht und fällt natürlich mit der Musik – und die ist durchaus gewöhnungsbedürftig. In Cottbus gerät sie sicherlich publikumstauglicher als in der Originalfassung mit der Falsettstimme des Tiger-Lillies-Sängers Martyn Jacques. Allerdings ist die Musik an diesem Abend nicht frei von Sentiment. Wem der gefühlige Überschwang nicht behagt, der wird wenig Freude haben. Konterkariert wird das alles durch den spielerischen Wahnsinn, der mal als Tarantino-Zitat, mal als wilde Tanznummer seinen Ausdruck findet.
Man spürt den Darstellern ihre Lust am Spiel an. Petras beschenkt sie mit einer Arbeit, bei der sie ihre anarchische Wildheit zeigen können. Es scheint sich auch um einen vorgezogenen Auftakt zur kommenden Spielzeit zu handeln, in der der Regisseur hoffentlich weitere Spuren in der Stadt hinterlassen wird. Das Publikum jedenfalls hat nach der Premiere das Spektakel mit einem außergewöhnlich kräftigen Applaus goutiert und wirkt neugierig auf das Kommende. Dass es dann nicht nur Inszenierungen geben wird, die keine Scheu vor der leichten Muse offenbaren, sondern auch solche, die intellektuell aufzurütteln vermögen, kann als gesichert angenommen werden. Petras hat bereits eindrücklich bewiesen, dass ihm beides liegt.
Nächste Vorstellungen: 19. und 25. Juni
www.staatstheater-cottbus.de
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